Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
CDU streitet über geplante Frauenquote
Kompromiss sieht 50-Prozent-Regelung ab 2025 vor – Widerstand an der Basis
BERLIN/STUTTGART/RAVENSBURG Die CDU-Spitze will ihre Partei reformieren: Die Satzungskommission der Christdemokraten stimmte am Mittwoch nach mehr als elfstündiger Debatte und hitzigen Diskussionen für die Einführung einer verbindlichen Frauenquote. Bis 2025 müssen demnach Parteivorstände ab der Kreisebene je zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzt sein. Auch soll die Lesben-und-Schwulen-Union (LSU) als offizielle Parteiorganisation anerkannt werden. Das letzte
Wort hat jedoch der Bundesparteitag im Dezember – und dort droht Widerstand.
Unterstützung für die Pläne kam aus Stuttgart. Susanne Eisenmann, CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden März, sagte: „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.“Dies löse aber nicht das Problem, in der Fläche genug Frauen zu finden, die für Spitzenposten kandidieren wollen. „Wir brauchen das klare Signal, das ist heute gekommen“, sagte sie. „Und dann wünsche ich mir, das darf ich sagen als Frau, dass Frauen mehr Mut, mehr Ego zeigen. Und wir brauchen eine entsprechende Kultur in der Partei.“
Diese Kultur lasse sich auch ohne Quote erreichen, meinen Kritiker an der Basis – etwa der Ravensburger CDU-Kreisvorsitzende Christian Natterer. „Kompetenz, Einsatz und Leistung sollten zählen, nicht das Geschlecht“, sagte er am Mittwoch der „Schwäbischen Zeitung“. So liege sein Kreisverband auch ohne Quote und „Einmischung von oben“bei Delegiertenwahlen bei mehr als 50 Prozent Frauenanteil. „Wir stellen die Kanzlerin, die Parteivorsitzende und die EUKommissionspräsidentin, ganz ohne Quote“, sagte Natterer. Auch die Junge Union Baden-Württembergs lehnt die Einführung strikt ab. JU-Chef Philipp Bürkle kündigte an, dagegen kämpfen zu wollen. Die CDU hatte Ende Mai rund 402 000 Mitglieder. Bei den Neumitgliedern liegt der Anteil der Frauen bei 30 Prozent, in der CDU insgesamt bei gut 26 Prozent.
Der Streit kommt wenig überraschend. Bei der Schwesterpartei CSU war Parteichef Markus Söder im Herbst 2019 gescheitert, die Quote zu etablieren. Obwohl sich der Vorstand zuvor einig war, schmetterten die Delegierten beim Parteitag den Vorstoß ab, darunter zahlreiche Frauen.
BERLIN (dpa) - Die CDU will sich mit einer verbindlichen schrittweisen Frauenquote und der formellen Einbindung der Lesben und Schwulen in die Parteiarbeit reformieren. Im 75. Jahr des Bestehens der Partei stellte die Struktur- und Satzungskommission der CDU dafür am Mittwoch wichtige Weichen. Mehr als 50 Satzungsänderungen sind geplant, mit denen die Partei sich unter anderem stärker der Digitalisierung öffnen und moderner werden will. Auf die Beschlüsse gab es unterschiedliche Reaktionen – auch in der CDU.
Eine Entscheidung treffen die 1001 Delegierten des Wahlparteitags Anfang Dezember in Stuttgart. Dort dürfte es eine sehr kontroverse Debatte gerade über die Frauenquote geben. Denn auch unter weiblichen CDUMitgliedern lehnen etliche eine Quote ab. CSU-Chef Markus Söder war im vergangenen Jahr auf einem Delegiertentreffen seiner Partei mit Vorschlägen für eine Ausweitung der Frauenquote gescheitert – Söder konnte ein Desaster nur mit Mühe und Not per Kompromiss abwenden.
Stimmt der CDU-Parteitag den Änderungen zu, dürfte sich die scheidende Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer einen wesentlichen Anteil an den Reformen zugute halten. Knapp ein Jahr vor dem Ende der Ära von Kanzlerin Angela Merkel, die bei der Bundestagswahl 2021 nicht mehr antritt, ginge damit die Modernisierung der CDU weiter. Merkel hatte die Partei vom Jahr 2000 an bis 2018 geführt und eine stärkere Öffnung hin zur politischen Mitte betrieben. In Stuttgart soll die Wahl eines Nachfolgers von Kramp-Karrenbauer im Zentrum stehen.
