Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Uran als Verhandlungsmasse
Iran verstößt gegen das Atomabkommen – Welche Taktik dahinter steckt
ISTANBUL - Hinter einer sandfarbenen Mauer südwestlich von Teheran verbirgt sich ein Geheimnis des iranischen Atomprogramms. Im Dorf Turkusabad haben die Iraner nach Angaben Israels bis zu 300 Tonnen radioaktives Material gelagert. Die internationale Atomenergiebehörde IAEA ist alarmiert.
Iranische Medien dementieren: Hinter der Mauer liege nur eine harmlose Reinigung für Teppiche. Doch die Atomkontrolleure der IAEA haben die iranischen Behörden jetzt aufgefordert, Antworten auf eine Untersuchung zu geben, die Spuren von atomarem Material in Turkusabad nachgewiesen hatte. Was Teheran bisher an Erklärungen geliefert habe, sei unglaubwürdig. Der Verdacht, Iran baue heimlich an einer Atombombe, erhält neue Nahrung. Und dafür gibt es neben dem Geheimnis von Turkusabad noch andere Gründe.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnet die Anlage in Turkusabad als „atomares Lagerhaus“. Ganz in der Nähe hatten israelische Agenten vor zwei Jahren das Geheimarchiv des iranischen Atomprogramms ausgehoben. Vor den Vereinten Nationen in New York erklärte Netanjahu damals, die Iraner seien dabei, das Lager in Turkusabad zu räumen: 15 Schiffscontainer voller Material würden fortgeschafft. Als internationale Inspektoren im vergangenen Jahr dort Proben nahmen, war das Lager leer. Doch die Experten fanden dennoch Spuren von Atommaterial.
Die Enthüllungen müssen nicht bedeuten, dass Iran an der Bombe baut. Einige Experten nehmen an, dass in Turkusabad altes Materials aus dem früheren militärischen Atomprogramm Irans gelagert wurde. Das Programm wurde 2003 aufgegeben. Es gibt keine Hinweise darauf, dass in Turkusabad an einer Atombombe gebaut wurde. Doch nach den Regeln des internationalen Atomabkommens von 2015 hätte Iran die Fachleute von der IAEA über das Material in Turkusabad informieren müssen, was nicht geschah.
Zudem lagert Iran laut IAEA inzwischen zweieinhalb Tonnen schwach angereichertes Uran, obwohl er laut dem Atomabkommen nur 200 Kilogramm besitzen darf. Das Uran wird demnach auf 4,5 Prozent angereichert und damit höher als die 3,67 Prozent, die der Vertrag als Obergrenze vorsieht.
Damit ist Iran zwar weit von der 90-prozentigen Anreicherung für waffenfähiges Material entfernt. Doch offenbar will Iran die Anreicherung vorantreiben. Der IAEA zufolge haben sie begonnen, leistungsfähige Zentrifugen für die Anreicherung in unterirdische Bunker zu verlegen, um sie vor Luftangriffen zu schützen. Die USA werfen Iran vor, Material für zwei Atombomben zusammen zu haben.
Unter Präsident Donald Trump waren die USA vor zwei Jahren aus dem Atomabkommen ausgestiegen und hatten neue Sanktionen gegen Iran eingeführt. Hardliner in Jerusalem und Washington fühlen sich nun in ihrer Ansicht bestätigt, dass Iran schon immer die Bombe wollte und der Atomvertrag das nicht verändert hat.
Auffällig ist, dass die iranischen Verstöße gegen das Abkommen weitergehen, obwohl der designierte US-Präsident Joe Biden seine Bereitschaft zur Rückkehr in den Vertrag bekundet hat. Offenbar will Iran seine Verhandlungsposition mit den USA vorsorglich stärken. Nach dem Motto: Jetzt atomares Material lagern, auf das man dann verzichtet – um im Gegenzug Zugeständnisse von den USA zu erwirken. Doch damit befinde sich Iran auf dem Holzweg, sagt der Nahost-Experte Karim Sadjapour von der Georgetown-Universität in Washington: Eine Ausweitung des iranischen Atomprogramms oder neue Provokationen würden die USA weniger gesprächsbereit machen.
Nur das Einfrieren aller Atomaktivitäten biete Iran die realistischste Chance, mit Biden ins Geschäft zu kommen. Derzeit sieht es nicht danach aus, als wolle Teheran das beherzigen. Präsident Hassan Ruhani bekräftigte diese Woche, Zugeständnisse seines Landes kämen erst infrage, wenn die USA ihre Sanktionen zurücknähmen und zum Atomabkommen zurückkehrten.