Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Baerbock kämpft für Grüne ums Kanzleramt
CDU und CSU ringen weiter um gemeinsamen Spitzenkandidaten
BERLIN/STUTTGART - Die GrünenVorsitzende Annalena Baerbock soll ihre Partei als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl führen. Der Bundesvorstand der Grünen nominierte die 40-Jährige am Montag für den Spitzenposten – und entschied sich damit gegen Robert Habeck, CoChef der Partei. Damit ziehen die Grünen zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit klaren Ambitionen aufs Kanzleramt in den Bundestagswahlkampf im Herbst.
Wen dagegen die Unionsparteien CDU und CSU ins Rennen schicken, war zuletzt weiter offen. Der Bundesvorstand der CDU kam am Montag zu einer Videokonferenz zusammen, die bis zum späten Abend nicht beendet war. Darin wollte CDU-Parteichef Armin Laschet ein Verfahren vorschlagen, um die ungelöste Kandidatenfrage zu entscheiden. Der NRW-Ministerpräsident will selbst kandidieren, ebenso wie Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU).
Dieser hatte am Nachmittag erklärt, er werde sich einer Entscheidung des CDU-Vorstands beugen. „Wir als CSU und auch ich respektieren jede Entscheidung“, sagte er am Montag nach einer kurzfristig einberufenen Sitzung des CSU-Präsidiums in München.
Anders als bei CDU und CSU hat es bei den Grünen weder Streit noch größere öffentliche Diskussionen über die Kandidatenkür gegeben. Zwar muss ein Parteitag im Juni Baerbocks Nominierung noch bestätigen, die Zustimmung gilt jedoch als sicher. Die Grünen stellen die kleinste Fraktion im Bundestag, allerdings sind sie mit mehr als 20 Prozent in aktuellen Umfragen zweitstärkste Kraft hinter CDU/CSU und vor der SPD. „Die Union ist in Reichweite“, so Habeck. Auch CSU-Chef Söder sagte, er erwarte ein Duell mit den Grünen ums Kanzleramt: „Es wird genau um den Platz eins gehen zwischen Schwarz und Grün, Grün und Schwarz.“Die FDP forderte Baerbock auf, ihr Verhältnis zur Linkspartei klarzustellen. Eine Aussage zu möglichen Regierungspartnern der Grünen lehnte Baerbock jedoch ab.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) begrüßte die Entscheidung und betonte, auch Habeck werde weiter eine wichtige Rolle an der Parteispitze spielen. „Ich freue mich auf den Bundestagswahlkampf mit den beiden, mit Annalena als Kanzlerkandidatin. Und glauben Sie mir, den Satz haben Sie in früheren Jahren nicht so oft von mir gehört.“Kretschmann hatte bei vergangenen Wahlkämpfen immer wieder inhaltliche Differenzen mit der Bundesspitze der Grünen.
BERLIN - Hinter der Union liegen turbulente Wochen. Während die Grünen ihre K-Frage geräuschlos klärten, reißt der Machtkampf zwischen CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Armin Laschet alte und neue Gräben auf. Am Abend diskutierte erneut der CDU-Vorstand, ein Ergebnis lag bis Redaktionsschluss nicht vor.
Was geschah zuletzt?
Die Ereignisse haben sich nach einer ohnehin schon dramatischen Woche förmlich überschlagen. Um kurz vor acht am Sonntagabend wurden CSUChef Markus Söder und seine engsten Mitarbeiter überraschenderweise in Berlin gesichtet. Angereist waren die Christsozialen mit einem Privatflieger von Nürnberg. „Wenn man schnell gerufen wird, muss man schnell entscheiden“, begründete Söder das außergewöhnliche und teure Verkehrsmittel. Generalsekretär Markus Blume versicherte umgehend, dass „selbstverständlich“die CSU den Flieger bezahlt habe.
In der Hauptstadt traf Söder dann zu nächtlicher Stunde mit dem ebenfalls angereisten Laschet zusammen. Nach zahlreichen Telefonaten war es offenbar Zeit für ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, das aber auch kein Ergebnis brachte.
Was will Laschet?
