Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Suizidversuch im Fasnetshäs
Amtsgericht verurteilt 47-Jährigen wegen schwerer Brandstiftung zur Bewährungsstrafe
BAD SAULGAU/MENGEN - Ein 47Jähriger aus Mengen ist am Mittwoch vor dem Amtsgericht Bad Saulgau wegen schwerer Brandstiftung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Der Mann wollte sich am Abend des 7. Januar aus Verzweiflung und Eifersucht das Leben nehmen, indem er in seiner Wohnung im Laubenganghaus in der Straße beim Holderstock absichtlich Feuer gelegt hatte – im Häs der Mengener Narrenzunft.
Nach sechs Monaten Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg nahmen am Mittwoch um 13.54 Uhr Justizbeamte dem Angeklagten die Fußschellen ab, die ihm einen Tag nach der Brandstiftung angelegt worden waren. Freunde und Bekannte, die den Prozess im Sitzungssaal ohne Masken, aber dafür korrekt mit CoronaMindestabstand gespannt verfolgten, konnten ihre Freude nicht mehr verbergen. Es flossen Tränen nach dem Gerichtsurteil des Amtsdirektors Klaus-Peter Zell, der den Angeklagten vor dem Gefängnis bewahrt. So sicher war das nicht, denn Staatsanwältin Fatma Kasap forderte in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten – allerdings ohne Bewährung.
Der zur Tatzeit Anfang Januar 46Jährige räumte die Vorwürfe ohne Wenn und Aber ein, schilderte dem Gericht, was ihn dazu bewogen hatte, Suizid begehen zu wollen. Im November 2019 hatte sich seine Frau vom Angeklagten getrennt, weil sie eine Beziehung zu einem anderen Mann begann – ausgerechnet zu seinem besten Freund, der Trauzeuge seiner zweiten Ehe war und Taufpate eines der sechs gemeinsamen Kinder zwischen zwei und 15 Jahren. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagte der Angeklagte, der es unter diesen Umständen zu Hause nicht länger aushielt, „weil sich die Situation dramatisch zuspitzte“. Er fand einen Platz in einem Mehrfamilienhaus der städtischen Notunterkunft mit Sozialwohnungen, wohnte dort mit seinen Möbeln auf knapp 25 Quadratmeter.
Der Angeklagte lebte zu diesem Zeitpunkt von der Sozialhilfe, verlor den Kontakt zu seinen Kindern, die inzwischen in der Obhut des Jugendamts sind, fühlte sich nutzlos auf der Welt. „Ich habe mich komplett aufgegeben.“Im Internet machte er sich deshalb schlau, auf welche Art und Weise er am schnellsten sein Leben beenden könne. Eine Stunde vor der Brandstiftung, gegen 19.30 Uhr, schrieb er dem neuen Freund seiner Frau, der ihn dermaßen enttäuscht hatte, per Whats’App eine Nachricht. „Was hast du mir angetan? Meinen Selbstmord kannst du dir in die Schuhe schieben.“Und weiter: „Heute sterben zwei Menschen: du, weil du ein Schwein bist, ich, weil ich nicht mehr kann.“Der Mann, so der forensische Psychiater Tobias Hölzl in seinem Gutachten, sei in einem psychischen Ausnahmezustand gewesen. Seine Frau, von er sich scheiden lassen wird, machte vor Gericht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und verließ nach wenigen Minuten wieder den Sitzungssaal.
Gegen 20.30 Uhr, nachdem er einen Abschiedsbrief verfasst hatte und sich mit einer Videobotschaft verabschieden wollte, verbarrikadierte er die Türen und Fenster, verschraubte sie mit Holzplatten mit der Absicht, dass das Feuer sich nicht ausbreiten könne. „Ich wollte nicht, dass jemand anderes zu Schaden kommt“, so der Angeklagte. Die Notunterkunft war zu diesem Zeitpunkt von vier Menschen bewohnt. Einem Gutachten zufolge soll die Gefahrenlage aufgrund der beinahe hermetischen Verriegelung tatsächlich eher gering gewesen sein. Der Mengener besorgte sich im alkoholisierten Zustand – etwa 2,5 Promille – als Brandbeschleuniger 20 Liter Heizöl und leerte es auf dem Boden aus. Mit einem Stück Papier steckte er das Öl in Brand und legte sich in seinem Häs der Mengener Narrenzunft, in der er seit vielen Jahren aktives Mitglied ist, auf das Sofa und schloss die Augen. Er habe bei seinem geplanten Suizid an alles gedacht, nur nicht daran, die Rauchmelder auszuschalten.
Die Feuerwehr Mengen rückte nach der Alarmierung aus und konnte den Mann, der eigentlich nicht mehr aufwachen wollte, zur rechten Zeit aus der Wohnung bergen. „Wir mussten durch das Fenster hinein, weil sich die Türe nicht öffnen ließ“, sagte ein Feuerwehrmann als Zeuge aus, der sich an eine völlig verrauchte Wohnung erinnerte und an einen Mann, der bereits bewusstlos war. Mit einer schweren Rauchvergiftung wurde der Verletzte ins Krankenhaus nach Biberach gebracht, bevor er einen Tag später dem Haftrichter vorgeführt wurde.
Psychiater Tobias Hölz führte indes weiter aus, dass der Angeklagte nicht vermindert schuldfähig gewesen und die Steuerungsfähigkeit vorhanden gewesen sei. „Das war an sich eine logische Tathandlung“, sagt Hölz über den ernsthaften Suizidversuch des Mannes mit etlichen Vorstrafen. Er sehe aber keine Wiederholungsgefahr. Der Angeklagte sei nach der sechsmonatigen Untersuchungshaft mit sich im Reinen. „Sechs Monate sind mehr als genug“, sagte der Angeklagte, der den größten Fehler seines Lebens gemacht habe. Als freier Mann auf Bewährung wolle er sich um seine Kinder kümmern, einen Beruf ausüben und auch der Narrenzunft treu bleiben.
Dazu müsse er aber, so Klaus-Peter Zell, bei einer Suchtberatung sein Alkoholproblem in den Griff bekommen und zudem 100 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten. Zell sei betreffend der Zukunftsperspektive skeptisch, hoffe aber, dass der Angeklagte nicht gegen die Bewährungsauflagen verstoße.