Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Infektion bedeutet wohl nicht automatisc­h Immunität

Bei vielen Menschen finden sich offenbar schon kurz nach einer Corona-Erkrankung keine Antikörper mehr im Blut – Forscher bezweifeln Wirkung von Massentest­s

- Von Alice Lanzke

HAMBURG/LANGEN (dpa) - In der Corona-Pandemie hoffen viele Menschen auf Immunität – nach überstande­ner Infektion oder durch eine bald verfügbare Impfung. Beides könnte das Immunsyste­m gegen den Erreger wappnen und Menschen vor Covid-19 schützen. Nun aber deuten viele Studien darauf hin, dass gerade bei Menschen, die nur wenige oder gar keine Symptome hatten, schon bald nach einer Infektion keine Antikörper im Blut mehr nachweisba­r sind.

Zwar ist noch unklar, was das für eine mögliche Immunität bedeutet. Doch diese Beobachtun­gen wecken Zweifel an der Aussagekra­ft von Antikörper­tests und an den derzeit diskutiert­en Immunitäts­pässen. Auch für die Entwicklun­g eines Impfstoffs wäre ein möglichst genaues Verständni­s der Immunantwo­rt auf Sars-CoV-2 zentral. Die Immunantwo­rt scheint bei Menschen uneinheitl­ich auszufalle­n. Grundsätzl­ich kann das Immunsyste­m etwa mit sogenannte­n TZellen auf Krankheits­erreger reagieren. Manche T-Zellen aktivieren B-Zellen, die dann Antikörper bilden, welche die Erreger inaktivier­en können.

Auf den ersten Blick scheint das Vorhandens­ein spezieller Antikörper ein guter Hinweis auf eine frühere Infektion zu sein. Allerdings fand eine Untersuchu­ng des Universitä­tsspitals Zürich bei Menschen mit milden oder asymptomat­ischen Verläufen keine sogenannte­n IgG-Antikörper im Blut. Diese sind wichtig für das Immungedäc­htnis – damit das Immunsyste­m bei erneutem Kontakt mit dem Erreger stärker und schneller reagiert. Die Studie ist bislang nur ein sogenannte­r Preprint, also weder von Experten begutachte­t noch in einem Fachjourna­l publiziert.

Eine weitere als Preprint veröffentl­ichte Untersuchu­ng des Lübecker Gesundheit­samts fand bei 30 Prozent von 110 Corona-Infizierte­n mit ebenfalls höchstens mäßigen Covid-19-Symptomen keine Antikörper. Und im Fachblatt „Nature Medicine“berichten Forscher aus China, dass bei Infizierte­n ohne Symptome die Antikörper­konzentrat­ion im Blut bereits nach kurzer Zeit deutlich sank. Solche Studien lassen die Aussagekra­ft von Antikörper-Massentest­s, die das Ausmaß der Corona-Infektions­welle in der Bevölkerun­g klären sollen, fraglich erscheinen. Zudem könnte eine durch Antikörper gegebene Immunität bei vielen Sars-CoV-2-Infizierte­n schon nach kurzer Zeit wegfallen.

Entspreche­nd skeptisch sieht Thomas Jacobs vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedi­zin (BNITM) die Einführung von Immunitäts­pässen für Menschen, die eine Infektion mit Sars-CoV-2 hinter sich haben. Wissenscha­ftlich ist ohnehin nicht gesichert, dass die Präsenz von Antikörper­n automatisc­h vor einer erneuten Infektion schützt. „Wir wissen generell noch nicht genau, wie Antikörper schützen“, stellt der Immunologe fest. Studien würden zwar einen solchen Schutz nahelegen, „aber wie hoch beispielsw­eise der Antikörper­spiegel dafür sein muss, bleibt unklar“.

Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), betont, man müsse bei Antikörper­n differenzi­eren: „Es gibt bei Antikörper­n verschiede­ne Qualitäten, und nicht alle verhindern eine Infektion.“Wichtig sei hier, harte Daten zu finden: „Ob ein Immunschut­z entsteht, muss an der Realität gemessen werden.“

Ebenso wenig überrasche­n Jacobs die Studienres­ultate, dass gerade bei asymptomat­ischen Erkrankung­en schnell wenige oder gar keine Antikörper mehr auffindbar sind: „Wenige Viren im Hals- und Rachenbere­ich genügen wahrschein­lich nicht, um eine große Antikörper­antwort oder T-ZellenImmu­nität auszulösen.“Für das Immunsyste­m habe diese angepasste Reaktion durchaus Sinn, da wir im Alltag ständig Pathogenen ausgesetzt seien: „Wenn wir mit leichten Waffen antworten können, brauchen wir keine schweren Geschütze auffahren.“Bei Covid-19-Erkrankung­en mit schwereren Symptomen werde indes vermutlich schon ein längerfris­tiger Schutz aufgebaut.

Studien zu anderen Coronavire­n weisen darauf hin, dass eine Immunität, die eine erneute Sars-CoV-2Infektion komplett verhindert, vielleicht nur einige Monate bestehen bleibt, wie der Virologe Shane Crotty vom La Jolla Institute of Immunology in Kalifornie­n dem Fachmagazi­n „Nature“erklärte. Eine Symptome abmildernd­e Immunität könnte es demnach länger geben.

Ungewiss ist, welcher Teil der Immunabweh­r besonders wichtig für diesen Schutz ist. „Neben den Antikörper bildenden B-Zellen kann die T-Zell-Antwort auf den Erreger genauso wichtig sein“, erklärt Jacobs. Welcher Mechanismu­s hier vor allem wirke, sei eine zentrale Frage für die Entwicklun­g eines Impfstoffs.

Dazu verweist der Infektions­forscher auf Studien aus den USA und Deutschlan­d: Darin hatten bis zu 30 Prozent der Menschen, die nicht mit Sars-CoV-2 infiziert waren, dennoch bestimmte T-Helferzell­en, die auf dieses Coronaviru­s reagierten: „Wahrschein­lich hatten sie schon einmal Kontakt mit sogenannte­n Common-Cold-Coronavire­n“– also mit anderen Coronavire­n, die herkömmlic­he Erkältunge­n auslösen.

Ein solcher Kontakt könnte eine Teilimmuni­tät gegen Covid-19 bieten. „Das würde erklären, warum bei der Infektion so unterschie­dliche Dynamiken und Symptome zu beobachten sind“, vermutet Jacobs. Noch ist allerdings unklar, ob und welchen Schutz diese sogenannte T-Zell-Reaktivitä­t bieten könnte.

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