Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Ulm steht hinter dem Theater“
Intendant Kay Metzger kritisiert Bundesvorgaben und ärgert sich über die Formulierungen
ULM - Statt mit Schauspiel oder Oper müssen sich Intendanten zurzeit mit Hygiene und Abstandsregeln beschäftigen. Auch Kay Metzger. Er leitet das Theater Ulm, das einzige Dreispartenhaus in unserer Region, zu dem viele Abonnenten vom Allgäu bis zur Ostalb reisen. Wie alle anderen Bühnen musste das Haus an der Olgastraße nun wieder schließen. Über die besonderen Herausforderungen in dieser besonderen Zeit hat Kay Metzger mit Barbara Miller gesprochen. Er ist zuversichtlich, dass die Stadt Ulm ihr Theater nicht hängen lässt. Er spüre einen starken Rückhalt beim Publikum und in der Politik. Worüber er sich freilich richtig ärgert, ist die Formulierung der Bundesregierung in dem neuerlichen Beschluss. Opern, Theater, Museen in einem Atemzug mit Bordellen zu nennen, hält er für ein Armutszeugnis, auch der Kanzlerin.
Herr Metzger, wie geht es Ihnen?
Persönlich geht es mir zwar relativ gut, aber für mein Theater, für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sieht es anders aus. Dieses zweite Abschalten des Theaterbetriebes und die Ungewissheit, ob wir im Dezember wieder Theater machen können, sind zermürbend. Wir hatten zu Spielzeitbeginn gemerkt, dass das Publikum sehr intensiv und begeistert die Angebote angenommen und immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, wie toll es ist, dass wir spielen und wie sehr das Theater gefehlt hat.
Kulturinstitutionen kritisieren die neuerlichen Lockdown-Bestimmungen . Wie ist Ihre Haltung?
Ich teile die Kritik und habe sie auch an verschiedenen Stellen zum Ausdruck gebracht. Denn die Theater haben wirklich sehr intensiv an Hygieneund Sicherheitskonzepten gearbeitet und diese auch umgesetzt. Das Publikum hat sich sehr diszipliniert verhalten. Wir haben die „Zauberflöte“oder die „Dreigroschenoper“vor 220 Leuten gespielt. Das heißt, es war nur ein gutes Viertel der Plätze überhaupt besetzt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer hatten den Mindestabstand immer eingehalten, und die Zuschauerinnen und Zuschauer trugen während der gesamten Vorstellung ihren Mund-Nasenschutz. Ich glaube, dass die Ansteckungsgefahr in Theatern, Konzertsälen oder Museen gering ist. Gerade in diesen Zeiten bietet aber die Kultur eine Chance, sich mit etwas anderem auseinanderzusetzen. Sie gehört zur Grundversorgung für Geist und Seele.
In der Verordnung der Bundesregierung vom 28. Oktober werden Theater und Bordelle gleichgesetzt als „Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind“. Ist das nicht symptomatisch für den Stellenwert der Kultur in unserer Gesellschaft?
Die Corona-Krise fördert einiges zutage. In diesem Fall auch den sehr seltsamen Kulturbegriff der Politik. Wenn die Kanzlerin Bordelle und Opernhäuser in einem Atemzug nennt, ist das ein Armutszeugnis.
Was bedeutet die Corona-Krise für Ihr Haus?
Das Schlimmste ist die Unsicherheit. Wir wissen nicht, wann wir welche Produktionen herausbringen können. Es gibt Stücke, die kann man mit Mindestabstand gut proben und aufführen, bei anderen ist das überhaupt nicht möglich. „Rigoletto“zum Beispiel mit großem Chor und Orchester geht gar nicht. Für mich ist die Frage: Was können wir dem Publikum bieten? Müssen wir auch in der nächsten Spielzeit mit solchen Unwägbarkeiten rechnen? Die Planung ist wirklich sehr schwierig geworden.
Corona diktiert den Spielplan.
Das ist für alle Theaterleute eine Herausforderung. Aber man entdeckt auch neue Dinge: Wir haben die „Zauberflöte“halbszenisch auf die Bühne gebracht, was sehr gut funktioniert hat. Und zur Zeit laufen die Proben für eine Inszenierung des „Barbier von Sevilla“. Zum Regiekonzept gehört dann eben, dass alle mit weitem Abstand agieren. Das Orchester ist auf der Bühne, hinter den Darstellern. Es ist bei all diesen Arbeiten wichtig, dass keine künstlerische Stagnation eintritt. Wir versuchen, mit Kreativität und Einfallsreichtum durch dieses Zeiten zu kommen.
