Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Notbremse statt Lockerungen über Ostern
Lockdown bis Mitte April verlängert – Streit um Schulen, Urlaub und Ausgangssperren
BERLIN (dpa/AFP) - Die dunklen Wintermonate sind vorbei, doch die Corona-Pandemie ist noch immer nicht weg. Im Gegenteil: Die dritte Welle rollt gerade durchs Land. Entsprechend reagierten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder bei ihrem Gipfel am Montag in Berlin. Einigkeit gab es angesichts steigender Corona-Infektionszahlen jedoch nur beim Lockdown, der wie erwartet bis zum 18. April verlängert werden soll. Es wird demzufolge auch keine Lockerungen der Kontaktbeschränkungen an Ostern geben.
Auch die Umsetzung der Anfang März beschlossenen Notbremse bei hohen Inzidenzwerten wurde bekräftigt. Bereits erfolgte Lockerungen wie die Öffnung von Geschäften, Museen und Sportanlagen sollen in jenen Regionen zurückgenommen werden, in denen die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen über 100 steigt. Seit Sonntag liegt der Durchschnittswert für das ganze Land bereits darüber, gehandelt wird in vielen Regionen aber oft trotzdem nicht. Entsprechend verärgert reagierte Kanzlerin Merkel am Montag, sie war unzufrieden mit der Reaktion einiger Ministerpräsidenten. Die Runde musste sogar unterbrochen werden. Streit gab es beim Gipfel auch in Sachen Ausgangssperren und bei den Schulen. Bei der Frage nach dem Urlaub zeigte sich die Runde ebenfalls zutiefst gespalten.
Einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge will eine große Mehrheit der Deutschen in den Osterferien ohnehin zu Hause bleiben: 79 Prozent der Befragten gaben an, nicht verreisen zu wollen. Nur zwei Prozent wollen im Ausland Urlaub machen, weitere vier Prozent wollen im Inland verreisen, zehn Prozent hatten sich zum Zeitpunkt der Umfrage – 16. bis 18. März – noch nicht entschieden.
Im Ausland stehen etwa 160 der insgesamt rund 200 Länder auf der Risikoliste des Robert-Koch-Instituts. Einzelne Urlaubsgebiete Europas zählen jedoch wegen gesunkener Infektionszahlen seit Kurzem nicht mehr zu den Risikogebieten. Dazu zählen Mallorca und alle weiteren Inseln der Balearen, Teile des spanischen und portugiesischen Festlands sowie die Halbinsel Istrien in Kroatien.
BERLIN - Die Beratungen zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zogen sich erneut bis in die Abendstunden. Dabei wurde vor allem über die Konsequenzen aus der derzeitigen Lage gesprochen, in der die Neuinfektionen mit Corona wieder deutlich steigen, die Impfkampagne weiter nur langsam fortschreitet und die Intensivmediziner erneut vor Höchstbelastungen warnen. Die wichtigsten Antworten zu den Beschlüssen.
Wer stirbt?
Das Robert-Koch-Institut gewinnt offenbar zunehmend Erkenntnisse darüber, bei welcher Gruppe die Erkrankung mit Corona des ursprünglichen Typs einen tödlichen Verlauf nimmt. So waren unter den 42 000 Menschen, die nach Meldungen der Gesundheitsämter im Dezember und Januar an und mit Corona verstarben, rund 90 Prozent älter als 70 Jahre. Allerdings lassen sich hier nach Anmerkung des Instituts deutliche Unterschiede je nach Wohlstandsniveau des betroffenen Kreises feststellen. „Der Anstieg der Covid-19-Todesfälle fiel in sozial benachteiligten Regionen Deutschlands am stärksten aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen“, schreiben die Experten des Instituts. So habe die Sterblichkeit in solchen Gegenden um rund 50 bis 70 Prozent höher gelegen als in Regionen, die deutlich wohlhabender seien.
Wer ist geimpft?
Nach Worten von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wurden bisher neun Prozent aller Deutschen mindestens einmal geimpft. „Das sind mehr als 7,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger.“Um das Ergebnis zu erreichen, seien 8,5 Millionen Impfdosen von dem Hersteller Biontech, 410 000 von Moderna und 1,9 Millionen von Astra-Zeneca verwendet worden. Vier Prozent der Menschen haben mit der zweiten Impfung bereits die volle Immunisierung erhalten.
