Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Motorrad statt Rollstuhl
Der Berkheimer Sandro Cortese möchte nach schwerem Sturz zurück in den Rennsport
BERKHEIM - Drei Millimeter. Mehr war es nicht, was Sandro Cortese vor dem Rollstuhl bewahrte. Am 8. August 2020 krachte der aus Berkheim bei Biberach stammende Motorradfahrer im ersten Lauf der Superbike-WM im portugiesischen Portimao nach einer Kollision in die Streckenbegrenzung und zog sich schwere Verletzungen zu. Der siebte Brustwirbel ging zu Bruch, ebenso vier Rippen, das rechte Schienbein und das Knie. Hinzu kamen innere Verletzungen. Der 31-Jährige wurde noch in Portugal notoperiert und kämpfte monatelang mit den Folgen seines Crashs. „Die Ärzte meinten, drei Millimeter mehr und ich wäre querschnittgelähmt gewesen“, erzählt er mit Blick auf seine schweren Wirbelverletzungen.
Noch immer hat Cortese eine Metallplatte und acht Schrauben im Rücken, welche die zertrümmerten Wirbel fixieren. Am 15. April sollen diese in der Unfallklinik in Murnau endlich entfernt werden. „Ich hoffe, dass ich dann wieder mehr Sport machen kann“, sagt der 31-Jährige im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Schon jetzt grenzt es an ein Wunder, dass Cortese bei seinem Sturz keine schwerwiegenderen Folgen davongetragen hat. „Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich das überlebt habe und wieder selbst gehen kann.“
Die Bilder vom Unfall hat der Rennfahrer noch genau im Kopf – darüber sprechen möchte er aber nicht mehr. Dank psychologischer Hilfe hat er es geschafft, mit positiven Gedanken auf das Unglück zurückzublicken. „Ich frage nicht, warum ich, sondern ziehe das Gute raus.“Seine „Hauptpsychologen“, wie Cortese sagt, seien Familie und Freunde gewesen. „Es gibt nichts Wichtigeres als ihre Unterstützung.“
Dank ihnen schaut der Berkheimer wieder positiv in die Zukunft – und die könnte ihn tatsächlich zurück aufs Motorrad führen. Trotz seiner schweren Verletzungen schließt Cortese eine Rückkehr in den Rennsport nicht aus. „Natürlich vermisse ich es, zu fahren und um die Welt zu reisen. Das habe ich mein ganzes Leben gemacht und ohne geht es irgendwie nicht.“Klar sei aber auch: „In Zukunft muss alles stimmen.“Nur bei einem Angebot von einem Spitzenteam und einer entsprechenden Bezahlung würde Cortese wieder aufs Motorrad steigen. Denn, das kritisiert er deutlich, mittlerweile seien viele Fahrer „für lau“unterwegs: „Aber das ist ja nicht wie bei Fußballern, die sich genug für die Zeit nach der Karriere zurücklegen können. Es kann nicht sein, dass man so viel riskiert und dann nicht einmal ein Gehalt dafür bekommt.“
In dieser Saison wird der zweifache Weltmeister (Moto3 2012 und Supersport 2018) aber definitiv nicht mehr in den Rennzirkus zurückkehren. Sowohl der Start der MotoGP am vergangenen Wochenende als auch der Auftakt in die Superbike-WM Ende Mai kommen zu früh. „Es dauert sicher noch ein paar Monate, bis ich wieder fit genug bin, um auf ein Motorrad zu steigen. Das schafft ein Körper nach so einem schweren Unfall nicht so schnell. Ich habe noch nie so wenig Muskeln gehabt, wie heute.“
Nicht nur der Körper, sondern auch der Kopf hat sich seit seinem Sturz stark gewandelt. „Mit einem Schlag hat sich alles verändert“, sagt Sandro Cortese. „Für mich zählen jetzt ganz andere Faktoren.“In den vergangenen acht Monate hatte er genug Zeit, sich Gedanken über die Zeit nach seiner Rennfahrerkarriere zu machen. Eines schloss er dabei sofort aus: Die Schweißerei seiner Eltern in Berkheim wird er nicht übernehmen. Schon eher könnte er sich den Schritt in die Immobilienbranche vorstellen, in der er schon erste Erfahrungen gesammelt hat. Zudem wird er vermutlich wieder als TV-Experte bei Rennen im Einsatz sein – auch wenn er offiziell noch nichts verkünden darf. 2018 kommentierte er bereits für Eurosport als MotoGP-Experte, zudem die letzten zwei Jahre bei DAZN. Auch für den österreichischen Privatsender ServusTV könnte Cortese eine Bereicherung für die Berichterstattung von der Superbike-WM werden.
Der 31-Jährige steht für eine klare Meinung. Die hat er auch zur Frage, wie sinnvoll es ist, dass der Rennzirkus mitten in einer Pandemie durch die ganze Welt reist, um Rennen zu fahren. „Es muss irgendwie weitergehen“, sagt Cortese. „Es muss Schritt für Schritt zurück zur Normalität gehen.“Vor allem die Zukunft der kleineren Privatteams sei ohne Einnahmen in Gefahr. „Es geht ja auch um Tausende Familien, die da mit dranhängen.“Wie schnell das Leben einer Familie aus der Bahn geworfen werden kann, hat Cortese vor acht Monaten selbst erfahren müssen.