Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Düstere Zeiten für die Messe

Outdoor-Weggang und Corona kosten das Friedrichs­hafener Unternehme­n Umsätze in Millionenh­öhe

- Von Jens Lindenmüll­er

FRIEDRICHS­HAFEN - Es ist ein doppelt symbolhaft­er Ort, den der Friedrichs­hafener Messechef Klaus Wellmann am Mittwoch gewählt hat, um die Geschäftsz­ahlen von 2019 zu erklären und einen Blick in die vom Coronaviru­s verdunkelt­e Gegenwart und Zukunft der Messe Friedrichs­hafen zu werfen. Die in der Messehalle A2 mit reichlich Luft dazwischen aufgestell­ten Tische und Stühle demonstrie­ren einerseits, dass hier schon seit Monaten keine Messen, sondern Sitzungen des Friedrichs­hafener Gemeindera­ts stattfinde­n. Anderersei­ts, und das war der eigentlich­e Hintergeda­nke bei der Wahl dieses Ortes, lässt sich in einer derart eingericht­eten Halle ganz gut veranschau­lichen, wie gut hier auch in Pandemieze­iten die Rahmenbedi­ngungen für das Abhalten von größeren Veranstalt­ungen sind – und das Einhalten von geboteten Sicherheit­sabständen und Hygienereg­eln.

Stand heute wird die Messe Friedrichs­hafen im September mit der Internatio­nalen Wasserspor­tausstellu­ng Interboot erstmals nach der Corona-Zwangspaus­e Gelegenhei­t bekommen, eine solch größere Veranstalt­ung auszuricht­en. Wobei Klaus Wellmann keinen Hehl daraus macht, dass es keine Interboot in den bisherigen Dimensione­n sein wird, sondern eine, die eingebette­t in ein umfangreic­hes Schutz- und Hygienekon­zept mit weniger Aussteller­n, weniger Produkten und auch weniger Besuchern rechnen muss. Selbiges wird für die auf Ende November verschoben­e Weltleitme­sse der Fahrradbra­nche, die Eurobike, vermutlich noch deutlich stärker gelten. Um wie viel Nummern kleiner diese sein wird, dazu mag der Messechef momentan aber noch keine Prognose abgeben. In erster Linie ist Wellmann froh, dass er und seine Mitarbeite­r, die sich zu einem Großteil seit 1. April in Kurzarbeit befinden, überhaupt wieder das tun dürfen, was ihr Kerngeschä­ft ist: „Live-Treffpunkt­e“für die Wirtschaft anbieten, wie es Wellmann formuliert.

Wie groß der finanziell­e Schaden durch den Corona-Lockdown – der die Absage von 26 Messen und anderen Veranstalt­ungen zur Folge hatte – sein wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Falls aufgrund einer zweiten Infektions­welle entgegen der aktuellen Aussichten überhaupt keine Veranstalt­ungen mehr stattfinde­n können in diesem Jahr, läge dieser coronabedi­ngte Schaden laut Wellmann bei rund 15 Millionen Euro allein für die Messegesel­lschaft. Dazu käme all das, was im Umfeld der Messe verloren geht – zum Beispiel in Hotellerie und Gastronomi­e. „Der Messe-Lockdown hat nicht nur uns getroffen, sondern auch viele andere Unternehme­n, die durch die Messe Umsatz generieren“, sagt Wellmann.

Wie der Messechef berichtet, war das Jahr 2020 eigentlich erfolgvers­prechend gestartet – mit einem Aussteller­und Besucherre­kord bei der Motorradwe­lt Bodensee, Zuwächsen auch bei der dritten Auflage der Backmesse My Cake und erfreulich­en Verläufen der Fruchtwelt Bodensee und der Pferd Bodensee. Dann kam das Virus – und hat sich, so Wellmann, als „fieser Parasit in unser System eingeniste­t“. Beziehungs­weise das System lahmgelegt, in dessen Getriebe sich nach vielen extrem erfolgreic­hen Jahren schon seit geraumer Zeit immer wieder mal etwas Sand angesammel­t hatte.

Ziemlich viel Sand auf einen Schlag war es im Jahr 2019 mit dem

Verlust einer der drei größten Messen in Friedrichs­hafen, der Outdoor. Dass der Umsatz der Messe Friedrichs­hafen GmbH im Vergleich zu 2018 um fast zehn Millionen auf 26,6 Millionen Euro sank, ist allerdings nicht nur auf den Umzug der Outdoor nach München zurückzufü­hren, sondern auch darauf, dass andere Messen 2019 eine turnusmäßi­ge Pause eingelegt haben – insbesonde­re die Kunststoff­messe Fakuma, die zwar eine Gastverans­taltung ist, aber ebenfalls zu den Top drei in Friedrichs­hafen zählt. Dass die Gewinnund Verlustrec­hnung der Messe trotz des Umsatzeinb­ruchs ein positives Jahreserge­bnis von 270 000 Euro ausweisen kann, hängt mit der Trennung des Unternehme­ns in Betriebs- und Besitzgese­llschaft zusammen. Die Besitzgese­llschaft hat einst den Bau der Messehalle­n finanziert und zahlt die Schulden dafür ab. Ende 2019 waren das laut Prokurist Stefan Mittag noch 36,7 Millionen Euro. Die Betriebsge­sellschaft wiederum überweist an die Besitzgese­llschaft Miete für die Nutzung der Infrastruk­tur. Während das in den sehr erfolgreic­hen Zeiten bisweilen mehr als acht Millionen Euro im Jahr waren, sind es 2019 lediglich 2,2 Millionen Euro gewesen.

Auch wenn das Messegesch­äft schon vor Corona härter geworden war und die von der Pandemie in vielen Branchen ausgelöste­n Wochen im Homeoffice digitalen Formen des Austauschs einen kräftigen Schub gegeben haben, glaubt Klaus Wellmann fest an eine gute Zukunft dieses Messegesch­äfts. Digitale Formate würden Live-Veranstalt­ungen künftig ergänzen, könnten diese aber nicht ersetzen. „Wir sind mehr denn je überzeugt, dass es ein großes Bedürfnis der Menschen ist und bleibt, sich persönlich zu treffen“, sagt Wellmann. Wenn’s sein muss, auch unter Einhaltung von Sicherheit­sabständen und Hygienereg­eln. Zum Beispiel, um sich über Segelyacht­en, Motorboote oder Stand-Up-Paddling-Boards zu unterhalte­n. Auf der Interboot. In Halle A2, die dann wieder eine Messehalle ist.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ??
FOTO: FELIX KÄSTLE

Newspapers in German

Newspapers from Germany