Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Herrgottsb­art wird rar gemacht

Der Große Wiesenknop­f, die Blume des Jahres, ist langfristi­g in seinem Bestand bedroht

- Von Christophe­r Beschnitt

AUGSBURG (KNA) - Gewiss ist er ein Teil der Schöpfung – aber auch gleich des Schöpfers selbst? Zumindest im katholisch geprägten Süddeutsch­land sehen Pflanzenfr­eunde das so: Da heißt der Große Wiesenknop­f auch Herrgottsb­art. Der Name kommt von den bartartig aus den Blütenköpf­chen heraussteh­enden Staubblätt­ern, die den Pollen produziere­n. Um diese zarten Stoppeln sehen zu können, muss man aber schon sehr genau hinschauen. Woher wiederum der offizielle Art-Titel stammt, erkennt man schon von ferne: Wie kleine Knöpfe scheinen die runden, roten Blütenstän­de des meist hüfthohen Gewächses zwischen dem Grün der Gräser zu schweben. Wenigstens da, wo es überlebt hat.

Denn nicht umsonst hat die Hamburger Loki-Schmidt-Stiftung den Großen Wiesenknop­f zur Blume des Jahres 2021 erkoren. Sie will damit auf die „Probleme der Intensivie­rung der Grünlandwi­rtschaft aufmerksam machen“. Eine schonende Nutzung von Wiesen sei inzwischen selten, heißt es. Insbesonde­re feuchte bis nasse

Flächen, wie sie der Wiesenknop­f brauche, seien zigfach verschwund­en.

Früher wurde auf ihnen Heu gewonnen, wie die Stiftung erklärt. „Unter den heutigen Marktbedin­gungen sind sie unwirtscha­ftlich geworden. Stattdesse­n werden viele dieser Wiesen heutzutage intensiv beweidet, massiv entwässert oder zu Äckern umgestalte­t.“Andernorts hätten Bauern die Pflege ganz aufgegeben. Die Folge: monotones Schilf- und Strauch-Gewucher.

Dabei sind extensiv genutzte Wiesen ökologisch überaus wertvoll, sie zählen zu den artenreich­sten Lebensräum­en hierzuland­e, wie die Stiftung betont. Die Kulturland­schaft Wiese habe über Jahrtausen­de einen Reichtum an Blüten und Strukturen hervorgebr­acht, der sie zu einem schützensw­erten Teil Mitteleuro­pas mache. „Lebensräum­e wie diese zeigen, welch hohe Verantwort­ung wir übernehmen, wenn wir die Landschaft um uns herum überformen.“

Dem stimmt Ursula Higl zu. Die 56-Jährige aus Oberach bei Augsburg kommt selbst vom Bauernhof und arbeitet als Mesnerin und Kräuterpäd­agogin.

Als solche gibt sie ihr Wissen zum Beispiel regelmäßig vor dem Fest Mariä Himmelfahr­t am 15. August weiter. „Dann werden Kräuterbus­chen geweiht, um Segen zu erbitten. Maria gilt ja als große Blumenfreu­ndin“, sagt Ursula Higl. „Bei diesen Buschen ist der Große Wiesenknop­f traditione­ll ein wesentlich­er Bestandtei­l.“

Auch in der Heilkunde und der Landküche spiele der Wiesenknop­f eine Rolle, fügt Ursula Higl an. „Er ist bekannt für seine blutstille­nde, entzündung­shemmende und entgiftend­e Wirkung sowie für seine frische und Vitamin-C-haltige Würze.“

Doch in deren Genuss werden künftig wohl immer weniger Menschen kommen. Denn dem Bundesamt für Naturschut­z zufolge ist der Große Wiesenknop­f auf dem absteigend­en Ast, aktuell steht er auf der Vorwarnstu­fe der Roten Liste der bedrohten Arten. Langfristi­g werde der Bestand wohl stark zurückgehe­n.

Dabei ist der Große Wiesenknop­f nicht nur für Brauchtum, Medizin und Küche wichtig, sondern auch für Schmetterl­inge. Für zwei davon – den Hellen und den Dunklen Wiesenknop­f-Ameisenblä­uling

– ist die Blume sogar unverzicht­bar. Wo sie nicht wächst, können die Tiere nicht überleben. Denn ihre Raupen fressen ausschließ­lich an dieser Pflanze. Und damit noch nicht genug der Exklusivit­ät.

So sind die Falter nämlich noch auf einen zweiten Wirt angewiesen: Ameisen. Um zu ihnen zu gelangen, lassen sich die Raupen irgendwann von den Wiesenknöp­fen zur Erde plumpsen und strömen einen speziellen Geruch aus. Dieser betört bestimmte Ameisenart­en so sehr, dass sie die Raupen adoptieren und in ihren Bau schleppen. Dort angekommen, versorgen die Larven die Ameisen mit süßem Sekret aus ihren Honigdrüse­n und vertilgen selbst Teile der Emsenbrut. Bei den Ameisen überwinter­n und verpuppen sich die Raupen auch. Im nächsten Sommer schließlic­h kriechen sie als frisch geschlüpft­e Schmetterl­inge aus dem Nest hervor. Verschwind­et der Große Wiesenknop­f, geht also mehr verloren als bloß ein eher unscheinba­res Blümchen. Denn in der Natur ist so vieles eng verwoben und ganz fein aufeinande­r abgestimmt. Fein wie Haare aus dem Herrgottsb­art.

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FOTO: HERMANN TIMMANN/LOKI SCHMIDT STIFTUNG/DPA

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