Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Greensill-Geschädigte suchen den Schulterschluss
Geprellte Kommunen wie Mengen wollen Teile ihrer Anlagen retten – Finanzaufsicht stellt Insolvenzantrag für Bremer Bank
BREMEN/MENGEN (dpa/sz) - Nach der Insolvenz der Bremer GreensillBank bemühen sich 26 deutsche Kommunen um Schadensbegrenzung. Die Städte hätten sich auf ein abgestimmtes Vorgehen geeinigt, „um aus einer vorhandenen Insolvenzmasse zumindest noch Teile ihrer Anlagen zurückzuerhalten“, teilte die NRW-Stadt Monheim am Dienstag mit und sprach dabei für die Gruppe der Kommunen, die 255 Millionen Euro bei Greensill angelegt haben. Haftungsansprüche sollen gemeinschaftlich geprüft werden. Auch Mengen gehört dazu. Die Stadt im Landkreis Sigmaringen hat drei Millionen Euro bei dem Institut angelegt. Am Dienstag eröffnete das Amtsgericht Bremen das Insolvenzverfahren nach einem Antrag der Finanzaufsicht Bafin.
Die Behörde hatte die Bremer Tochter des britisch-australischen Finanzkonglomerats Greensill bereits Anfang März wegen drohender Überschuldung für den Kundenverkehr geschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Greensill Bank AG, die Bafin hatte Strafanzeige gestellt. Dem Vernehmen nach geht es um den Vorwurf der Bilanzfälschung. Vergangene Woche hatte die „Wirtschaftswoche“berichtet, dass die Bafin auch gegen den Abschlussprüfer der Bank, die Stuttgarter Wirtschaftsprüferkanzlei Ebner Stolz, vorgehe.
Nach Informationen aus Finanzkreisen stehen bei der Bremer Bank rund 3,6 Milliarden Euro an Einlagen im Feuer. Davon dürften etwa 3,1 Milliarden Euro durch die gesetzliche Einlagensicherung sowie den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) gesichert sein. Das gilt vor allem für das Geld von Privatkunden. Banken müssen die Einlagensicherung finanzieren – die Ausfälle bei Greensill dürften also auch andere Banken finanziell belasten.
Noch am Dienstagnachmittag stellte die Bafin den „Entschädigungsfall“fest. Das ist die Voraussetzung, damit Privatanleger binnen sieben Arbeitstagen Geld aus der Einlagensicherung zurückbekommen – bis zu 100 000 Euro über die gesetzliche Einlagensicherung und bis zu knapp 75 Millionen Euro pro Einleger über einen Branchenfonds, in den Banken freiwillig eingezahlt haben. Die gesetzliche Einlagensicherung wiederum hat als Gläubiger Anspruch auf die Insolvenzmasse – und dies in einer „Vorrangstellung“, sie dürfte also eher Geld zurückbekommen als die Kommunen.
Die wiederum fallen seit 2017 nicht mehr unter den Schutzschirm der Einlagensicherung. Wie viele Kommunen betroffen sind, ist noch unklar – einige dürften ihre Involvierung noch nicht bekannt gemacht haben. Auch das Land Thüringen, das 50 Millionen Euro angelegt hat, will Geld zurück. Die Kommune, die am meisten Geld bei Greensill angelegt hat und nun einen Totalausfall befürchtet, ist die 44 000-EinwohnerStadt Monheim bei Düsseldorf, die als Gewerbesteuer-Oase solide Finanzen aufweist und 38 Millionen Euro bei Greensill als Festgelder angelegt hat.
Wie konnte es nur so weit kommen? In eilig einberufenen Sitzungen berieten die Kommunen in den vergangenen Tagen über ihr finanzielles Unheil. In so einer Sitzung stellte sich Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann demonstrativ vor die Beschäftigten der Stadtkasse, die zuständig waren für die Verträge. Diese hätten rund um den Jahreswechsel Festgeldverträge mit Zinssätzen von 0,08 bis 0,3 Prozent unterschrieben. „Ich sage ehrlich: Hätte man mir diese Verträge im Dezember und Januar vorgelegt, ich hätte sie wahrscheinlich unterzeichnet“, sagte der Politiker.
