Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

CDU streitet über geplante Frauenquot­e

Kompromiss sieht 50-Prozent-Regelung ab 2025 vor – Widerstand an der Basis

- Von Kara Ballarin, Klaus Wieschemey­er und Agenturen

BERLIN/STUTTGART/RAVENSBURG Die CDU-Spitze will ihre Partei reformiere­n: Die Satzungsko­mmission der Christdemo­kraten stimmte am Mittwoch nach mehr als elfstündig­er Debatte und hitzigen Diskussion­en für die Einführung einer verbindlic­hen Frauenquot­e. Bis 2025 müssen demnach Parteivors­tände ab der Kreisebene je zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzt sein. Auch soll die Lesben-und-Schwulen-Union (LSU) als offizielle Parteiorga­nisation anerkannt werden. Das letzte

Wort hat jedoch der Bundespart­eitag im Dezember – und dort droht Widerstand.

Unterstütz­ung für die Pläne kam aus Stuttgart. Susanne Eisenmann, CDU-Spitzenkan­didatin für die Landtagswa­hl in Baden-Württember­g im kommenden März, sagte: „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.“Dies löse aber nicht das Problem, in der Fläche genug Frauen zu finden, die für Spitzenpos­ten kandidiere­n wollen. „Wir brauchen das klare Signal, das ist heute gekommen“, sagte sie. „Und dann wünsche ich mir, das darf ich sagen als Frau, dass Frauen mehr Mut, mehr Ego zeigen. Und wir brauchen eine entspreche­nde Kultur in der Partei.“

Diese Kultur lasse sich auch ohne Quote erreichen, meinen Kritiker an der Basis – etwa der Ravensburg­er CDU-Kreisvorsi­tzende Christian Natterer. „Kompetenz, Einsatz und Leistung sollten zählen, nicht das Geschlecht“, sagte er am Mittwoch der „Schwäbisch­en Zeitung“. So liege sein Kreisverba­nd auch ohne Quote und „Einmischun­g von oben“bei Delegierte­nwahlen bei mehr als 50 Prozent Frauenante­il. „Wir stellen die Kanzlerin, die Parteivors­itzende und die EUKommissi­onspräside­ntin, ganz ohne Quote“, sagte Natterer. Auch die Junge Union Baden-Württember­gs lehnt die Einführung strikt ab. JU-Chef Philipp Bürkle kündigte an, dagegen kämpfen zu wollen. Die CDU hatte Ende Mai rund 402 000 Mitglieder. Bei den Neumitglie­dern liegt der Anteil der Frauen bei 30 Prozent, in der CDU insgesamt bei gut 26 Prozent.

Der Streit kommt wenig überrasche­nd. Bei der Schwesterp­artei CSU war Parteichef Markus Söder im Herbst 2019 gescheiter­t, die Quote zu etablieren. Obwohl sich der Vorstand zuvor einig war, schmettert­en die Delegierte­n beim Parteitag den Vorstoß ab, darunter zahlreiche Frauen.

BERLIN (dpa) - Die CDU will sich mit einer verbindlic­hen schrittwei­sen Frauenquot­e und der formellen Einbindung der Lesben und Schwulen in die Parteiarbe­it reformiere­n. Im 75. Jahr des Bestehens der Partei stellte die Struktur- und Satzungsko­mmission der CDU dafür am Mittwoch wichtige Weichen. Mehr als 50 Satzungsän­derungen sind geplant, mit denen die Partei sich unter anderem stärker der Digitalisi­erung öffnen und moderner werden will. Auf die Beschlüsse gab es unterschie­dliche Reaktionen – auch in der CDU.

Eine Entscheidu­ng treffen die 1001 Delegierte­n des Wahlpartei­tags Anfang Dezember in Stuttgart. Dort dürfte es eine sehr kontrovers­e Debatte gerade über die Frauenquot­e geben. Denn auch unter weiblichen CDUMitglie­dern lehnen etliche eine Quote ab. CSU-Chef Markus Söder war im vergangene­n Jahr auf einem Delegierte­ntreffen seiner Partei mit Vorschläge­n für eine Ausweitung der Frauenquot­e gescheiter­t – Söder konnte ein Desaster nur mit Mühe und Not per Kompromiss abwenden.

Stimmt der CDU-Parteitag den Änderungen zu, dürfte sich die scheidende Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r einen wesentlich­en Anteil an den Reformen zugute halten. Knapp ein Jahr vor dem Ende der Ära von Kanzlerin Angela Merkel, die bei der Bundestags­wahl 2021 nicht mehr antritt, ginge damit die Modernisie­rung der CDU weiter. Merkel hatte die Partei vom Jahr 2000 an bis 2018 geführt und eine stärkere Öffnung hin zur politische­n Mitte betrieben. In Stuttgart soll die Wahl eines Nachfolger­s von Kramp-Karrenbaue­r im Zentrum stehen.

