Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Altes Messegeschäft in weiter Ferne
Auch zu Beginn des neuen Jahres bleiben die Ausstellungshallen leer – Trotzdem ist die Branche optimistisch
LEIPZIG/RAVENSBURG (dpa/sz) Wenn Markus Geisenberger und Martin Buhl-Wagner über 2021 sprechen, dann ist viel von Zuversicht die Rede. Sie sind Geschäftsführer der Leipziger Messe und streben nach dem desaströsen Corona-Jahr 2020 zurück zu herkömmlichen Messen mit persönlichen Treffen. „Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir wollen uns persönlich erleben, um Sympathie zu entwickeln und Vertrauen zu fassen. Nur so entsteht Zusammenarbeit“sagt Buhl-Wagner. Er ist überzeugt: „Die Pandemie zeigt überdeutlich die Unverzichtbarkeit von Präsenz-Messen und -Kongressen.“
In den ersten drei Monaten des neuen Jahres rechnet in der Branche aber noch niemand mit Publikumsveranstaltungen. Erst ab dem zweiten Quartal soll es wieder losgehen. Im Messekalender der Leipziger sticht dabei die große Buchmesse heraus, die sie extra von ihrem angestammten Termin im März in den Mai verlegt haben. Auf jeden Fall, das ist das Signal, soll es die Bücherschau in diesem Jahr geben – nachdem sie 2020 eine der ersten großen Messen gewesen war, die wegen Corona abgesagt wurde. Bundesweit folgten ihr mehr als 250 weitere abgesagte Messen, dazu unzählige Kongresse und Großveranstaltungen.
„Die Corona-Pandemie hat die deutsche Messewirtschaft 2020 in kaum vorstellbarem Ausmaß getroffen“, sagt Jörn Holtmeier, Geschäftsführer des Branchenverbandes AUMA. „Von über 360 geplanten internationalen und regionalen Messen wurden über 70 Prozent abgesagt oder in das nächste Jahr verschoben.“Unter normalen Umständen erwirtschafte die Branche einen Umsatz von vier Milliarden Euro. 2020 wurde laut Holtmeier nur etwa ein Viertel davon erreicht. Im neuen Jahr soll es besser werden, auch wenn das Vorkrisenniveau von 2019 unerreichbar bleiben wird.
Auch die umsatzstärkste deutsche Messegesellschaft, die Frankfurter Messe, hofft wieder auf bessere Geschäfte. „Derzeit kann man kaum planen. Wir schätzen den Umsatz vorsichtig auf 300 Millionen Euro, das wären 50 Millionen mehr als im vergangenen Jahr“, sagte Messechef Wolfgang Marzin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. 2019 hatte die Messe 736 Millionen Euro erlöst.
Es sei schwer absehbar, wann man das Messeprogramm in welchem Umfang wieder aufleben lassen könne, sagt auch der Chef der Messe Friedrichshafen Klaus Wellmann auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Dabei sind wir ausschließlich von externen Faktoren abhängig. Die Durchimpfung der Gesellschaft und damit auch unserer Kundschaft stellt dabei nur ein Puzzleteil dar, wenn auch sicherlich eines der wichtigsten.“Aber auch die Psychologie spiele eine Rolle: Beim Reisen beispielsweise gehe es nicht nur um die Wiederherstellung der faktischen Reiseerlaubnis, sondern auch um die gesteigerte Reisebereitschaft, wovon die Messen als Präsenzveranstaltungen letztlich abhängig sind.
Seit Beginn der Pandemie konnte in Friedrichshafen mit der Interboot im September nur eine einzige Messe stattfinden. Nach einem Umsatz von 26,6 Millionen Euro im Jahr 2019, kam die Messe nach eigenen Angaben 2020 nur auf Erlöse von rund sechs Millionen Euro.