Ulm ist ein Haus mit einem großen Abonnentenstamm. Wie können Sie die Abonnenten halten?
Wir haben unsere Abonnenten gebeten, ihre Abos ruhen zu lassen. Das heißt: Sie behalten ihren Sitzplatz, ihren Wochentag, bezahlen aber in dieser Spielzeit nichts. Für die Produktionen, die wir machen können, bekommen sie dann einen Preisnachlass von zehn Prozent. Es gibt viele Signale der Treue und eine große Spendenbereitschaft, wofür wir sehr dankbar sind.
Was bedeutet das finanziell?
Das ist bis jetzt schwer abzuschätzen. Wir haben den Auftrag der Stadt Ulm, Kurzarbeit anzusetzen. Das machen wir auch. Es gibt seit April erstmals einen Kurzarbeiter für den öffentlichen Dienst, und dem haben sich auch die Tarifpartner – Deutscher Bühnenverein und Künstlergewerkschaften
– angeschlossen. Das ist ein wichtiges Instrument, um Schaden zu begrenzen und Arbeitsplätze zu sichern. Wir können eben mit einem Viertel der normalerweise über 800 Plätze im Großen Haus, die wir unter Corona-Bedingungen verkaufen können, nicht die Einnahmen erzielen, die wir sonst haben. Das weiß die Politik auch.
Besteht die Gefahr, dass die Politik Einsparungen fordert?
Die Nachwehen der Krise werden sehr fordernd sein. In Ulm aber habe ich schon den Eindruck, dass man sehr hinter dem Theater steht, auch hinter den drei Sparten. Wir spüren doch jetzt so intensiv, wie notwendig das Theater ist als Ort der Begegnung, als eine interaktive Kunstgattung. Da sitzen Menschen, die hören und schauen zu. Und da stehen Menschen auf der Bühne, die nur für sie spielen. Diesen direkten Reiz von Theater und Konzert wird man durch Tonträger oder Digitalisierung nie ganz kompensieren können. Als wir nach der mehrmonatigen Spielpause im Frühjahr wieder angefangen haben, war das für alle ein Aha-Erlebnis. Da sind Leute gekommen, die uns sehen wollten, die etwas erfahren wollten. Das müssen wir überaus wertschätzen. Das ist die Substanz dieser Kunstgattung.
Der Begriff „Hochkultur“wird heutzutage meist diffamierend gebraucht.
Es ist falsch, die Hochkultur gegen zum Beispiel die freie Szene auszuspielen. Denn da gibt es eine große Wechselwirkung. Ich habe sieben Jahre in schwierigen Zeiten Theater im Osten Deutschlands geleitet. Es war ein permanenter Konsolidierungszwang. Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sich noch nie ausgezahlt hat, wenn sich die Kulturinstitutionen ihre Kosten und ihren „Nutzen“gegeneinander aufrechnen. Da muss man gemeinschaftlich agieren. Wenn die sogenannte Hochkultur nicht funktioniert, dann funktioniert die freie Szene auch nicht.
Hat sich die Kultur nicht viel zu spät zu Wort gemeldet?
Im Vorfeld zu den Entscheidungen vom 28. Oktober gab es einen offenen und – wie ich finde – klug formulierten Brief des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins, in dem die Erfolge der Hygienemaßnahmen dargestellt wurden. Wir sind sehr gut vernetzt. Ich selbst habe schon zu Spielzeitbeginn im September einen Brief an die Ministerin Theresia Bauer geschrieben und darauf verwiesen, dass die Salzburger Festspiele gezeigt haben, wie man mit der großzügigen Sitzverteilung im Schachbrettmuster
sicher vor vielen Leuten spielen kann. Dass der Beschluss so kam, wie er kam, hat einige kalt erwischt. Die Theater sehen sich schon auch als Opfer einer Symbolpolitik.
Wie geht es weiter am Theater Ulm: Was werden Sie aufführen?
