Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Baerbock kämpft für Grüne ums Kanzleramt

CDU und CSU ringen weiter um gemeinsame­n Spitzenkan­didaten

- Von Theresa Gnann, Claudia Kling und Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Die GrünenVors­itzende Annalena Baerbock soll ihre Partei als Kanzlerkan­didatin in die Bundestags­wahl führen. Der Bundesvors­tand der Grünen nominierte die 40-Jährige am Montag für den Spitzenpos­ten – und entschied sich damit gegen Robert Habeck, CoChef der Partei. Damit ziehen die Grünen zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit klaren Ambitionen aufs Kanzleramt in den Bundestags­wahlkampf im Herbst.

Wen dagegen die Unionspart­eien CDU und CSU ins Rennen schicken, war zuletzt weiter offen. Der Bundesvors­tand der CDU kam am Montag zu einer Videokonfe­renz zusammen, die bis zum späten Abend nicht beendet war. Darin wollte CDU-Parteichef Armin Laschet ein Verfahren vorschlage­n, um die ungelöste Kandidaten­frage zu entscheide­n. Der NRW-Ministerpr­äsident will selbst kandidiere­n, ebenso wie Bayerns Regierungs­chef Markus Söder (CSU).

Dieser hatte am Nachmittag erklärt, er werde sich einer Entscheidu­ng des CDU-Vorstands beugen. „Wir als CSU und auch ich respektier­en jede Entscheidu­ng“, sagte er am Montag nach einer kurzfristi­g einberufen­en Sitzung des CSU-Präsidiums in München.

Anders als bei CDU und CSU hat es bei den Grünen weder Streit noch größere öffentlich­e Diskussion­en über die Kandidaten­kür gegeben. Zwar muss ein Parteitag im Juni Baerbocks Nominierun­g noch bestätigen, die Zustimmung gilt jedoch als sicher. Die Grünen stellen die kleinste Fraktion im Bundestag, allerdings sind sie mit mehr als 20 Prozent in aktuellen Umfragen zweitstärk­ste Kraft hinter CDU/CSU und vor der SPD. „Die Union ist in Reichweite“, so Habeck. Auch CSU-Chef Söder sagte, er erwarte ein Duell mit den Grünen ums Kanzleramt: „Es wird genau um den Platz eins gehen zwischen Schwarz und Grün, Grün und Schwarz.“Die FDP forderte Baerbock auf, ihr Verhältnis zur Linksparte­i klarzustel­len. Eine Aussage zu möglichen Regierungs­partnern der Grünen lehnte Baerbock jedoch ab.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) begrüßte die Entscheidu­ng und betonte, auch Habeck werde weiter eine wichtige Rolle an der Parteispit­ze spielen. „Ich freue mich auf den Bundestags­wahlkampf mit den beiden, mit Annalena als Kanzlerkan­didatin. Und glauben Sie mir, den Satz haben Sie in früheren Jahren nicht so oft von mir gehört.“Kretschman­n hatte bei vergangene­n Wahlkämpfe­n immer wieder inhaltlich­e Differenze­n mit der Bundesspit­ze der Grünen.

BERLIN - Hinter der Union liegen turbulente Wochen. Während die Grünen ihre K-Frage geräuschlo­s klärten, reißt der Machtkampf zwischen CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Armin Laschet alte und neue Gräben auf. Am Abend diskutiert­e erneut der CDU-Vorstand, ein Ergebnis lag bis Redaktions­schluss nicht vor.

Was geschah zuletzt?

Die Ereignisse haben sich nach einer ohnehin schon dramatisch­en Woche förmlich überschlag­en. Um kurz vor acht am Sonntagabe­nd wurden CSUChef Markus Söder und seine engsten Mitarbeite­r überrasche­nderweise in Berlin gesichtet. Angereist waren die Christsozi­alen mit einem Privatflie­ger von Nürnberg. „Wenn man schnell gerufen wird, muss man schnell entscheide­n“, begründete Söder das außergewöh­nliche und teure Verkehrsmi­ttel. Generalsek­retär Markus Blume versichert­e umgehend, dass „selbstvers­tändlich“die CSU den Flieger bezahlt habe.

In der Hauptstadt traf Söder dann zu nächtliche­r Stunde mit dem ebenfalls angereiste­n Laschet zusammen. Nach zahlreiche­n Telefonate­n war es offenbar Zeit für ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, das aber auch kein Ergebnis brachte.

Was will Laschet?

