Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kinder boxen sich den Coronafrust von der Seele
Schülern wird in Gammertingen die Möglichkeit gegeben, sich sportlich und unter Anleitung auszupowern
GAMMERTINGEN - Das Projekt Auspowern sorgt zurzeit bei Schülerinnen und Schülern der verschiedenen Gammertinger Schulen bis Klasse 9 für eine zusätzliche Gelegenheit, der Pandemie sportlich zu begegnen. Michael Egerter von der Mariaberger Ausbildungs- und Service gGmbH kennt einen Teil der Jungen als Schulsozialarbeiter an der Laucherttalschule. Seit Ende Januar und noch bis zu den Osterferien können die Schüler unter Anleitung und Aufsicht in den Boxring, der im Jugendzentrum „Alte Strickerei“aus Bodenmatten und Boxsäcken besteht, steigen.
An diesem Nachmittag sind Philipp und sein Freund Mike, beide elf Jahre alt, sowie dessen zehnjähriger Bruder Pascal aus Veringenstadt gekommen. Eine Stunde Powertraining gönnen sie sich, Boxhandschuhe haben sie mitgebracht, die Hygienemasken lassen sie die ganze Zeit über auf. Mit der Pandemie haben sie sich zwar abgefunden, aber sie sind sich einig: „Corona ist nervig.“Mike, der sonst in Sigmaringen zum Kickbox-Training geht, vermisst dies sehr und ist froh, dass er wenigstens einmal in der Woche mit den anderen beiden zum „Training light“kommen kann. „Boxen“, so weiß er, und Bruder und Freund bestätigen es, „macht Spaß und da lernt man Haltung, Achtsamkeit und Ausdauer“. Noch schnell einen Schluck aus der Wasserflasche und schon rennen die drei zum Aufwärmen um die beiden großen Boxsäcke.
Die Idee zum „Projekt Auspowern“kam den Mitarbeitern der Schulsozialarbeit Gammertingen, weil die Pandemie vor allem für Kinder und Jugendliche eine große Herausforderung ist. Freiräume und Sozialkontakte im außerschulischen Kontext fehlen enorm. Kinder und Jugendliche, so bestätigen es Studien, sind durch die ungewohnte Situation psychisch stark belastet, haben Zukunftsängste und beklagen mehr Konflikte im familiären Alltag. Hier greift das Projekt, das zusätzlich für die Eltern ein wenig Entlastung bedeutet. Rund 90 Termine wurden bereits angenommen. Die meisten kommen in Kleingruppen von maximal drei Kindern. Ganz nebenbei geht es selbstverständlich nicht nur um den Sport und das Auspowern, sondern auch darum, dass die Kinder und Jugendlichen Gelegenheit haben, mit Michael Egerter über alles, was sie bedrückt, zu reden.
Nach dem Einzeltraining gegen die Boxsäcke boxt Egerter mit. Später holt er das Schlagpolster und Pascals Hände und Füße wirbeln nur so dagegen. Zwei Schaumstoffschläger, Bataka oder Wutkeule genannt, liegen einsatzbereit. Mike macht zwischendurch einen Handstand und Philipp verkündet: „Nach Corona melde ich mich zum richtigen Kickboxen an.“
Mädchen nutzen das Boxtraining mit der passenden Ausrüstung übrigens genauso gerne wie Jungs. Egerter, der selbst Spaß am Mitmachen hat, hatte in den vergangenen zwei
Monaten genug Gelegenheit zu sehen, mit welcher Spielfreude die Schüler, die gerade nicht im Verein sein können, sich auspowern: „Man spürt richtig, dass allen die Begegnung mit Gleichaltrigen außerhalb der Schule fehlt und so können wir ihnen wenigstens ein wenig davon ermöglichen.“