Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wirte kämpfen: „Wir sind noch nicht über den Berg“
Mit einer Aktion will die krisengebeutelte Gastronomie im Landkreis Ravensburg wieder mehr Gäste anlocken
RAVENSBURG - Seit Juli darf man nun auch ohne Mundschutz wieder einkehren – trotzdem bleibt der große Ansturm auf die Ravensburger Restaurants nach dem Corona-Lockdown nach wie vor aus. So hat die Kreisstelle Ravensburg des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes nun eine „Charmeoffensive“auf die Beine gestellt, wie Vorstandsmitglied Christian Skrodzki es formuliert. Unter dem Slogan „Ihr fehlt uns!“wollen die Wirte der Region wieder mehr Gäste anlocken. Das steckt dahinter.
Abgesehen davon, dass eine Maske nun auch in Innenräumen nicht mehr nötig ist (es sei denn, man geht zur Toilette), dürfen nun auch wieder bis zu 20 Personen an einem Tisch sitzen. Feiern dürfen sogar 100 Leute wieder gemeinsam, inklusive tanzen. Viele Hochzeiten, Firmenfeiern und Geburtstage sind aber bereits bis in den September hinein schon längst abgeblasen worden: Da die ganzen Caterings dadurch ins
Wasser fallen, hat etwa Martina Heiler von der „African Queen“mit großen finanziellen Einbußen zu kämpfen. Deshalb muss sie Personal einsparen und sagt auf SZ-Anfrage: „Wir kämpfen unter enormem persönlichen Arbeitseinsatz.“
Auch Skrodzki, der den „Hirschen“in Leutkirch-Urlau betreibt, räumt ein: All die ausgefallenen Feste „können wir nicht mehr aufholen“. Da sich viele Kollegen, insbesondere „Einzelkämpfer-Ehepaare“, derzeit große Zukunftssorgen machen, wurde die Idee mit der in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram lancierten „Ihr fehlt uns!“-Kampagne geboren: „Wir wollen unseren Gästen sagen: Ohne euch geht es nicht“, erläutert Skrodzki. Und zwar ohne zu jammern. Stattdessen verlosen Restaurants, die bei der Aktion mitmachen, Gutscheine. Verknüpft mit der Botschaft, dass es eben doch was anderes sei, ein Bier in geselliger Runde zu trinken oder beim Essen Leuten zu begegnen. Bisher sei die Resonanz von Wirten und Gästen auf die vor wenigen Tagen gestartete
Aktion gut, freut sich Skrodzki: „Da bewegt sich was.“
Das tut auch Not, denn in Isny und Leutkirch mussten unter dem Druck der Corona-Krise bereits Lokale schließen. Beim reinen Indoor-Geschäft hätten Gaststätten teilweise Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent im Vergleich zu Zeiten vor Corona, gibt Max Haller, Dehoga-Vorsitzender im
Kreis Ravensburg aus Waldburg, zu Protokoll.
Er rechnet gar mit einem Gastronomiesterben und prognostiziert, bis Mitte nächsten Jahres könnten rund 30 Prozent der hiesigen Betriebe verschwunden sein.
Einer der Gründe: Durch den Lockdown „fehlt uns der Frühjahrsspeck“, wie Wolfgang Kimpfler vom Ravensburger Gasthof „Ochsen“bedauert. Er rechnet für 2020 unterm Strich, „wenn alles gut geht“, mit einem Umsatzrückgang von insgesamt 40 Prozent. Weil viele Gäste die Maske als störend empfunden hätten und es eine generelle Unsicherheit gäbe, „was man denn nun darf und was nicht“, sei montags bis mittwochs teilweise tote Hose: „An diesen Tagen habe ich jetzt mittags zu“, zieht Kimpfler die Konsequenz. Dafür liefen die Abende von Donnerstag bis Samstag extrem gut: „Die Gäste freuen sich und haben das Gesellige beim Auswärtsessen vermisst“, so der „Ochsen“-Chef. Ihm haben nicht zuletzt seine drei Standbeine – Restaurant, Bar und Hotel – geholfen zu überleben.
Mehr Sorgen macht sich Kimpfler um kleine Restaurants: Die seien teilweise davon abhängig, ob und wie weit ihnen der jeweilige Vermieter entgegenkomme. Auch, ob das Weihnachtsgeschäft ohne den Christkindlesmarkt heuer laufe (Stichwort: Weihnachtsfeiern), sei ungewiss. Und so könnte es laut Kimpfler durchaus sein, dass es im Frühjahr 2021 für etliche Kollegen noch mal richtig eng werde: „Wir sind noch nicht über den Berg“, fürchtet er.
Ähnlich sieht es Ulrich Schmalz vom Gasthof „Engel“, bei dem bislang zwar nur 60 bis 70 Prozent des „normalen“Restaurantbetriebs wieder angelaufen ist, der aber trotzdem seinen Optimismus nicht verliert. Obschon viele Gäste verunsichert seien ,Angst vor Ansteckung oder aus Datenschutzgründen keine Lust hätten, ihre persönlichen Kontaktdaten zu hinterlassen, „sind wir zuversichtlich, dass wir es schaffen“, so Schmalz. Immerhin spüre man eine klare Tendenz dazu, dass nach und nach wieder mehr Gäste ausgehen.
Auch Nebeneffekte spielen eine Rolle: So ist etwa Martina Heiler zum einen froh, dass die Stadt Ravensburg ihr – gebührenfrei – mehr Außenbestuhlungsfläche zur Verfügung stellt. Zum anderen spüle ihr auch der Umstand, dass der Wochenmarkt momentan teilweise bis in die Herrenstraße hineinreicht, Essensgäste in den Laden.
Weitere Infos zur Kampagne online auf www.ihr-fehlt-uns.info