Ebenfalls ziemlich überraschend trat der CDU-Vorsitzende am Montagmittag vor die Presse. Angekündigt wurde sein Statement als Reaktion auf die nur kurz zuvor erfolgte Kanzlerkandidatur der Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock. Aber das war natürlich nur ein Vorwand, den Laschet nutzte, um gleich mehrfach wahlweise ein „faires Miteinander“und einen „fairen Wahlkampf“zu beschwören. Dabei dürfte er vor allem an die unionsinternen Umgangsformen gedacht haben. Laschet brachte sogar noch eine Warnung vor den „polarisierten“Verhältnissen in den USA unter. „Das sollten wir uns in Deutschland ersparen“, mahnte er, der seine Politik stets ausdrücklich unter das Motto „Zusammenhalt“stellt.
Und Söder?
Stimmlage und Botschaft des CSUManns klangen bei Söders Auftritt eine Stunde nach Laschet auffällig sanft. „Ich trage alles nicht nur mit meinem Verstand, sondern auch mit meinem Herzen voll mit“, lautete einer seiner Sätze. Seine Kandidatur zog Söder allerdings nicht zurück, bekräftigte vielmehr, weiterhin bereit zu sein, „Verantwortung zu übernehmen“. Das letzte Wort übertrug er dann der großen Schwester: „Die Entscheidung kann nur die CDU treffen.“Das Ergebnis werde er „ohne Groll“akzeptieren. Ähnliches allerdings hatte er schon vor einer Woche gesagt – mit bekanntem Ergebnis.
Wie geht es nun weiter?
Den Ball hatte Söder damit aufs Feld der CDU gespielt. Bereits zuvor hatte Laschet für Montagabend seinen Bundesvorstand zu einer digitalen Sondersitzung zusammengerufen. Die begann am Abend um 18 Uhr mit Laschets Bekräftigung zur Kandidatur und seiner ausdrücklichen Aufforderung „zu einer offenen Debatte“. Die gab es dann auch. Nach über einer Stunde standen noch immer 40 Wortmeldungen aus. Gleich zu Beginn sprach sich Laschets Vorgängerin im Parteivorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer, klar für den amtierenden CDU-Chef aus.
Dann wogte es teilweise hin und her. Parteivize Julia Klöckner beispielsweise berichtete von einem „eindeutigen Stimmungsbild“pro Söder bei ihrer Parteibasis. Mehrere Redner, unter ihnen der Außenpolitiker Norbert Röttgen, warnten davor, eine Entscheidung beispielsweise per Abstimmung übers Knie zu brechen.
Wie ist es um den Rückhalt für Laschet bestellt?
Strukturell war er als Chef der größeren Partei eigentlich in der stärkeren Position, trotz der großen Popularität Söders. Das gilt aber eben nur so lange, wie die CDU auch hinter ihm steht. Und da beginnen die Probleme: Gerade weil die CDU die größere Partei ist, sind hier innerparteiliche Risse immer viel wahrscheinlicher als in der CSU. Und diese waren in den vergangenen Tagen durchaus zu besichtigen. „Es geht letztlich um die CDU“, stellte auch Söder nüchtern fest.
Woher kommen die Zweifel? In der letzten Woche ist viel passiert – beispielsweise in den Reihen der Ministerpräsidenten. Außer Laschet und Söder stellt die Union fünf Regierungschefs. Drei von ihnen, Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt, Tobias Hans aus dem Saarland und Michael Kretschmer aus Sachsen, gingen mit Äußerungen an die Öffentlichkeit, die man vielleicht nicht als begeistertes Votum pro Söder werten muss, die aber auch keine klare Unterstützung des eigenen Parteichefs waren. Unmissverständlich für Laschet hat sich nur der schleswig-holsteinische Regierungschef Daniel Günther eingesetzt. Der Hesse Volker Bouffier wiederum verwahrte sich zwar gegen die Angriffe Söders auf die Entscheidungsgremien der CDU, versteht sich aber vor allem als Vermittler. Zuletzt wirkte es so, als gerate die CDU-Führungsriege, die zu Laschet hält, von zwei Seiten unter Druck: Von Söder auf der einen und der eigenen Basis auf der anderen. Seit dem Wochenende hatten sich jedenfalls Forderungen aus der mittleren und unteren CDU-Ebene gehäuft, Söder zu nominieren.