Eigentlich hatte das Team in Friedrichshafen darauf gehofft mit der Backmesse My Cake im Februar wieder ins neue Messejahr zu starten, doch die Schau wird am geplanten Termin nicht stattfinden können. Trotzdem bleibt aber auch Wellmann, so wie die Kollegen, am Ende optimistisch: „Wir gehen davon aus, dass wir die Veranstaltungen des ersten Quartales zu anderen Zeitpunkten und teilweise auch in anderen Formaten nachholen werden. Idealerweise kann dies noch in diesem Jahr geschehen.“
Die Messe-Gesellschaften, darunter auch die Frankfurter oder Friedrichshafener, sind in öffentlichem Eigentum – sie können auf finanzielle Unterstützung ihrer Besitzer, also Länder oder Kommunen, setzen. So gewährte die Stadt Friedrichshafen als Hauptgesellschafterin, der Messe Ende November eine Finanzspritze von sieben Millionen Euro.
Doch wie sieht es mit all den Jobs aus, die am Messegeschäft hängen – den Messebauern, der Hotel- und Gastrobranche, den Taxifahrern und Spediteuren? AUMA-Chef Holtmeier rechnet vor, dass die Veranstaltung von Messen in normalen Jahren 28 Milliarden Euro zur Wirtschaftsleistung beitrage. Davon seien 2020 nur rund sechs Milliarden Euro übrig geblieben.
„Das Jahr war unterm Strich verheerend. Das ist völlig unstrittig“, sagt Jan Kalbfleisch, Geschäftsführer des Fachverbands Messe- und Ausstellungsbau (Famab). Zwar sei die befürchtete große Pleitewelle unter den 5000 zumeist mittelständischen Messebau-Unternehmen bisher ausgeblieben. „Das liegt aber ausschließlich daran, dass die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist“, sagt Kalbfleisch. Für viele Betriebe werde der Blick in die Bücher zum Bilanzstichtag 31. Dezember ein böses Erwachen bringen.
Kalbfleisch ist zudem unzufrieden mit den Corona-Hilfen der Bundesregierung. Sie wechselten zu oft, und die Novemberhilfen etwa seien so kompliziert und mit Ausnahmen belegt, dass bei den Unternehmen kaum etwas ankomme. „Wir sagen immer: Man kann fast froh sein, dass man dort nicht noch was einzahlen muss.“Der Verbandschef fordert eine feste, fixkostenbasierte Hilfe für die Unternehmen, „statt monatlich wechselnder Programme, von denen man nicht weiß, was am Ende übrig bleibt“. 2021 rechnet Kalbfleisch erst im zweiten Halbjahr mit einer Belebung des Geschäfts.
Vor allem auf die zweite Jahreshälfte setzt auch Detlef Knaack, Chef des Messe-Caterers Fairgourmet in Leipzig. Mit 80 Mitarbeitern kümmert er sich normalerweise um die Verpflegung von Kongressen und Events. Seit April 2020 seien seine Küchen- und Servicekräfte schon in Kurzarbeit. „Wir werden auf jeden Fall Januar, Februar und März verlieren. Das holt man auch nicht mehr auf. Die Tasse Kaffee wird dann ja nicht nochmal getrunken.“Die Lage sei bei den Konkurrenten nicht anders. „Wir teilen sonst nicht viel. Aber im Augenblick teilen wir alle das gleiche Leid.“
Nach dem abrupten Corona-Stopp für die Messen im vorigen Frühjahr haben viele Veranstalter versucht, ihre Formate ins Digitale zu retten. Das hat je nach Thema mal mehr und mal weniger gut geklappt. Laut MesseVerband AUMA beklagen 40 Prozent der Unternehmen aus großen Investitionsgüterbranchen, die sonst auf Messen ausstellen, wirtschaftliche Einbußen, weil ihnen die traditionellen Plattformen für Geschäftsanbahnung und -abschluss fehlten. Trotz aller Zuversicht: Der Weg für die Messebranche zurück zur Normalität bleibt weit. Leipzigs Messe-Chef Martin Buhl-Wagner sagt, er wäre froh, 2021 die Hälfte des Umsatzes des Vorkrisenjahres 2019 zu erreichen.