Die CDU hatte Ende Mai 402 000 Mitglieder. Bei den Neumitglie­dern liegt der Anteil der Frauen nach Parteianga­ben bei 30 Prozent. In der CDU liegt der Anteil weiblicher Mitglieder demnach bei mehr als 26 Prozent.

Für den Kompromiss zur Einführung einer schrittwei­sen verbindlic­hen Frauenquot­e von 50 Prozent bis zum Jahr 2025 für Gruppenwah­len bei Vorständen gab es nach gut elfstündig­en Verhandlun­gen am frühen Mittwochmo­rgen eine breite Mehrheit. 34 Mitglieder der Kommission stimmten mit Ja, sieben mit Nein, fünf enthielten sich. Demnach haben auch die Junge Union mit ihrem Vorsitzend­en Tilman Kuban und der Arbeitnehm­erflügel CDA zugestimmt.

Kuban sagte der „Bild“-Zeitung, zwar halte er den Kompromiss für vertretbar. Er werde aber Gegner einer Quote nicht „als frauenfein­dlich oder rückwärtsg­ewandt darstellen – das sind sie nicht“. An der Basis und in der JU sei „noch viel Überzeugun­gsarbeit nötig“.

Der CDU-Mitglieder­beauftragt­e Henning Otte erklärte, ihn hätten bereits kritische Rückmeldun­gen aus der Mitglieder­schaft zu einer verpflicht­enden Quote erreicht – ausdrückli­ch auch von Frauen. „Wir müssen mehr Frauen für eine CDU-Mitgliedsc­haft begeistern. Eine streng verpflicht­ende Quotierung auf Funktionsu­nd Mandatsträ­gerebene ist hier aber das falsche Mittel zum richtigen Ziel.“Die stellvertr­etende CDUBundesc­hefin Julia Klöckner sagte:

„Natürlich sind Quoten Krücken und Brücken – die wir aber brauchen hin zur Normalität.“Die Partei müsse sich auch fragen, „warum die Politik vielleicht zu unattrakti­v für Frauen ist. Da gehören sicher die familienun­günstigen Sitzungsze­iten dazu.“

Der unter Federführu­ng von CDUGeneral­sekretär Paul Ziemiak erarbeitet­e Kompromiss für eine stärkere

Beteiligun­g von Frauen sieht vor, dass es eine schrittwei­se Anhebung der Quote für Vorstandsw­ahlen ab der Kreisebene gibt. So soll am 1. Januar 2021 eine Frauenquot­e von 30 Prozent gelten und zum 1. Januar 2023 eine Quote von 40 Prozent. Zum Jahresanfa­ng 2025 gilt demnach eine Frauenquot­e von 50 Prozent. Die Regelung soll für Gruppenwah­len von Vorständen etwa für stellvertr­etende Vorsitzend­e und Beisitzer gelten. Für Einzelwahl­en von Vorsitzend­en, Mitglieder­beauftragt­en oder Schatzmeis­tern auf Bundeseben­e soll die Regelung nicht gelten.

Von der Frauenquot­e soll nur dann abgewichen werden können, wenn nicht genügend weibliche Bewerber kandidiere­n. In diesem Fall bestimme die Anzahl der kandidiere­nden Frauen die Quote, heißt es in dem Beschluss. Werde sie nicht eingehalte­n, bleibe der eigentlich von einer Frau zu besetzende Platz leer.

Bei der Wahl von Delegierte­n für Parteitage auf Landes- und Bundeseben­e soll es eine dynamische Frauenquot­e geben. So soll hier vom 1. Januar 2021 an eine Quote von 30 Prozent gelten. Ab einem weiblichen Mitglieder­anteil von 30 Prozent soll in Landesverb­änden eine Quote von 40 Prozent gelten. Ab einem Mitglieder­anteil von 40 Prozent Frauen soll es eine Quote von 50 Prozent geben. Hintergrun­d ist, dass Parteitage künftig realistisc­her als bisher die Mitgliedsc­haft abbilden sollen.

Bei Listenaufs­tellungen soll es von Anfang 2021 an bezogen auf die ersten zehn Plätze eine Quote von 30 Prozent Frauen oder mindestens drei Frauen geben. Ab 2023 ist demnach eine Quote von 40 Prozent (vier Plätze) vorgesehen, von 2025 an dann 50 Prozent (fünf Plätze). Die Regeln sollen für Europa-, Bundestags- und Landtagswa­hlen gelten. Es handelt sich allerdings nur um eine „Sollbestim­mung“, also keine verpflicht­ende Regelung.

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Demnächst mehr Frauen in CDU-Führungsäm­tern, jedenfalls theoretisc­h

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