Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Uroma und Urenkel trennen 100 Jahre
101-Jährige erzählt von ihrem bewegten Leben und gibt Tipps, wie man alt wird
KRESSBRONN/ACHBERG - Uroma Maria Walser aus Kressbronn und ihren Urenkel Gregor Kaeß aus Achberg trennen genau 100 Jahre. Denn beide sind im Dezember ’19 geboren – nur eben 100 Jahre auseinander: 1919 und 2019. Die Uroma blickt auf ihr bewegtes Leben zurück und gibt Tipps, wie man so alt werden kann und dabei fit und zufrieden bleibt.
Maria Walsers Enkel und Gregors Vater, Florian Kaeß, findet es interessant, was seine Großmutter bei den Familienbesuchen über ihr Leben berichtet: „Die Uroma befindet sich Gott sei Dank in guter gesundheitlicher Verfassung. Sie erzählt manchmal von ihrem Leben und was sich in den hundert Jahren alles entwickelt hat.“Dass sie und den kleinen Gregor genau 100 Jahre trennen, ist für Florian Kaeß erstaunlich. Ein Anlass für ihn, sich noch näher mit der Lebensgeschichte der Oma auseinanderzusetzen.
Geboren und aufgewachsen ist Maria Walser auf einer „Schmitte“(Schmiedewerkstatt) mit Landwirtschaft in Haslach bei Wangen. Bei Wind und Wetter und zu jeder Jahreszeit wird sie bereits als Kind mit dem Fahrrad nach Wangen geschickt, um Eisenbeschläge für die Schmitte zu besorgen. Auch als junges Mädchen schon steht sie in der Schmitte an der Esse. Der Schnee im Januar 2021 hat sie an frühere Zeiten erinnert, nur, dass man damals nicht nur drei Tage mit den Schneemassen beschäftigt war, sondern über Wochen. Sie erinnere sich an Schneemassen, die mit Pferdefuhrwerken aus dem Dorf gefahren wurden.
Trotzdem müssen 38 bis 40 Bauern im Einzugsgebiet Haslach spätestens morgens um 7 Uhr die Milch bei der vor ihrer Hofstelle direkt gegenüberliegenden Käserei angeliefert haben, sonst wird sie nicht mehr abgenommen
Als der zweite Weltkrieg ausbricht, ist sie 20. Zwei jüngere Brüder müssen an die Front. Einer stirbt. „Er war Jahrgang 1921 und musste nach nur wenigen Wochen Ausbildung gleich nach Russland. Wir bekamen einen Brief, dass 21 Männer in einem
Schneesturm in Russland erfroren sind. Darunter war auch mein Bruder“, erzählt Maria Walser.
Ein weiterer Bruder wird ebenfalls eingezogen. Er muss mehrere Jahre im Krieg dienen. Dass er eines Tages unversehrt wieder nach Hause kommt, ist eine große Überraschung. Maria Walser erinnert sich: „Er kam nach sehr langer Zeit auf einem Motorrad nach Hause. Wir waren so froh und überrascht, dass er gesund nach Hause kommt.“Ein dritter Bruder ist an einer Blinddarmentzündung gestorben.
Geheiratet hat Maria Walser auf einen Hof mit Viehhaltung in Kressbronn-Gohren am Bodensee, auf dem sie bis heute lebt – und zwar in Zufriedenheit und Dankbarkeit, wie ihr Enkel erzählt. Im Laufe der Jahre habe der Hof auf Obst und Beeren umgestellt. Die heute 101-Jährige hat vier Kinder großgezogen. „Kinder mussten auch immer früh und viel mitarbeiten. Ein Kind vorne, eins hinten auf dem Rücken, Rechen in der Hand: So ging es in die Aue zur Feldarbeit,“erzählt sie.
Gut in Erinnerung geblieben sind ihr auch die Anfänge des Hofverkaufs. In den Anfangsjahren des Campings am Bodensee kamen junge Leute von einem Zwei-PersonenZelt
zum Hof und kauften Äpfel, Kartoffeln und Milch, erinnert sich Maria Walser. Hierfür wurde jeder Beutel und jede Tüte – „Guggla“, wie sie sie nennt, – die damals noch sehr rar waren, gesammelt.
In den Guggla wurden dann Äpfel und Kartoffeln vor dem Haus in Gohren „auf einer alten Ofenbank“zum Verkauf angeboten. Erst später konnten Tüten in Langenargen gekauft werden. Noch später kam eine Waage mit Eichgewichten dazu. So entwickelte sich der Hofverkauf, der auch heute noch in der nächsten Generation geführt wird.
Maria Walser hat noch bis ins hohe Alter von 90 Jahren daran Freude gehabt, Obst zu verkaufen, oft seien dieselben Kunden über Jahrzehnte hinweg gekommen, berichtet sie. Ein Aufenthalt auf dem Campingplatz in Gohren sei so von vielen Gästen mit einem Besuch am Obststand bei „Oma Walser“verbunden worden.
Ohne moderne Ernährungstipps und sportliche Hobbys, wie es in den vergangenen Jahren immer beliebter wurde, um sich fit zu halten, ist Maria Walser bis ins hohe Alter von 101 gesund und aktiv geblieben. Ihr Tipp an die „jungen Leute“? „Oh, immer viel arbeiten. Schaffen, schaffen.“