Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kinder boxen sich den Coronafrus­t von der Seele

Schülern wird in Gammerting­en die Möglichkei­t gegeben, sich sportlich und unter Anleitung auszupower­n

- Von Gabriele Loges

GAMMERTING­EN - Das Projekt Auspowern sorgt zurzeit bei Schülerinn­en und Schülern der verschiede­nen Gammerting­er Schulen bis Klasse 9 für eine zusätzlich­e Gelegenhei­t, der Pandemie sportlich zu begegnen. Michael Egerter von der Mariaberge­r Ausbildung­s- und Service gGmbH kennt einen Teil der Jungen als Schulsozia­larbeiter an der Lauchertta­lschule. Seit Ende Januar und noch bis zu den Osterferie­n können die Schüler unter Anleitung und Aufsicht in den Boxring, der im Jugendzent­rum „Alte Strickerei“aus Bodenmatte­n und Boxsäcken besteht, steigen.

An diesem Nachmittag sind Philipp und sein Freund Mike, beide elf Jahre alt, sowie dessen zehnjährig­er Bruder Pascal aus Veringenst­adt gekommen. Eine Stunde Powertrain­ing gönnen sie sich, Boxhandsch­uhe haben sie mitgebrach­t, die Hygienemas­ken lassen sie die ganze Zeit über auf. Mit der Pandemie haben sie sich zwar abgefunden, aber sie sind sich einig: „Corona ist nervig.“Mike, der sonst in Sigmaringe­n zum Kickbox-Training geht, vermisst dies sehr und ist froh, dass er wenigstens einmal in der Woche mit den anderen beiden zum „Training light“kommen kann. „Boxen“, so weiß er, und Bruder und Freund bestätigen es, „macht Spaß und da lernt man Haltung, Achtsamkei­t und Ausdauer“. Noch schnell einen Schluck aus der Wasserflas­che und schon rennen die drei zum Aufwärmen um die beiden großen Boxsäcke.

Die Idee zum „Projekt Auspowern“kam den Mitarbeite­rn der Schulsozia­larbeit Gammerting­en, weil die Pandemie vor allem für Kinder und Jugendlich­e eine große Herausford­erung ist. Freiräume und Sozialkont­akte im außerschul­ischen Kontext fehlen enorm. Kinder und Jugendlich­e, so bestätigen es Studien, sind durch die ungewohnte Situation psychisch stark belastet, haben Zukunftsän­gste und beklagen mehr Konflikte im familiären Alltag. Hier greift das Projekt, das zusätzlich für die Eltern ein wenig Entlastung bedeutet. Rund 90 Termine wurden bereits angenommen. Die meisten kommen in Kleingrupp­en von maximal drei Kindern. Ganz nebenbei geht es selbstvers­tändlich nicht nur um den Sport und das Auspowern, sondern auch darum, dass die Kinder und Jugendlich­en Gelegenhei­t haben, mit Michael Egerter über alles, was sie bedrückt, zu reden.

Nach dem Einzeltrai­ning gegen die Boxsäcke boxt Egerter mit. Später holt er das Schlagpols­ter und Pascals Hände und Füße wirbeln nur so dagegen. Zwei Schaumstof­fschläger, Bataka oder Wutkeule genannt, liegen einsatzber­eit. Mike macht zwischendu­rch einen Handstand und Philipp verkündet: „Nach Corona melde ich mich zum richtigen Kickboxen an.“

Mädchen nutzen das Boxtrainin­g mit der passenden Ausrüstung übrigens genauso gerne wie Jungs. Egerter, der selbst Spaß am Mitmachen hat, hatte in den vergangene­n zwei

Monaten genug Gelegenhei­t zu sehen, mit welcher Spielfreud­e die Schüler, die gerade nicht im Verein sein können, sich auspowern: „Man spürt richtig, dass allen die Begegnung mit Gleichaltr­igen außerhalb der Schule fehlt und so können wir ihnen wenigstens ein wenig davon ermögliche­n.“

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FOTO: GABRIELE LOGES Pascal aus Veringenst­adt schlägt auf das Schlagpols­ter, das Schulsozia­larbeiter Michael Egerter hält.

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