Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Gut schlafen will gelernt sein
Das Allgäu setzt auf Kneipp und die innere Ordnung
Sascha Maurer muss es wissen. Der Psychologe und Coach gibt zu. „Vor Jahren, als ich ständig unterwegs war und fast einen Burn-out hatte, habe ich verdammt schlecht geschlafen.“Inzwischen lebt er anders, hat, wie er es ausdrückt, „radikal ein paar Dinge geändert“, wohnt im Allgäu und hat eine Praxis für Coaching. Dass er wieder „in seiner Mitte ist“liegt vor allem auch an den Veränderungen seines Lebensstils, sagt der 54-Jährige. „Seither schlafe ich wieder gut und weiß, wie wichtig das für ein gutes Leben ist.“
Seine Erfahrungen und sein Wissen will er künftig weitergeben. Nicht nur an Führungskräfte in seinen Coachings, sondern in Kürze auch an Füssener Kurgäste. „Schlafen ist lernbar“, weiß der Psychologe. In einem dreiwöchigen, auf Kneipp’schen Naturheilverfahren basierenden Präventionsprogramm namens „Gesunder Schlaf durch innere Ordnung“sollen Menschen lernen, ihre Lebensgewohnheiten zu ändern. „Das geht nicht von heute auf morgen“, so der Schlafexperte. Die Kurgäste erfahren in ihren Gruppenstunden dabei viel über die innere Uhr, den Tee am Abend oder warum Menschen in die Kategorien Lerchen (Frühaufsteher) und Eulen (Nachtmenschen) eingeteilt werden. Angesprochen werden alle, die lebensstilbedingt schlecht schlafen. „Wer organische Ursachen für Schlafstörungen hat, muss ärztlich behandelt werden.“Für schwierige Fälle besteht auch eine Kooperation mit dem Kemptener Schlaflabor.
Zusammen mit dem Füssener Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier hat die Allgäustadt scheinbar aufs richtige Pferd gesetzt und in einer Zeit, in der immer mehr Menschen unter Schlafmangel und Schlafproblemen leiden, diesen weiteren gesundheitlichen Aspekt ins Tourismus-Portfolio aufgenommen. Fredlmeier wundert sich inzwischen, „dass wir nicht schon früher draufgekommen sind.“Die „innere Ordnung“ist immerhin eine der fünf Kneipp’schen Säulen – neben Wasser, Ernährung, Heilpflanzen und Bewegung.
Natürlich spielt Sebastian Kneipp, dessen 200. Geburtstag nächstes Jahr gefeiert wird, in vielen Allgäustädten eine Rolle. Frische Luft, gute Ernährung, das Wissen um die Heilkraft von Kräutern und die Kneipp’schen Wasseranwendungen sind auch in Orten wie Kempten, Ottobeuren, Bad Wurzach oder Bad Grönenbach Teil des Angebots von Gäste- und Tourismusämtern. Die meisten haben Kneipp-Wassertretanlagen, alle bieten Kräuterführungen an. Und mehr. „Zum Waldbaden müssen Sie bei uns nur vor die Tür treten“, sagt beispielsweise Monika Link, die Leiterin der Kur- und Gästeinformation in Bad Grönenbach. Naturerlebnispfade, Barfußwege und Themenwanderwege gibt es allerorten. Auch auf den Weitwanderwegen der Wandertrilogie Allgäu stößt man immer wieder auf Kneipp und seine mehr als 120 Jahre alten ganzheitlichen Gesundheitsaspekte. „Es ist schon erstaunlich, wie aktuell Kneipp bei uns gerade ist“, meint Link, „das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen natürlichen Prozessen und der Gesundheit der Menschen hat er einfach ganz früh erkannt.“Bad Grönenbach ist Kneipp-Heilbad und braucht, wie viele andere Allgäuorte auch, fürs „Bad“kein Thermalwasser. Privatkliniken und Sanatorien gibt es im kleinen Ort gleich mehrere. Bewegungs-, Hydro- oder Ordnungstherapien werden dort genauso angeboten wie Burn-out-Prophylaxe oder „Der Weg zum richtigen Atmen“.
Jetzt kommt also noch der Schlaf dazu. Dabei hat Füssen eigentlich schon genug zu bieten: Berge, viele Seen und die Märchenschlösser. Der Tourismuschef setzt trotzdem alles daran, dass das Schlafen ganz groß rauskommt und bald die ersten Kurgäste für eine ambulante Gruppenschlafkur ins Allgäu reisen. Die Kompaktkur ist bereits von der kassenärztlichen Vereinigung anerkannt, das Genehmigungsverfahren zur Finanzierung durch die Krankenkassen läuft noch.
„Es ist so ein wichtiges Thema“, sagt er und gibt sich diesbezüglich zuversichtlich. Wurde doch im letzten Jahr zusammen mit Wissenschaftlern der Ludwig-MaximiliansUniversität München eine mehrjährige Studie abgeschlossen, bei der 100 Probanden – größtenteils Frauen, im Schnitt 45 Jahre alt – die dreiwöchige Schlafkur absolviert hatten. „Die Ergebnisse sind eindeutig“, so Fredlmeier, „fast alle konnten von unserem Programm profitieren.“Er erklärt auch gleich, was eindeutig bedeutet: „75 Prozent der Teilnehmer schlafen sogar ein halbes Jahr nach Ende der Studie immer noch besser als zu Beginn“.
Aber nicht nur die dreiwöchige Kneipp-Schlafkur wird in Füssen angeboten. In und um die Allgäustadt werden auch Urlauber in Hotels und Pensionen zum Thema Schlaf beraten. Hoteliers wie Wolfgang Sommer sind sogenannte „Schlafgastgeber“. Sie legen den Gästen Lesestoff in Form einer Schlaffibel auf den Nachttisch, haben gute Matratzen und eine Kissenbar im Haus, können die Räume verdunkeln, verteilen Ohrenstöpsel, Wärmflaschen, Schlafmasken und Tipps. „Ein basisches Fußbad am Abend wirkt Wunder“, so der Hotelier, „genau wie eine kleine Radtour vor dem Schlafengehen oder rötliches Einschlaflicht.“Dass Handys und Computer vor der Tür bleiben sollen und der Sofaschlaf vor dem Fernseher schlecht ist, gehören für ihn zum Allgemeinwissen. Auch, dass Rituale bei Schlafbeschwerden helfen, und das Badezimmerlicht nicht zu hell sein soll. Und der Psychologe und Schlafexperte Sascha Maurer, der bald achtköpfige Gruppen als Seminarleiter über den Schlaf aufklären soll, fügt noch hinzu: „Allein schon das Reden über Schlafprobleme hilft.“Das hat wohl auch die Studie gezeigt: Gemeinsames Leid ist halbes Leid. Dass sich zur Studie hauptsächlich Frauen gemeldet hätten, findet Maurer übrigens logisch. „Die haben oft eine klarere Sicht auf ihren Körper und trauen sich viel eher, Schwächen zuzugeben.“
Die Nachfrage scheint groß zu sein. in Füssen gibt es bereits eine Warteliste für Schlafkur-Interessierte.
Weitere Informationen: www.fuessen.de, www.bad-groenenbach.de, www.wandertrilogie-allgaeu.de
Die Recherche wurde unterstützt von der Allgäu GmbH und Füssen Tourismus