Am 26. November planen wir eine Online-Stream-Premiere von Elfriede Jelineks „Am Königsweg“, am 3. Dezember ist die Premiere des „Barbier von Sevilla“geplant. Im Repertoire haben wir „Die Zauberflöte“, „Die Dreigroschenoper“, den Tanztheaterabend „Das Schweigen der Männer“und im Sprechtheater „Warten auf Godot“, dazu Inszenierungen im Podium: „Die Försterchristel“, „All das Schöne“und „Pink Guerilla“sowie „Die zweite Prinzessin“. Der Spielplan wäre also prall gefüllt. Auch an den Feiertagen. Das Ballett überarbeitet die Produktion „Der kleine Prinz“und bringt sie aus dem Podium ins Große Haus. Und Silvester und Neujahr gibt es das Neujahrskonzert. Wir könnten dem Publikum unter den strengen Sicherheitsauflagen einen guten Spielplan bieten. Und wir hoffen auch, dass wir das dürfen. Aber ich habe das Gefühl, die Politik ist jetzt in einer Falle und kann die eigenen Maßnahmen nicht revidieren. Letztendlich war die Entscheidung vom 28. Oktober nicht wirklich ausgegoren.
Könnte es damit zusammenhängen, dass in den politischen Gremien zu wenige sitzen, die eine Affinität zu Kunst und Kultur haben?
Die Formulierung in der Pressekonferenz der Kanzlerin hätte so nicht passieren dürfen. Das war ein Schlag ins Gesicht der Kulturszene, der lange nachwirken wird. Das wiegen auch die Besuche von Frau Merkel in Bayreuth und Salzburg nicht auf.
oder gar wegschmeißen sind saloppe Weiterentwicklungen einer Redensart mit historischem Hintergrund. Über Jahrhunderte hinweg war der Löffel der wichtigste Teil des Bestecks und für die Mehrheit der bettelarmen Bevölkerung auch der einzige. Sie ernährte sich von Suppen, Eintöpfen oder Brei, brauchte also keine Gabeln oder Messer. Löffel wurden meist aus Holz geschnitzt und sorgsam in einem Löffelbrett an der Wand aufbewahrt. Hatte jemand hingegen einen Löffel aus Metall, so trug er ihn als Statussymbol an einer Kette um den Hals. Aber ob nun einer Bauer war oder Edelmann, wenn es ans Sterben ging, gab er den Löffel ab – etwa an den ältesten Sohn.
Das bringt uns zu einer kurzen Betrachtung, wie man im Deutschen mit dem Tod umgeht. Einerseits steht dieses Wegschmeißen des Löffels in einer Reihe mit vielen ebenso despektierlichen Redewendungen – abkratzen, abnippeln, abschnappen, hopsgehen, ins Gras beißen, in die Grube fahren, den Schirm zumachen, die Radieschen von unten anschauen ...Das möge genügen. Aber so wüst solche Vergleiche klingen mögen, sie lassen sich unter anderem auch tiefenpsychologisch deuten: Der Mensch versucht eine gewisse Distanz zu dem unausweichlichen Schicksal zu schaffen, das ihm selbst irgendwann droht. Nicht umsonst sprechen wir von Galgenhumor und meinen damit eine vorgetäuschte, übertriebene Heiterkeit, mit der jemand einer nicht zu ändernden, unangenehmen Situation begegnet. Andererseits erleben wir beim Benennen des Sterbens einen großen Erfindungsreichtum, der eher auf ein Verbrämen des unerbittlichen Faktums unserer Endlichkeit hinausläuft. Hinscheiden, entschlafen, den
– in diesem Fall diktiert der Glaube die Wortwahl, und auch hier ist Verständnis angebracht.
Um nun diese November-Tristesse etwas aufzuhellen, zum Schluss noch
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
ein Witz – nicht mehr ganz taufrisch, aber passend:
George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump sind gestorben und stehen vor Gott. Gott fragt Bush: „Woran glaubst du?“Bush: „Ich glaube an den freien Handel und ein starkes Amerika.“Gott ist beeindruckt: „Setz dich zu meiner Rechten!“Gott wendet sich an Obama: „Woran glaubst du?“Obama: „Ich glaube an die Demokratie und den Weltfrieden.“Gott ist ebenfalls beeindruckt und sagt: „Setz dich zu meiner Linken!“Dann fragt er Trump: „Was glaubst du?“Trump: „Ich glaube, du sitzt auf meinem Thron.“
Apropos: Trump thront immer noch.
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