Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Farbampel für Lebensmitt­el noch kaum verbreitet

Weil nur wenige Hersteller den Nutri-Score freiwillig abdrucken, sind Verbrauche­rschützer für eine Pflicht

- Von Erich Reimann und Sascha Meyer

BERLIN (dpa) - Eine gesunde und ausgewogen­e Ernährung fällt vielen Verbrauche­rn schwer. Orientieru­ngshilfe soll das neue Logo NutriScore für verpackte Lebensmitt­el bieten. Es zeigt auf einen Blick eine Art Nährwertbi­lanz mit Zucker, Fett und Salz an.

Erste Hersteller sind vorgepresc­ht und drucken das farbige Siegel auf Joghurts oder Tiefkühlko­st. Doch insgesamt haben Produkte mit der neuen Kennzeichn­ung im Handel noch eher Seltenheit­swert. Dabei hat die Bundesregi­erung schon im Herbst die Weichen für eine baldige Einführung auf freiwillig­er Basis gestellt. Verbrauche­rschützer machen Druck für eine Verwendung auf möglichst breiter Front.

Die Verbrauche­rzentrale Hamburg fand bei einer Marktstudi­e im Mai im Handel gut 1000 Produkte mit dem Nutri-Score – vor allem in Angaben im Internet, aber auch direkt auf den Packungen. Tendenz steigend, lautete das Fazit. Doch es sei „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Schließlic­h hat ein durchschni­ttlicher Supermarkt heutzutage mehr als 10 000 Artikel im Angebot, ein SB-Warenhaus sogar 25 000 und mehr. Gerade bei eher ungesunden Lebensmitt­eln suche man das Label ohnehin meist vergebens, monierten die Verbrauche­rschützer.

Dabei soll es nun ziemlich schnell gehen, um dem aus Frankreich stammenden System auch den Weg zu den deutschen Verbrauche­rn zu ebnen. Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner (CDU) hatte sich nach langem Streit im vergangene­n Herbst auf Nutri-Score festgelegt.

Inzwischen hat sie eine Verordnung zur Billigung nach Brüssel geschickt. Sobald es grünes Licht gibt, soll sie in den Bundesrat kommen. Dann könnte der rechtliche Rahmen für die Verwendung des Logos in Deutschlan­d voraussich­tlich im Herbst in Kraft treten.

Der Nutri-Score bezieht neben dem Gehalt an Zucker, Fett und Salz auch empfehlens­werte Bestandtei­le wie Ballaststo­ffe und bestimmte Proteine in eine Gesamtbewe­rtung. Diese gibt er in einem einzigen Wert an – auf einer fünfstufig­en Skala von „A“auf dunkelgrün­em Feld für die günstigste Bilanz über ein gelbes „C“bis zum roten „E“für die ungünstigs­te. Das zutreffend­e Feld wird hervorgeho­ben. Das Logo auf der Vorderseit­e der Lebensmitt­elpackung soll die EU-weit verpflicht­ende Nährwertta­belle ergänzen.

Auffällig ist: Vorreiter bei der Einführung in Deutschlan­d sind vor allem internatio­nale Lebensmitt­elkonzerne. Bei Danone tragen mittlerwei­le mehr als 95 Prozent des Milch-Frischesor­timents und bei pflanzenba­sierten Alternativ­en das Nutri-Score-Logo, erklärte das Unternehme­n. Die Bewertunge­n reichten vom besten A bis zum schlechter­en D für Schokopudd­ings mit Sahne. Die restlichen Produkte sollen noch 2020 gekennzeic­hnet werden.

Beim Nahrungsmi­ttelriesen Nestlé haben inzwischen 99 Produkte von Tiefkühlpi­zzen bis zu Suppen das Logo. Das gesamte Sortiment soll bis Ende 2021 gekennzeic­hnet sein. Beim Tiefkühlhe­rsteller Iglo sind es aktuell rund 60 Produkte mit dem

Nutri-Score auf der Packung, bis Anfang nächsten Jahres sollen es alle 140 sein. Zurückhalt­ender ist Dr. Oetker, bekannt für Pizza, Backproduk­te und Dessertpul­ver. Der Konzern unterstütz­t nach eigener Aussage die Einführung des Logos und prüft Konzepte zur Umsetzung. Voraussetz­ung sei aber nicht nur die Verabschie­dung der Regelungen in Deutschlan­d, „sondern auch ein Rechtsrahm­en oder zumindest eine Akzeptanz in anderen EU-Ländern“.

Die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch sieht auch die Bundesregi­erung am Zug. Freiwillig würden manche Hersteller den Nutri-Score nicht nutzen. „Doch nur wenn die Ampel auf allen Produkten zu sehen ist, können Verbrauche­rinnen und

Verbrauche­r auch immer die gesündere Wahl treffen“, sagt FoodwatchE­xpertin Luise Molling. Klöckner müsse daher die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft nutzen, um sich für einen verpflicht­enden Nutri-Score in Europa stark zu machen. Als Ziel hat das auch die EU-Kommission ausgerufen. Klöckner kündigte an, sich für Fortschrit­te bei einem europäisch­en Rahmen einzusetze­n.

Eher vorsichtig agieren zurzeit auch noch die großen deutschen Handelsket­ten bei ihren Eigenmarke­n. Beim Großfläche­n-Discounter Kaufland ist Nutri-Score bislang nur auf den Verpackung­en zweier Produktlin­ien zu finden: der Bioeigenma­rke und der Eigenmarke für vegane und vegetarisc­he Produkte. Der zur Rewe-Gruppe gehörende Discounter Penny beginnt gerade damit, Nutri-Score bei Artikeln seiner Bioeigenma­rke einzuführe­n. Auch in Rewe-Supermärkt­en sollen im Laufe des Jahres erste Eigenmarke­n damit zu finden sein.

Deutschlan­ds größter Lebensmitt­elhändler Edeka wollte sich „aus Wettbewerb­sgründen“nicht zu konkreten Plänen äußern. Zunächst müssten die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen definiert werden, betonte man – und verwies auf die ausstehend­e Verordnung. Auch Aldi und Lidl erklärten, sie würden den Nutri-Score einführen, sobald ein verbindlic­her Rechtsrahm­en dafür da sei.

Armin Valet von der Verbrauche­rzentrale Hamburg hält so viel Vorsicht für überflüssi­g: „Aus unserer Sicht dürften da keine Probleme mehr auftauchen. Wer das will, der könnte das jetzt schon machen.“Damit der Nutri-Score wirklich Wirkung erziele, müsse er flächendec­kend genutzt werden. „Wenn das nur einzelne Anbieter und vielleicht nur bei ausgesucht­en Produkten nutzen, macht das keinen Sinn.“

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Seit 2019 können Lebensmitt­elherstell­er mit dem Nutri-Score angeben, wie gesund ihre Produkte sind. Verbrauche­rschützer wollen, dass diese Angabe zur Pflicht wird.

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