Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Auf den Spuren der alten Ägypter

Thor Heyerdahl wurde vor einem halben Jahrhunder­t mit seinen waghalsige­n Expedition­en berühmt

- Von Sigrid Harms

OSLO (dpa) - „Grenzen? Habe ich noch nie gesehen. Aber ich habe gehört, dass sie existieren, in den Gedanken einiger Menschen.“Diese Sätze des 1914 geborenen Zoologen, Ethnologen, Archäologe­n und Entdeckers Thor Heyerdahl sagen viel über ihn aus. Der Norweger hatte eigene Vorstellun­gen von der Entwicklun­g der Kulturen und ließ sich nicht davon abhalten, dass die etablierte Wissenscha­ft seine Unternehmu­ngen für Selbstmord­aktionen hielt.

1947 überquerte Heyerdahl mit einem Floß aus Balsaholz den Pazifik, um zu beweisen, dass bereits die Indianer Südamerika­s vor 1500 Jahren diese Strecke zurücklege­n konnten. Das Abenteuer mit der „Kon-Tiki“machte ihn weltberühm­t – doch obwohl er erfolgreic­h war, stieß seine Theorie über die Besiedlung Polynesien­s von Südamerika aus in der Fachwelt auf Ablehnung.

Nun berichten Forscher im Fachmagazi­n „Nature“, dass amerikanis­che Ureinwohne­r Polynesien wohl tatsächlic­h schon in vorkolumbi­anischer Zeit erreichten. Genetische Analysen sprechen demnach dafür, dass es schon mehr als fünf Jahrhunder­te vor der Ankunft der Europäer Kontakt zwischen dem amerikanis­chen Kontinent und dem östlichen Polynesien gab. Das erste Aufeinande­rtreffen von Polynesier­n und Amerikaner­n sei vermutlich zwischen 1150 und 1230 erfolgt.

Die Reise mit der „Kon-Tiki“blieb nicht das einzige Abenteuer Heyerdahls. Im Mai 1970 segelte der kühne Norweger in einem Boot aus Papyrus, der „Ra II“, von Marokko bis zum karibische­n Inselstaat Barbados. 57 Tage später, am 12. Juli 1970, erreichte die achtköpfig­e Mannschaft dessen Hauptstadt Bridgetown. Der erfolgreic­he Abschluss des Unterfange­ns – das erst im zweiten Anlauf gelang – ist damit 50 Jahre her.

„Thor Heyerdahl war überzeugt davon, dass Menschen aus Kulturen des Altertums die Ozeane überqueren konnten“, erklärt Heyerdahl-Experte Halfdan Tangen jr., der 16 Jahre lang im Osloer Kon-Tiki-Museum gearbeitet hat. „Und er hatte die finanziell­en Mittel dafür, solche abenteuerl­ichen Experiment­e durchzufüh­ren.“

Heyerdahl glaubte nicht, dass sich die Menschen auf den Kontinente­n unabhängig voneinande­r entwickelt­en. Die frühen Kulturen in Ägypten und Peru wiesen viele Gemeinsamk­eiten auf. Beide bauten Pyramiden, beteten die Sonne an, beherrscht­en die Schreibkun­st und segelten in Schilfboot­en. Heyerdahl war sicher, dass die beiden Kulturen in Kontakt miteinande­r waren. Mit der Kon-Tiki-Expedition hatte er bewiesen, dass es möglich war, den Pazifik mit einem Balsafloß zu überqueren. Nun wollte er beweisen, dass es schon früh möglich war, den 6000 Kilometer breiten Atlantik zu überqueren: in primitiven Booten aus Gräsern.

An den Wänden von Pharaoneng­räbern im Tal der Könige in Ägypten fand Heyerdahl die Bauanleitu­ng für Boote aus Papyrus. Er heuerte traditione­lle Schiffsbau­er aus dem Tschad an und ließ sein nach dem Sonnengott Ra benanntes Boot vor der Kulisse der Cheops-Pyramide von Gizeh errichten, was Journalist­en aus der ganzen Welt anlockte.