Dass vor allem ältere Menschen geimpft wurden, entspannt die Lage auf den Intensivstationen allerdings nicht merklich, heißt es bei der
Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Auch das RobertKoch-Institut hatte zuvor argumentiert, durch die zunehmende Impfung würden die Patienten auf den Intensivstationen jünger, sie blieben aber auch länger. Am Montag meldete das DIVI mehr als 3000 Fälle auf den Intensivstationen, was etwa dem Spitzenwert entspricht, der in der ersten Welle erreicht wurde. Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle im Januar lag diese Zahl bei etwa 5000. Das DIVI verweist allerdings auf Simulationen, die im schlimmsten Fall im April einen Anstieg auf 6000 befürchten lassen. DIVI-Präsident Gernot Max warnt: „Wir erwarten in den nächsten Wochen einen rasanten Anstieg der Patienten, da die Welle der Intensivpatienten immer zwei bis drei Wochen der Infektionswelle nachrollt.“
Was hilft?
Nach Ansicht von Kanzleramt und Ministerpräsidenten sind bis mindestens Mitte April härtere Maßnahmen notwendig, um die Gefahr durch die hochansteckenden Virusvarianten zu bannen und die Zeit bis zur Vollversorgung mit Impfstoff zu überbrücken. „Richtig Tempo aufnehmen wird das Impfen erst Mitte/ Ende April“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der „Welt“. Es sei unvertretbar, bis dahin noch einmal den Tod von bis zu 10000 Menschen in Kauf zu nehmen, indem man nichts tue. „So lange sollten wir im Lockdown bleiben.“
Wie geht es weiter?
Wie diese härteren Maßnahmen ausgestaltet werden, darüber wurde bereits vor der Bund-Länder-Runde am Montag heftig diskutiert. Im Entwurf des Kanzleramtes war davon die Rede, von einer Uhrzeit X bis früh 5 Uhr Ausgangsbeschränkungen zu erlassen. In einigen Bundesländern gelten solche Regelungen bereits ab einer bestimmten Inzidenz. Schon vor der Diskussion regte sich Protest. Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus kritisierte: „Nächtliche Ausgangsbeschränkungen greifen unverhältnismäßig in den Lebensalltag der Menschen ein und sind auch nicht zielführend in der Pandemiebekämpfung.“Ein Abendspaziergang oder das Gassi gehen mit dem Hund seien keine
Pandemietreiber. Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich laut „Bild“„skeptisch“zu Ausgangssperren. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) bezeichnete sie gegenüber der „Bild“als „ultima ratio“, als letztes Mittel. „Von Fall zu Fall, in einer Notsituation kann dies notwendig sein.“
Wie wird Ostern?
Von Reisen über Bundesländergrenzen hinweg raten sowohl das Kanzleramt als auch die Ministerpräsidenten der Länder grundsätzlich ab. Und laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov wollen sich auch 79 Prozent der Befragten daran halten. Heftige Debatten gab es über den am Ende verworfenen Vorschlag, an den Ostertagen
Ausnahmen für Familientreffen zu ermöglichen. Im Gespräch war ein Vorschlag, vom 2. bis zum 5. April Treffen mit bis zu fünf über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen aus dem engsten Familienkreis sowie deren Kindern unter 14 Jahren zu ermöglichen.
Machen die Schulen wieder zu?
Mit Hygienekonzepten und im Wechselunterricht waren deutschlandweit viele Schulen vor wenigen Wochen wieder in den Präsenzunterricht im Klassenraum gestartet. Angesichts der hohen Infektionsraten sind einige Länder davon jedoch schon wieder abgewichen, zuletzt Brandenburg am Montag. Ein Festhalten am Unterricht bei Inzidenzen von mehr als 100 nannte Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger „nicht verantwortbar“. Gleichwohl wies die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst (SPD) darauf hin, dass viele Kinder und Jugendliche unter der Pandemiesituation litten. Die Priorität der Kultusminister liege darauf, „die Schulen so lange wie möglich offen zu halten“. Südwest-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte bereits angekündigt, es sei mit Verschärfungen zu rechnen. Angesichts vieler Ansteckungen in Kitas und Schulen könne es sein, „dass wir da auch was ändern müssen“. Heftig umstritten war ein Vorschlag des Kanzleramtes, Schulen zu schließen, wenn eine Inzidenz von 200 erreicht wird oder keine zwei Schnelltests pro Woche möglich sind.
Was wird aus der „Notbremse“?
Das werden die nächsten Tage zeigen – und ob die Länder den Beschluss umsetzen, ab einer Inzidenz von 100 Infizierten auf 100 000 Einwohner Lockerungen zurückzunehmen, etwa das Einkaufen nur mit gebuchtem Termin. Ein Technikmarkt in Nordrhein-Westfalen hatte am Montag erfolgreich dagegen geklagt.
Was wird mit den Schnelltests?
Den Bundesländern stehen nach Angaben der Bundesregierung ausreichend Corona-Tests für die kommenden Wochen zur Verfügung. So vermittelte die Taskforce Testlogistik den Ländern abrufbare Kontingente von über 130 Millionen Selbsttests für März und April.