Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Covid-19 hat zu einer richtigen Aufbruchstimmung geführt“
Tübinger Professor macht Hoffnung auf Corona-Impfstoff – Unter Hochdruck wird derzeit an klinischen Studien für eine Zulassung gearbeitet
TÜBINGEN/RAVENSBURG - An der Tübinger Universität entscheidet sich derzeit, ob es in absehbarer Zeit einen Impfstoff gegen das neue Coronavirus geben wird. Entwickelt wurde er von der biopharmazeutischen Firma CureVac. Auf dem Tübinger Unternehmen ruhen derzeit große Hoffnungen. Unter anderem bekommt es von der Europäischen Investitionsbank (EIB) einen Kredit von 75 Millionen Euro, um die Herstellung von Impfstoffen auch gegen das Coronavirus voranzutreiben, wie zuletzt bekannt wurde. Die klinischen Studien für eine Zulassung führt nun das Tropeninstitut der Hochschule durch. Uwe Jauß sprach mit dessen Leiter Professor Dr. Peter Kremsner, der es für möglich hält, dass der Impfstoff bereits im Winter einsatzbereit sein könnte.
Die Studie mit dem CureVacImpfstoffkandidat hat vor knapp drei Wochen angefangen. Wie läuft sie denn?
Im Wesentlichen ist alles gut. Wir sind am Anfang langsam vorgegangen. Mittlerweile läuft es schneller. Heute allein habe ich sieben Probanden geimpft.
Wie sehen die Phasen einer solchen Studie aus?
Für einen ersten Durchlauf sind kerngesunde Menschen nötig. Am ersten Tag ist eine erste Probandin geimpft worden. Sie hat den Impfstoff gut vertragen. Danach kamen drei weitere Probanden dran. Dies steigert sich jetzt in Etappen weiter. Ein unabhängiges Sicherheitskomitee muss dann entscheiden, dass nach den bisherigen Erfahrungen alles passt.
Und dann?
Dann beginnt eine zweite Stufe mit einer höheren Impfdosis. Danach gibt es noch eine dritte Stufe mit einer weiter erhöhten Dosis. Ist immer noch alles gut, werden dann Risikogruppen in die Impftests miteinbezogen, etwa Ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen. Der darauffolgende Schritt ist die sogenannte Zulassungsstudie. Das bedeutet, dass zwei Gruppen gebildet werden. Eine erhält ein Placeboprodukt, die andere den Impfstoff. Es wird dann getestet, wie viele aus jeder Gruppe an Covid-19 erkranken – ob der Impfstoff also tatsächlich funktioniert oder eben nicht. Diese Phase wollen wir noch in diesem Jahr abschließen.
Wie viele Menschen nehmen an der Studie teil?
In Tübingen sind es bisher über 50 Freiwillige. An den drei weiteren Teststandorten Gent, München und Hannover kommen noch weitere hinzu. Die meisten werden aber bei uns in Tübingen geimpft. Auswahl haben wir genügend. Rund 1500 Menschen haben sich gemeldet, um an der Studie teilzunehmen.
Wer hat sich für die Studie gemeldet und darf daran teilnehmen?
Es sind Freiwillige und Gesunde im Alter von 18 bis 60 Jahren. Sehr viele sind Studierende aus Tübingen oder auch Mitarbeiter von der Universität. Eben habe ich eine Sprachwissenschaftlerin geimpft. Im Prinzip wollen die Leute einen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten.
Bekommen die Probanden eine Aufwandsentschädigung?
Pro Visite sind 100 Euro vorgesehen. Visite bedeutet beispielsweise Voruntersuchung, Impfung, Gespräch im Nachgang et cetera.
Zu welchem Zeitpunkt könnte eine vorläufige Zulassung des Impfstoffes möglich sein?
Wenn alles gut läuft, könnte es bereits im Winter so weit sein – oder sonst eben im Frühjahr.
Das scheint erstaunlich schnell zu gehen. Sonst wird doch mit mindestens
zehn Jahren bis zur Entwicklung und Zulassung eines medizinischen Produkts gerechnet. Zumindest sagen dies Fachkreise ...
In diesem Fall ist es anders. Die Pandemie hat zu einem sehr großen gesellschaftlichen Druck geführt. Alle warten auf einen Impfstoff. Deshalb gibt es auch große Geldsummen für die Forschung und Entwicklung. Kommissionen, die die entsprechende Arbeit bewilligen, arbeiten viel effizienter und schneller als bei anderen Projekten. Es werden eben Prioritäten gesetzt.
Wo gibt es sonst noch hoffnungsvolle Entwicklungen für einen Impfstoff ?
Covid-19 hat zu einer richtigen Aufbruchstimmung geführt. Weltweit existieren mehr als 200 Impfstoffprogramme. Die meisten sind noch in der präklinischen Phase. Mindestens 15 davon befinden sich aber bereits in der klinischen Testphase. Insgesamt gesehen ist dies eine erhebliche Menge an Programmen in kurzer Zeit. Immerhin wurde das Virus erst Anfang Januar von chinesischen Kollegen beschrieben. Das war der Startschuss.
Bisher hat sich das anfangs beschriebene Virus auch nur wenig verändert. Ein großer Vorteil. Alle großen und mittleren Forschungszentren sind an Impfstoffentwicklungen beteiligt.
Wo steht Tübingen in dieser Entwicklung?
Wir in Tübingen sind ganz vorne mit dabei bei der Impfstoffentwicklung. Einige chinesische und amerikanische Einrichtungen sind aber noch schneller und befinden sich bereits in den Erprobungsphasen zwei oder drei. Laut Medienberichten hat Chinas Militär inzwischen einen Impfstoff für den internen Gebrauch zugelassen.
Auf welcher Basis funktioniert der nun in Tübingen erprobte Impfstoff ?
Das in Tübingen beheimatete biopharmazeutische Unternehmen CureVac hat einen Impfstoff auf der Basis des Botenmoleküls mRNA entwickelt. Dieses führt zur Bildung von Virus-Eiweiß in menschlichen Zellen und löst beim Menschen eine Immunreaktion aus. Sie soll vor dem Virus schützen.
Wäre eine schnelle Massenproduktion möglich?
Ja, auf jeden Fall. Man könnte rasch 100 Millionen Dosen produzieren. Die Herstellung soll ja in Tübingen sein. Vorbereitungen dafür laufen bereits.
Sie leiten ja das Institut für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie der Uni Tübingen, also jene Einrichtung, von der die Tests vorgenommen werden. Wie stark ist denn Ihr Institut gegenwärtig von den entsprechenden Arbeiten belastet?
Covid-19 ist seit März unser Hauptgebiet geworden. Das Virus nimmt den größten Teil unserer Arbeit ein. Andere Bereiche wie etwa die Malariaforschung sind zurzeit in den Hintergrund gerückt. Allein im Bereich des neue Coronavirus sind wir mit drei klinischen, interventionellen Studien beschäftigt: eine zum Impfstoff und zwei zur medikamentösen Behandlung von Covid-19-Patienten mit Hydroxychloroquin. Mehr als 50 meiner Leute machen da mit, ein tolles Team.
Was bedeuten die Arbeiten für Sie persönlich?
Mein Arbeitspensum hat sich wieder auf fast 100 Stunden in der Woche gesteigert. Auch übers Wochenende geht es weiter. Wegen internationaler Videokonferenzen sind auch die Nachtstunden nicht tabu. Ansonsten ist es natürlich ein spezielles Gefühl, bei einem solchen zentralen Projekt mittendrin dabei zu sein.