Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Notfallseelsorge absolviert 106 Einsätzen
32 Ehrenamtliche begleiten Menschen in Krisensituationen, auch während der Corona-Pandemie
RIEDLINGEN/LANDKREIS (sz) – Die Notfallseelsorge mit ihren 32 Ehrenamtlichen ist im vergangenen Jahr trotz pandemiebedingten Herausforderungen rund um die Uhr abrufbereit für Einsätze parat gestanden. Bei Bedarf rückten Mitarbeiter des Teams aus, um Menschen bei plötzlichen Schicksalsschlägen in den ersten Stunden beizustehen. So wurden in 106 Einsätzen rund 350 Personen begleitet.
„In vielen Fällen ist für Betroffene erst einmal das Über- und Weiterleben in der sehr persönlichen Krisensituation zentral sowie das Begreifen der Wirklichkeit, also dessen, was geschehen ist“, erläutert Iris Espenlaub, Leiterin der Notfallseelsorge im Landkreis Biberach. Bei 39 Alarmierungen ging es um plötzliche Todesfälle, die generell die größte Gruppe der Einsatzanlässe darstellen. Zusammen mit der Polizei wurde in 20 weiteren Einsätzen Todesnachrichten
überbracht. Danach folgten Begleitungen nach Suizid (elf mal ) und Unfällen (zehn mal) sowie von Ersthelfern und Augenzeugen (sieben mal).
„Dabei weiß man nie, was einen erwartet“, hebt Notfallseelsorgerin Hildegard H. hervor und ergänzt: „Zunächst hat man immer nur grundsätzliche Informationen zum Einsatz und wie es konkret aussieht, erfährt man erst vor Ort.“Brandeinsätze, die Begleitung nach Gewalttaten sowie von Vermissenden, Nachsorgemaßnahmen bei Einsatzkräften und andere akute Krisensituationen seien seltenere Geschehen.
„Ich bin wirklich dankbar für unser tolles Team an Mitarbeitenden, das auch unter Pandemiebedingungen sein Bestes gibt, weiter vor Ort geht und sich den Menschen zuwendet“, betont Espenlaub. Die Statistik von 2020 bewegt sich ohne größere Auffälligkeiten im üblichen Rahmen. In den vergangenen Jahren nehmen jedoch Gespräche mit Augenzeugen und Ersthelfern leicht zu. Diese melden sich teilweise auch kurze Zeit nach dem Ereignis bei der integrierten Leitstelle und bitten um Unterstützung.
„Es ist erstaunlich, wie ruhig manche Leute werden, sobald wir ein paar Sätze mit ihnen gesprochen haben“, schildert Notfallseelsorger Eugen S. seine Erfahrungen. „Ich bin so froh, dass Sie da sind“ist dabei ein Satz, den er von Betroffenen vor Ort häufiger hört. Dennoch hat sich die Arbeit im vergangenen Jahr durch Corona auch verändert: Abstand halten, keine Berührungen und Masken, die einen Großteil des Gesichtes verdecken. Notfallseelsorger Ralf K. bringt es auf den Punkt: „Da merkt man erst einmal, was wir unserem Gegenüber alles über die Gestik und Mimik vermitteln beziehungsweise übermittelt bekommen“. In der Ausbildung spielen gerade solche Aspekte eine große Rolle, die jetzt durch die aktuellen Erfahrungen noch einmal ergänzt und vertieft werden können. „Aus dem Vertrauen, das mir als fremder Person in dieser sensiblen Situation zuteilwird, erwächst eine große Verantwortung und eine besondere Verbindung“, reflektiert Notfallseelsorgerin Rosemarie G..
Auch besondere Einsätze gibt es immer wieder. So berichtet Notfallseelsorger Ralf K., dass ihm der Einsatz mit Schusswaffengebrauch im Juli des vergangenen Jahres in Bad Schussenried stark in Erinnerung geblieben ist und kräftezehrend war. Ebenso die erfolglose Reanimation eines kleinen Kindes, zu der er sagt: „Man muss es schon aushalten, so einen kleinen Wurm tot und intubiert auf der Liege zu sehen.“Trotz allem ist die Mitarbeit im Team auf vielfältige Weise bereichernd. „Für mich ist es sehr schön, wenn Menschen nach meinem Einsatz wieder Boden unter den Füßen haben“, hebt Notfallseelsorger Klaus K. hervor. „Würde ich nur die dunklen Seiten meines Einsatzes sehen, müsste ich sofort aufhören“, ergänzt er.
Die Reflexion ist daher ein zentraler Aspekt in der Arbeit mit Betroffenen von Mensch zu Mensch. „Natürlich denkt man über jeden Einsatz auch später noch nach. Dann hilft es, mit anderen Seelsorgern oder Krisenhelfern – unter Wahrung der Schweigepflicht – über den Einsatz zu sprechen“, wie Notfallseelsorgerin Hildegard H. betont. Die aktuelle Pandemiezeit erschwert den Mitarbeitenden jedoch die Reflexion und den Austausch sowie das Gemeinschaftsleben. Die Vorfreude auf reale Begegnungen im Team ist daher groß. Bis dahin ist eine Fähigkeit gefragt, die im Umgang mit Krisen immer eine zentrale Rolle spielt: Aushalten können.