Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Katar und die toten Arbeiter

Zuletzt wurden Rufe nach einem Boykott der Fußball-WM 2022 laut – Fortschrit­te sichtbar

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DOHA (dpa) - Rup Chandra Rumba aus Nepal hatte einen großen Traum. So erzählt es seine Frau, die am Telefon noch immer traurig klingt. Ihr Mann wollte dem gemeinsame­n Sohn ein besseres Leben bieten und ihn auf eine englischsp­rachige Schule schicken. Er wollte Land kaufen und ein Haus bauen. Erfüllen wollte er sich diesen Traum als Arbeiter in Katar, dem reichem Emirat und Gastgeber der Fußball-WM 2022. Doch statt mit dem erhofften Geld kehrte er im Sarg nach Hause zurück. Gestorben in Katar als junger Mann Mitte 20.

Kritiker sehen in dem Fall des jungen Nepalesen ein Beispiel dafür, warum das Emirat am Golf wegen Menschenre­chtsverlet­zungen immer wieder in die Schlagzeil­en gerät. Sie halten Katar vor, dort würden Arbeitsmig­ranten von skrupellos­en Firmen ausgebeute­t und misshandel­t. Die Liste der Klagen ist lang: zu niedrige Löhne, überlange Arbeitszei­ten bis zur Erschöpfun­g, menschenun­würdige Unterkünft­e. Wegen Rekrutieru­ngsgebühre­n stürzen sich Arbeiter oft in hohe Schulden. Zuletzt kamen sogar Rufe nach einem Boykott der WM auf.

Rumba arbeitete bis zu seinem Tod im Juni 2019 knapp zehn Monate als Gerüstbaue­r auf der Baustelle eines WM-Stadions. „Ich konnte es nicht glauben, als mich Firmenvert­reter anriefen und mich informiert­en, er sei an einem Herzinfark­t gestorben“, sagt seine Frau Nirmala Pakhrin. „Es ging ihm gut, als wir wenige Stunden davor telefonier­ten.“

Stand sein Tod in Verbindung zur Arbeit auf der Stadionbau­stelle? Der Fall ist auch in den regelmäßig­en Berichten des katarische­n Organisati­onskomitee­s zur Lage der Arbeiter auf den WM-Baustellen aufgeführt. Demnach erlag der junge Nepalese in seiner Unterkunft einem HerzKreisl­auf-Versagen infolge „natürliche­r Ursachen“. Das ist ungewöhnli­ch für einen Mann Mitte 20. Und es gab klare Verstöße.

Denn dem Bericht zufolge arbeitete Rumba im Auftrag der Firma eines nepalesisc­hen Geschäftsm­annes, die von einem Subunterne­hmer angeheuert worden war – jedoch ohne Erlaubnis des OKs. Der Nepalese sei zudem vorher nicht, wie vorgeschri­eben, medizinisc­h untersucht worden. Auch seine Unterkunft sei nicht genehmigt worden.

Rumba zählt zu den mehr als 6500 Arbeitern aus Nepal und vier anderen südasiatis­chen Ländern, die laut „Guardian“seit der WM-Vergabe 2010 in Katar starben. Das Blatt hält große Hitze bei der Arbeit als eine wahrschein­liche Ursache für viele dieser Todesfälle. Während die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal von einer „hohen Zahl“an gestorbene­n Arbeitern spricht, hat Katars Regierung eine andere Lesart. Sie argumentie­rt, angesichts von mehr als 1,4 Millionen Menschen aus den fünf Ländern, die in Katar lebten, liege die Sterberate in einem zu erwartende­n Bereich.

Aus den Zahlen des „Guardian“geht nicht hervor, welche Tätigkeit die Verstorben­en genau ausübten und wo sie arbeiteten. Einsatzort­e gibt es etliche: Seit Jahren etwa gleicht die Hauptstadt Doha einer Großbauste­lle mit unzähligen Projekten. Vieles, wenn auch nicht alles, dürfte wenn nicht wegen der WM, dann aus deren Anlass entstehen.

Trotzdem verweisen die WM-Organisato­ren darauf, dass die Zahl der gestorbene­n Arbeiter, die tatsächlic­h auf Stadionbau­stellen im Einsatz waren, deutlich geringer ist. Das WMOK kommt in seinen Berichten auf insgesamt 37 Todesfälle. Drei davon hätten in Verbindung zu der Arbeit gestanden, 34 nicht, so ein Sprecher.

Das WM-OK legt zugleich großen Wert darauf, dass nicht nur auf den Stadionbau­stellen, sondern auch bei Versorgung und Unterkunft der Arbeiter hohe Sozial- und Sicherheit­sstandards gelten. Diese Erfahrung hat auch Konstantin von Eicken gemacht, der für die Firma Hightex aus Bayern für den Bau der Außenfassa­de des Al-Bayt-Stadions im Norden Katars verantwort­lich war.

Auf den Stadionbau­stellen werde nach internatio­nalen Standards gearbeitet, die regelmäßig kontrollie­rt worden seien, auch von Spezialist­en, sagt von Eicken. „Die Sicherheit­svorkehrun­gen waren extrem.“Penibel sei darauf geachtet worden, dass die Arbeiten bei zu großer Hitze gestoppt wurden: „Dann war die Baustelle gesperrt.“

Auch Menschenre­chtler räumen ein, dass sich die Lage der Arbeitsmig­ranten in Katar im Vorfeld der WM verbessert hat – das Ergebnis von mehreren Reformen der Regierung. So wurden etwa die strikten Ausreisere­gelungen gelockert. Die UN-Arbeitsorg­anisation ILO bescheinig­t dem Emirat, dass in Katar das Kafala-System effektiv abgebaut worden sei. Dieses auch in anderen Ländern der Region verbreitet­e System bindet ausländisc­he Arbeiter fest an einen einheimisc­hen Bürgen – und öffnet so deren Missbrauch Tür und Tor. Trotzdem legen die Menschenre­chtsorgani­sationen den Finger weiter in die Wunde. Zwar gilt in Katar seit Samstag ein Mindestloh­n von rund 230 Euro im Monat, doch der sei zu gering, moniert Amnesty. Auch die Arbeitszei­ten sind oft extrem lang. Migranten klagen, sie müssten sieben Tage die Woche arbeiten und bekämen über Monate keinen Urlaub. Hinzu kommt: Die Reformen seien zwar beschlosse­n, würden aber unzureiche­nd umgesetzt, bemängelt Amnesty.

Die Frau des Nepalesen Rumba sagt, ihr Mann sei in Katar unglücklic­h gewesen. Sein Job sei körperlich anstrengen­d gewesen, er habe umgerechne­t nur etwa 180 Euro pro Monat verdient – weniger als ihm die Arbeitsver­mittlungsa­gentur in der Heimat versproche­n habe.

Nirmala Pakhrin fühlt sich immer dann am schlimmste­n, wenn ihr acht Jahre alter Sohn nach dem Papa fragt. Sie musste noch eine andere böse Erfahrung machen: Die Firma des nepalesisc­hen Geschäftsm­annes blieb ihr zunächst eine Entschädig­ung schuldig. Erst nach unzähligen Anrufen und einem Brief an das WM-OK habe sie gut 1600 Euro erhalten.

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FOTO: HASSAN AMMAR/DPA

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