Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Aufschrei des Einzelhandels
Sigmaringer Gewerbetreibende schließen sich Aktionsbündnis an – Sie fordern Entschädigung oder Wiederöffnung
SIGMARINGEN - Seit mehreren Wochen ist ein Großteil des Einzelhandels wieder geschlossen, die Regierung setzt den zweiten Lockdown um – wann er endet, ist noch offen. Deshalb haben einige Gewerbetreibende überregional das Aktionsbündnis „Handel steht zusammen“ins Leben gerufen. Dieses Bündnis fordert entweder, dass „Unternehmen, die in Folge der Schließungen in ihrer Existenz bedroht sind, durch wirksame Entschädigungen abgesichert werden“oder die Wiedereröffnung der Geschäfte unter den bewährten Hygieneregeln am 1. Februar. 13 358 Unterstützer haben bereits unterschrieben, darunter auch diverse Gewerbetreibende aus der Region. Viele von ihnen plagt die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns für ihr Unternehmen.
Dazu zählt Yvonne Schäfer, Inhaberin des Schuhhauses Schäfer in der Sigmaringer Innenstadt. „Ich habe das Gefühl, wir werden vergessen“, sagt sie. Seit Beginn des zweiten Lockdowns im Dezember fühle sich als Einzelhändlerin im Stich gelassen und habe deshalb beim Aktionsbündnis unterschrieben: „Es ist wichtig, auf den Handel aufmerksam zu machen.“Ihre Forderung hängt auch mit der eigenen Situation zusammen. Zwar überbrücke sie die Zeit, indem sie Kunden die Lieferung ihrer Schuhe anbietet, aber „das fängt nicht alles auf“, sagt sie. Den Januar überstehe ihr Geschäft noch, aber „die Existenzangst kommt spätestens im Februar, wenn die Läden weiterhin zubleiben müssen“, sagt sie. Daher lobt Schäfer auch die Forderung nach einer Entschädigung für die Einzelhändler: „Die Höhe ist nicht so wichtig, aber es ist wichtig, dass der Staat an den Handel denkt.“
Klaus Engel, Inhaber des Modegeschäfts Haus Nummer 29 in Sigmaringen, hat noch ein anderes Problem: Die Winterware liegt im Geschäft parat. Selbst wenn der Einzelhandel im Februar wieder öffnen darf, bekäme er die Kleidung nicht mehr zum eigentlich Preis verkauft, da der Bedarf aufgrund der Jahreszeit dann ein anderer ist. Auch die beiden verkaufsoffenen Sonntage, die ausgefallen sind, setzen
Engel zu, denn an diesen Tagen verdiene er mit am meisten.
Aus diesem Grund fordert er mit Blick auf die Gastronomie eine ähnliche Entscheidung für den Handel: 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat als Entschädigung. Im Gegensatz zum Aktionsbündnis wünscht er sich zusätzlich die Wiedereröffnung im Februar unter Einhaltung der Hygieneregeln. Das hat auch einen Grund: „Die Läden haben seit vier Wochen zu und die Infektionszahlen steigen trotzdem weiter.“Viele Händler hätten inzwischen Existenzängste, „die Luft wird langsam dünn“, so Engel.
Sorgen treiben auch Alexander Amann um, allerdings andere. Er ist Geschäftsführer des Elektronikgeschäfts Expert in Sigmaringen und muss ab Montag einen Teil seiner Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, was er bedauert. „Wir haben das lange überbrückt mit telefonischen Bestellungen
und Lieferungen, aber so bekommt man keine 30 Mitarbeiter beschäftigt“, sagt er. Die Rücklagen seien langsam aufgebraucht. Daher hat auch er sich dem Aktionsbündnis angeschlossen. Amann teilt Engels Meinung: „Wir hatten in der Firma während der ganzen Zeit keinen einzigen Infektionsfall, obwohl einige Mitarbeiter viel Kundenkontakt hatten, mit Abstand und Maske. Deshalb glaube ich nicht, dass wir ein Infektionstreiber sind.“
Zwar sei es sinnvoll, die Läden zu schließen, wenn nachgewiesen sei, dass diese die Pandemie verschlimmern. „Keiner möchte, dass Menschen sterben“, sagt er. Allerdings brauche es dann eine Entschädigung, auch für die Mitarbeiter. Rücklagen
„Die Luft wird langsam dünn“, sagt Klaus Engel über die Situation im Einzelhandel.
habe er womöglich mehr als kleinere Betriebe, jedoch seien die Personalkosten sehr hoch.
Uwe Knoll, Sigmaringer Wirtschaftsförderer, zeigt Verständnis für den Wunsch nach einer Wiedereröffnung. Er mahnt aber auch an: „Das bestimmt die Politik, sie hat das Wohl aller Bürger im Sinn.“Eine Entschädigung für die Einzelhändler habe es bereits in Form der Überbrückungshilfe gegeben. Daher fürchte er kein Aussterben der Innenstadt. „Klar, einen strukturellen Wandel gibt es immer, Läden schließen, andere öffnen. Aber ich erwarte, dass sich die Lage wie schon im Sommer wieder stabilisiert“, sagt er. Wichtig sei es, dass die Einzelhändler das Angebot nutzen, ihre Ware per Abholung zu verkaufen, was ab Montag
in Baden-Württemberg wieder möglich ist. Lieferservices von Waren hingegen sind bereits erlaubt.
Auch Bürgermeister Marcus Ehm versteht die Sorgen der Einzelhändler. Er bietet sogar an, ein Forderungsschreiben an die Politik, sollte es eins geben, zu unterzeichnen, „um den Forderungen auch von kommunaler Seite Nachdruck zu verleihen“, wie Stadtsprecherin Janina Krall mitteilt. Gleichzeitig sehe er aber auch die Notwendigkeit der Corona-Verordnung. Die Stadt wolle daher Einzelhändler unterstützen, wie es bereits mit der Gutscheinaktion vor Weihnachten sowie durch Videos von den Geschäften in den sozialen Medien durch die Wirtschaftsförderung passiert ist. Außerdem sei angedacht, die lokale Wirtschaft mit Aktionen wie verkaufsoffenen Sonntagen und langen Einkaufsabenden zu unterstützen, sobald es die Lage wieder erlaubt.