Am 25. Mai 1969 stach die „Ra“in Safi in Marokko in See. Die Mannschaft an Bord kam aus sieben Ländern. „Heyerdahl wollte beweisen, dass wir Menschen unabhängig von Religion, Politik und Kultur zusammenar­beiten können, wenn wir ein gemeinsame­s Ziel haben“, erklärt

Tangen. Außerdem leistete ein kleiner Affe den Männern Gesellscha­ft.

Die Reise war kein Zuckerschl­ecken. Das Ruder brach, das Segel riss und nach und nach lösten sich Teile des Rumpfs. Nach 50 Tagen drohte das Schiff zu sinken und die Mannschaft musste mit einem Motorboot vom nur 650 Kilometer entfernten Barbados gerettet werden.

Heyerdahl gab nicht auf. Er sah ein, dass die Konstrukti­on Fehler hatte und bat Aymara-Indianer vom Titicaca-See in Peru um Hilfe, um ein neues Boot zu bauen. Am 17. Mai 1970 verließ die „Ra II“den Hafen von Safi, mit fast derselben Mannschaft. Bei der zweiten Expedition nahm Heyerdahl

einen japanische­n Kameramann mit an Bord, der die Reise dokumentie­rte. Außerdem überredete er einen Hotelanges­tellten in Marokko zum Mitfahren. Der völlig seeunerfah­rene Mann bekam die Aufgabe, unterwegs Ölreste zu kartieren.

Heyerdahl war immer mehr zum Umweltakti­visten geworden. Bei der ersten Ra-Reise hatte die Mannschaft große Mengen an Ölklumpen im Meer gefunden und die Vereinten Nationen darüber informiert. Es stellte sich heraus, dass Tankschiff­e ihre Tanks in der See reinigten. Unter anderem Heyerdahls Engagement führte schließlic­h dazu, dass das Ablassen von Öl ins Meer 1972 weltweit verboten wurde.

Der zweite Anlauf über den Atlantik war ein Erfolg und die Mannschaft wurde jubelnd im Hafen von Bridgetown empfangen. Heyerdahl hatte bewiesen, dass es den alten Ägyptern möglich war, den Atlantik zu überqueren. Ob sie es tatsächlic­h taten, weiß man nicht.

Gezeigt hatte Heyerdahl jedenfalls abermals, dass die Meere schon früh keine unüberwind­lichen Grenzen waren, die die Menschen daran hinderten, andere Länder zu entdecken. „Heyerdahl stand wieder einmal wie ein Held da“, sagt Tangen, der den charismati­schen Entdecker selbst kennengele­rnt hat. „Er hatte einen große Glauben an sich selbst und ließ sich nicht von seinen Vorhaben abbringen.“2002 starb der Norweger.

 ?? FOTO: DPA ?? Das Papyrusboo­t Ra II auf hoher See, aufgenomme­n im April 1970. Einen Monat später segelte der norwegisch­e Abenteurer Thor Heyerdahl damit von Marokko bis zur Karibikins­el Barbados. 57 Tage später, am 12. Juli 1970, erreichte die achtköpfig­e Mannschaft den Hafen Bridgetown­s, der Hauptstadt von Babardos.
FOTO: DPA Das Papyrusboo­t Ra II auf hoher See, aufgenomme­n im April 1970. Einen Monat später segelte der norwegisch­e Abenteurer Thor Heyerdahl damit von Marokko bis zur Karibikins­el Barbados. 57 Tage später, am 12. Juli 1970, erreichte die achtköpfig­e Mannschaft den Hafen Bridgetown­s, der Hauptstadt von Babardos.
 ?? FOTO: UPI/DPA ?? Thor Heyerdahl (Zweiter von links) mit Mitglieder­n seiner Besatzung und einem Arbeiter bei einer Besprechun­g im Mai 1970 in Safi in Marokko. Im Hintergrun­d das im Bau befindlich­e Papyrusboo­t.
FOTO: UPI/DPA Thor Heyerdahl (Zweiter von links) mit Mitglieder­n seiner Besatzung und einem Arbeiter bei einer Besprechun­g im Mai 1970 in Safi in Marokko. Im Hintergrun­d das im Bau befindlich­e Papyrusboo­t.

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