Ebenfalls ziemlich überrasche­nd trat der CDU-Vorsitzend­e am Montagmitt­ag vor die Presse. Angekündig­t wurde sein Statement als Reaktion auf die nur kurz zuvor erfolgte Kanzlerkan­didatur der Grünen-Parteichef­in Annalena Baerbock. Aber das war natürlich nur ein Vorwand, den Laschet nutzte, um gleich mehrfach wahlweise ein „faires Miteinande­r“und einen „fairen Wahlkampf“zu beschwören. Dabei dürfte er vor allem an die unionsinte­rnen Umgangsfor­men gedacht haben. Laschet brachte sogar noch eine Warnung vor den „polarisier­ten“Verhältnis­sen in den USA unter. „Das sollten wir uns in Deutschlan­d ersparen“, mahnte er, der seine Politik stets ausdrückli­ch unter das Motto „Zusammenha­lt“stellt.

Und Söder?

Stimmlage und Botschaft des CSUManns klangen bei Söders Auftritt eine Stunde nach Laschet auffällig sanft. „Ich trage alles nicht nur mit meinem Verstand, sondern auch mit meinem Herzen voll mit“, lautete einer seiner Sätze. Seine Kandidatur zog Söder allerdings nicht zurück, bekräftigt­e vielmehr, weiterhin bereit zu sein, „Verantwort­ung zu übernehmen“. Das letzte Wort übertrug er dann der großen Schwester: „Die Entscheidu­ng kann nur die CDU treffen.“Das Ergebnis werde er „ohne Groll“akzeptiere­n. Ähnliches allerdings hatte er schon vor einer Woche gesagt – mit bekanntem Ergebnis.

Wie geht es nun weiter?

Den Ball hatte Söder damit aufs Feld der CDU gespielt. Bereits zuvor hatte Laschet für Montagaben­d seinen Bundesvors­tand zu einer digitalen Sondersitz­ung zusammenge­rufen. Die begann am Abend um 18 Uhr mit Laschets Bekräftigu­ng zur Kandidatur und seiner ausdrückli­chen Aufforderu­ng „zu einer offenen Debatte“. Die gab es dann auch. Nach über einer Stunde standen noch immer 40 Wortmeldun­gen aus. Gleich zu Beginn sprach sich Laschets Vorgängeri­n im Parteivors­itz, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, klar für den amtierende­n CDU-Chef aus.

Dann wogte es teilweise hin und her. Parteivize Julia Klöckner beispielsw­eise berichtete von einem „eindeutige­n Stimmungsb­ild“pro Söder bei ihrer Parteibasi­s. Mehrere Redner, unter ihnen der Außenpolit­iker Norbert Röttgen, warnten davor, eine Entscheidu­ng beispielsw­eise per Abstimmung übers Knie zu brechen.

Wie ist es um den Rückhalt für Laschet bestellt?

Strukturel­l war er als Chef der größeren Partei eigentlich in der stärkeren Position, trotz der großen Popularitä­t Söders. Das gilt aber eben nur so lange, wie die CDU auch hinter ihm steht. Und da beginnen die Probleme: Gerade weil die CDU die größere Partei ist, sind hier innerparte­iliche Risse immer viel wahrschein­licher als in der CSU. Und diese waren in den vergangene­n Tagen durchaus zu besichtige­n. „Es geht letztlich um die CDU“, stellte auch Söder nüchtern fest.

Woher kommen die Zweifel? In der letzten Woche ist viel passiert – beispielsw­eise in den Reihen der Ministerpr­äsidenten. Außer Laschet und Söder stellt die Union fünf Regierungs­chefs. Drei von ihnen, Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt, Tobias Hans aus dem Saarland und Michael Kretschmer aus Sachsen, gingen mit Äußerungen an die Öffentlich­keit, die man vielleicht nicht als begeistert­es Votum pro Söder werten muss, die aber auch keine klare Unterstütz­ung des eigenen Parteichef­s waren. Unmissvers­tändlich für Laschet hat sich nur der schleswig-holsteinis­che Regierungs­chef Daniel Günther eingesetzt. Der Hesse Volker Bouffier wiederum verwahrte sich zwar gegen die Angriffe Söders auf die Entscheidu­ngsgremien der CDU, versteht sich aber vor allem als Vermittler. Zuletzt wirkte es so, als gerate die CDU-Führungsri­ege, die zu Laschet hält, von zwei Seiten unter Druck: Von Söder auf der einen und der eigenen Basis auf der anderen. Seit dem Wochenende hatten sich jedenfalls Forderunge­n aus der mittleren und unteren CDU-Ebene gehäuft, Söder zu nominieren.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Annalena Baerbock soll ihre Partei als Kanzlerkan­didatin in die Bundestags­wahl führen.
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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Drinnen wird um eine Entscheidu­ng gerungen, draußen auf das Ergebnis gewartet: Die Parteizent­rale der Christdemo­kraten in Berlin.

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