Auch der Bürgermeister der Stadt Mengen, Stefan Bubeck, stellte sich hinter seine Mitarbeiter. „Die Stadtverwaltung ist nicht fahrlässig mit dem Vermögen der Stadt umgegangen“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Bei der Auswahl der Greensill Bank sei ausschlaggebend gewesen, dass die Bank einen Standort in Deutschland habe, ein A-Rating vorweisen konnte und im Gegensatz zu den regionalen Banken keine Negativzinsen verlange, sondern Zinsen in Höhe von 0,06 Prozent auszahlt. Es sei vor allem darum gegangen, dass sich das Vermögen der Kommune nicht verringere.
Den schwarzen Peter wollen die Kommunalvertreter nach Bonn schieben, wo die Bafin ihren Sitz hat. Kritisch verweisen sie zudem auf Finanzdienstleister, die zur Anlage geraten hätten. „Bis zum Schluss besaß Greensill ein gutes Rating“, heißt es in der gemeinsamen Mitteilung vom Dienstag. Von den schon seit Monaten laufenden Untersuchungen der Bafin hätten die Kommunen zu spät erfahren.
Die Bafin weist Kritik zurück. Man habe „bereits 2020 entschlossen und tatkräftig gehandelt“, teilt sie mit. Dabei habe man gut mit dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) und dem Prüfungsverband deutscher Banken (PdB) zusammengearbeitet.
Eine 2019 begonnene Prüfung des PdB habe „ein Konzentrationsrisiko und Verstöße gegen die Geschäftsorganisation, nicht aber Indizien für Betrug oder andere strafbare Handlungen“gezeigt. Nachdem die Bafin Indikationen zum Prüfungsergebnis im Frühjahr 2020 bekommen habe, habe sie eigene Untersuchungen begonnen und im September eine Sonderprüfung angeordnet. Auf Basis erster Erkenntnisse aus dieser Prüfung bestellte die Bafin Anfang Januar 2021 Sonderbeauftragte. Am 3. März erließ die Bafin ein Moratorium. Hinweise für so eine drastische Maßnahme darf die Bafin zuvor nicht nach außen geben.
Der Bankenwissenschaftler Hans Peter Burghof sieht sowohl die Rolle der Bafin als auch die der Kommunen kritisch. „Wie bei Wirecard hat die Bafin auch bei Greensill versagt“, sagt der BWL-Professor von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Bei Betrachtung der Bank habe die Finanzaufsicht bestimmte Kreditversicherungen eigenkapitalschonend angerechnet – obwohl bekannt war, dass die Versicherungen im Schadensfall sehr strenge Kriterien für die Auszahlung der Versicherungssumme haben. „Auf dem Papier war das Risiko durch diese Anrechnung geringer als es tatsächlich der Fall war“, moniert er.
Die Kommunen kommen aus Sicht von Burghof beim Thema Greensill ebenfalls schlecht weg. „Sie haben Geld investiert bei einer Bank, die sie nicht einschätzen konnten – das ist keine nachhaltige Anlagepolitik.“Die Bank habe etwas bessere Zinsen gezahlt als die Konkurrenz – durch diese kleine Differenz sei klar gewesen, dass die Anlage riskanter sei als bei anderen Finanzinstituten.
Aus Sicht von Burghof ist die Geldanlage von Kommunen häufig nicht professionell genug. Immer wieder gingen Anlagen in die Binsen, moniert der Wissenschaftler und verweist auf die „Spread Ladder Swaps“, also riskante Derivate zur Zinsoptimierung. Einige Kommunen verloren bei diesen Geschäften im vergangenen Jahrzehnt viel Geld.
Ein schlechtes Zeugnis stellte den Kommunen auch der Bund der Steuerzahler aus. Er erinnerte in einer Pressemitteilung an die Gemeindeordnung, die den Sicherheitsaspekt von Geldanlagen betone, „und zwar noch vor der Ertrags-Orientierung“. Wenn Kommunen ihr überschüssiges Geld bei einer kaum bekannten Bank wie der Greensill-Bank anlegten, erfordere das hauseigenes Expertenwissen, um die Risiken vollständig überblicken zu können – ein hundertprozentiger Verlass auf externe Berater oder die Positiv-Einschätzung der BaFin genüge hierfür nicht.