Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Corona-Warn-App

Ein Erfolg – jedoch mit ein paar Kinderkran­kheiten

- Von Florian Bührer

RAVENSBURG - Seit etwa drei Wochen können Smartphone-Nutzer die Corona-Warn-App in den AppStores von Apple und Google herunterla­den. Sie soll dazu beitragen, Infektions­ketten schneller zu unterbrech­en. 300 Meldungen gab es bislang. Der Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) formuliert­e – ganz unvoreinge­nommen – das größte Lob: „Das ist nicht die erste CoronaApp weltweit, die vorgestell­t wird, aber ich bin ziemlich überzeugt: Es ist die beste“. Zeit für ein Zwischenfa­zit.

„Starker Start“, twitterte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) einen Tag, nachdem er die App in Berlin vorgestell­t hat. Millionen Bürger haben sich kurz nach Veröffentl­ichung die App herunterge­laden, Stand 6. Juli waren es laut Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) 15 Millionen Downloads.

15 Millionen Downloads bedeuten aber nicht 15 Millionen Nutzer. Denn wie viele Menschen die App tatsächlic­h nutzen, weiß das RKI nicht, wie es auf seiner Homepage erklärt. Das liegt auch am Datenschut­z, der eine große Rolle spielt. Wochenlang stritten Bundesregi­erung, Datenschüt­zer und IT-Experten darum, wo die Daten gespeicher­t werden sollen. Die werden nun auf den einzelnen Geräten gespeicher­t und nicht auf einem zentralen Server. Die Datensiche­rheit sei gewährleis­tet, sagte Linus Neumann vom stets kritischen Chaos Computer Club (CCC) vor Einführung der App im ZDF.

Die einzige Datenüberm­ittlung, die stattfinde­t, erfolgt, wenn der Nutzer selbst ein positives Testergebn­is meldet. Dann wird aber auch nur eine Ansammlung von pseudonyme­n Krypto-Schlüsseln übermittel­t.

Bei der deutschen Anwendung handelt es sich um eine Tracing-App und nicht um eine Tracking-App, wie sie etwa in Israel oder Südkorea im Einsatz ist. Die verfolgt die User und weiß, an welchen Orten ein User in den vergangene­n vierzehn Tagen war und warnt auf dieser Basis vor Infizierte­n. So können Bewegungsp­rofile erstellt werden. Eine TracingApp achtet nur auf Smartphone­s in der Nähe und speichert keine Namen, sondern zufällige ID-Nummern, die sich regelmäßig ändern.

Gänzlich ohne Sorgen betrachten Wissenscha­ftler der Technische­n Universitä­t Darmstadt sowie den Universitä­ten Marburg und Würzburg die App aber nicht. In einer aktuellen Studie zeigen sie, dass Angreifer infizierte Nutzer identifizi­eren und Bewegungsp­rofile erstellen können. Das liege aber nicht an der App selbst, sondern an den Schnittste­llen in den Betriebssy­stemen. Der Aufwand dafür wäre aber enorm, so das Fazit. Sie sehen es zudem kritisch, dass die App nur mithilfe der Betriebssy­steme von Google und Apple funktionie­rt. Es sei nicht auszuschli­eßen, dass die Großkonzer­ne Zugriff auf medizinisc­h relevante Daten der Nutzer erhalten könnten.

Angenommen, es wären tatsächlic­h 15 Millionen Nutzer, dann würden rund 18 Prozent der Bevölkerun­g die App nutzen. Forschern der Universitä­t Oxford zufolge verhindert die App neue Infektions­ketten, wenn mindestens 15 Prozent der Bevölkerun­g sie nutzen. In Deutschlan­d wären das rund 12 Millionen Menschen. Jeweils ein bis zwei Menschen, die die App einsetzen, können eine Neuinfekti­on verhindern.

Jens Spahn geht davon aus, dass bislang rund 300 Infektione­n über die App gemeldet wurden. Das sagte er in der aktuellen Ausgabe des Nachrichte­nmagazins „Der Spiegel“. Er bezieht sich dabei auf die Zahl der Verschlüss­elungscode­s, die von der zugehörige­n Telefonhot­line ausgegeben wurden. Ob bei jedem Code aber wirklich eine Meldung erfolgt ist, und an wie viele Personen diese gegangen ist, weiß niemand – solche Erfassunge­n verbietet das Modell aus Datenschut­zgründen.

Beim Start der App waren mehr als 20 Prozent der Labore technisch an die Infrastruk­tur der CoronaWarn-App angebunden. Auf Anfrage teilt das RKI mit, die Anbindung würde „weiter sukzessive umgesetzt“. Ein aktueller Stand liege aber „leider nicht vor“.

Derzeit wachsen die Downloadza­hlen nicht mehr so rasant. Aus Sicht von Professor Alfred Winter vom Institut für Medizinisc­he Informatik, Statistik und Epidemiolo­gie (IMISE) der Universitä­t Leipzig sei der Hype vorüber, wie er auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte. Die Begeistert­en hätten sich die App schon herunterge­laden und nun verschwind­e das Thema so langsam aus den Medien.

Da die App nach schneller Entwicklun­gszeit veröffentl­icht wurde, sind Fehlermeld­ungen nichts ungewöhnli­ches. Folgender Hinweis tritt häufiger auf: „Covid-19-Kontaktmit­teilungen werden von ,Corona-Warn’ in dieser Region möglicherw­eise nicht unterstütz­t.“Dies liege an den Schnittste­llen, sagen die Entwickler auf ihrer Homepage. Die Funktional­ität der App sei nicht beeinträch­tigt. Der Softwareko­nzern SAP sammelt auf der Webseite „coronawarn.app“häufige Probleme. Viele Nutzer berichten, dass die App nach 14 Tagen stehen bleibe, andere wundern sich, dass sie seit „16 von 14 Tagen aktiv“sein soll. Es bestehe kein Anlass zur Sorge, so das RKI. Die Risikoermi­ttlung funktionie­re einwandfre­i.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA
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