Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Direktor in Pompeji Archäologe Zuchtriegel aus Weingarten in Italien umstritten
Italienische Archäologen kritisieren Ernennung Gabriel Zuchtriegels zum Pompeji-Direktor
WEINGARTEN/ROM - Dass der 34jährige Deutsche und gebürtige Weingartener Gabriel Zuchtriegel vor fünf Jahren Leiter des archäologischen Museums in Paestum südlich von Neapel wurde, war schon eine kleine Sensation und hat nicht allen gefallen. Was nun für seine Ernennung zum Direktor von Pompeji, der weltweit größten archäologischen Grabungsstätte, erst recht gilt. Der promovierte Archäologe Zuchtriegel freut sich jetzt zwar über seinen neuen Traumjob in der Nachfolge seines Mentors Massimo Osanna. Doch es formiert sich Widerstand. Vier angesehene Archäologen Italiens, Mitglieder des wissenschaftlichen Rates von Pompeji, traten am Wochenende aus Protest gegen Zuchtriegel von ihren Posten zurück. Ihre Argumente: Zuchtriegel sei zu jung und unerfahren für diesen herausragenden Posten. Dass er ein Deutscher ist, mag dabei auch eine Rolle spielen.
Ein Anhänger Zuchtriegels ist Italiens Kulturminster Dario Franceschini. In Zuchtriegels Fall handele es sich „nicht nur um jemanden mit guten Ideen, sondern auch um jemanden, der gute Resultate vorweisen kann“. Er habe Paestum verändert, es gebe „mehr Besucher, mehr Dinge zu besichtigen und erstklassige Bilanzen,
seit er dort Direktor ist“. Durch seine kreative Herangehensweise und vielen Initiativen wie Konzerte, Ausstellungen, Werbung und Digitalisierung könne er erstklassige Bilanzen vorweisen. Und davon profitiere nun Pompeji, das wie Paestum zum Weltkulturerbe zählt.
Doch das sehen nicht alle so. Einige italienische Archäologen sprechen sich entschiedenen gegen Zuchtriegel aus. Darunter auch Andrea Carandini, Doyen der italienischen Archäologen und natürlich die vier Mitglieder des wissenschaftlichen Rates von Pompeji, die gleich aus Protest ihre Posten aufgaben. Unter ihnen ist auch Stefano De Caro, ehemaliger Generaldirektor der archäologischen Kulturgüter im Kulturministerium.
In einem am Montag bekannt gewordenen Schreiben an den Kulturminister erklärte De Caro, dass Zuchtriegel seiner Meinung nach nicht über das entsprechende Curriculum verfüge, um eine so bedeutende archäologische Stätte wie Pompeji zu verwalten.
De Caro und andere Archäologen wiesen auch darauf hin, dass es in Pompeji um den Einsatz von vielen Millionen Euro Staatsgelder gehe, und dass dieser Einsatz einen Direktor mit mehr Erfahrung erfordere. Erfahrung, die man Zuchtriegel anscheinend abspricht.
Derweil versucht der ins Kreuzfeuer geratene neue Direktor Pompejis Vertrauen zu schaffen. „Meine erste Priorität ist es, zuzuhören und jeden kennenzulernen“, sagte Zuchtriegel bei der Pressekonferenz am Wochenende. „Es ist der Traum meines Lebens und eine große Verantwortung“, kommentierte er seine Ernennung am Wochenende. Er sei glücklich einen Ort zu leiten, der einzigartig auf der Welt sei.
Auch Zuchtriegels Mutter Rosemarie, die in Ravensburg lebt, sieht die große Herausforderung für ihren Sohn – und freut sich über den Werdegang ihres erfolgreichen Sohnes, wie sie am Telefon der „Schwäbischen Zeitung“sagte. 1981 kam ihr Sohn Gabriel im Weingartener Krankenhaus 14 Nothelfer zur Welt, wuchs mit drei Geschwistern in Wilhelmsdorf auf. In Berlin studierte Zuchtriegel Archäologie und Frühgeschichte, promovierte in Bonn, lehrte an der Universität in Matera in der Basilikata. Schon früher war er an Grabungen in Pompeji beteiligt, bevor er 2015 Leiter der Ruinenstätte in Paestum südlich von Pompeji wurde. Mit seiner Frau und zwei Kindern lebt Zuchtriegel schon lange in Italien, besitzt inzwischen auch die italienische Staatsbürgerschaft. Zu Verwandtenbesuchen kommt er gelegentlich nach Oberschwaben.
Zuchtriegel will in Pompeji neue Wege gehen. Wege, wie sie seit Jahren schon der Deutsche Eike Schmidt als Direktor der Florentiner Uffizien geht, etwa mit gezielter Werbung auch mithilfe von Influencern und Prominenten. Damit möchte er junge Menschen für Museen begeistern, die sonst eher einen Bogen um diese Einrichtungen machen.
Seine zentralen Themen sind eine stärkere Einbeziehung bisher wenig beachteter kleinerer Grabungsorte in der Umgebung und mehr vorausschauender Schutz zum Erhalt der antiken Ruinen. In Pompeji sollen auch neue Technologien zum Einsatz kommen, satellitengestützte Fotos, Drohnen und Sensoren. Überdies will er ein Projekt für den vorausschauenden Klimaschutz der ihm anvertrauten Kulturgüter entwickeln. Und an dieser Modernisierung soll, ganz transparent, die interessierte Öffentlichkeit teilnehmen können, nicht zuletzt um Besucherzahl und Einnahmen zu erhöhen. Wird das Geld doch dringend gebraucht für neue Grabungsarbeiten, da ein Viertel der antiken Stadt, die 79 nach Christus verschüttet wurde, immer noch unter einer meterdicken Schicht aus vulkanischem Schutt begraben ist. Es sind ambitionierte Ziele, an denen die Italiener Zuchtriegel in den kommenden Monaten messen werden.