Die CDU hatte Ende Mai 402 000 Mitglieder. Bei den Neumitgliedern liegt der Anteil der Frauen nach Parteiangaben bei 30 Prozent. In der CDU liegt der Anteil weiblicher Mitglieder demnach bei mehr als 26 Prozent.
Für den Kompromiss zur Einführung einer schrittweisen verbindlichen Frauenquote von 50 Prozent bis zum Jahr 2025 für Gruppenwahlen bei Vorständen gab es nach gut elfstündigen Verhandlungen am frühen Mittwochmorgen eine breite Mehrheit. 34 Mitglieder der Kommission stimmten mit Ja, sieben mit Nein, fünf enthielten sich. Demnach haben auch die Junge Union mit ihrem Vorsitzenden Tilman Kuban und der Arbeitnehmerflügel CDA zugestimmt.
Kuban sagte der „Bild“-Zeitung, zwar halte er den Kompromiss für vertretbar. Er werde aber Gegner einer Quote nicht „als frauenfeindlich oder rückwärtsgewandt darstellen – das sind sie nicht“. An der Basis und in der JU sei „noch viel Überzeugungsarbeit nötig“.
Der CDU-Mitgliederbeauftragte Henning Otte erklärte, ihn hätten bereits kritische Rückmeldungen aus der Mitgliederschaft zu einer verpflichtenden Quote erreicht – ausdrücklich auch von Frauen. „Wir müssen mehr Frauen für eine CDU-Mitgliedschaft begeistern. Eine streng verpflichtende Quotierung auf Funktionsund Mandatsträgerebene ist hier aber das falsche Mittel zum richtigen Ziel.“Die stellvertretende CDUBundeschefin Julia Klöckner sagte:
„Natürlich sind Quoten Krücken und Brücken – die wir aber brauchen hin zur Normalität.“Die Partei müsse sich auch fragen, „warum die Politik vielleicht zu unattraktiv für Frauen ist. Da gehören sicher die familienungünstigen Sitzungszeiten dazu.“
Der unter Federführung von CDUGeneralsekretär Paul Ziemiak erarbeitete Kompromiss für eine stärkere
Beteiligung von Frauen sieht vor, dass es eine schrittweise Anhebung der Quote für Vorstandswahlen ab der Kreisebene gibt. So soll am 1. Januar 2021 eine Frauenquote von 30 Prozent gelten und zum 1. Januar 2023 eine Quote von 40 Prozent. Zum Jahresanfang 2025 gilt demnach eine Frauenquote von 50 Prozent. Die Regelung soll für Gruppenwahlen von Vorständen etwa für stellvertretende Vorsitzende und Beisitzer gelten. Für Einzelwahlen von Vorsitzenden, Mitgliederbeauftragten oder Schatzmeistern auf Bundesebene soll die Regelung nicht gelten.
Von der Frauenquote soll nur dann abgewichen werden können, wenn nicht genügend weibliche Bewerber kandidieren. In diesem Fall bestimme die Anzahl der kandidierenden Frauen die Quote, heißt es in dem Beschluss. Werde sie nicht eingehalten, bleibe der eigentlich von einer Frau zu besetzende Platz leer.
Bei der Wahl von Delegierten für Parteitage auf Landes- und Bundesebene soll es eine dynamische Frauenquote geben. So soll hier vom 1. Januar 2021 an eine Quote von 30 Prozent gelten. Ab einem weiblichen Mitgliederanteil von 30 Prozent soll in Landesverbänden eine Quote von 40 Prozent gelten. Ab einem Mitgliederanteil von 40 Prozent Frauen soll es eine Quote von 50 Prozent geben. Hintergrund ist, dass Parteitage künftig realistischer als bisher die Mitgliedschaft abbilden sollen.
Bei Listenaufstellungen soll es von Anfang 2021 an bezogen auf die ersten zehn Plätze eine Quote von 30 Prozent Frauen oder mindestens drei Frauen geben. Ab 2023 ist demnach eine Quote von 40 Prozent (vier Plätze) vorgesehen, von 2025 an dann 50 Prozent (fünf Plätze). Die Regeln sollen für Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen gelten. Es handelt sich allerdings nur um eine „Sollbestimmung“, also keine verpflichtende Regelung.