Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Amtsrichter hält Impfpflicht für möglich
Die dann auch grundgesetzkonform sein könnte – Nachgefragt bei Richterin Selig und Richter Simon
SIGMARINGEN/BAD SAULGAU - Delikte im Zusammenhang mit der Corona-Verordnung sind für die Justiz noch immer ein Novum, denn die Bestimmungen und damit auch die verfolgten Verstöße ändern sich ständig. Kürzlich hat vor dem Sigmaringer Amtsgericht ein Strafprozess wegen Volksverhetzung gegen ein Mitglied der sogenannten „Querdenker“-Szene stattgefunden. War das nur die Spitze des Eisbergs?
Richterin Kristina Selig verhandelt am Amtsgericht Sigmaringen Strafsachen. Sie schätzt, dass es am Sigmaringer Amtsgericht bislang 15 Strafprozesse im Zusammenhang mit der Pandemie gegeben habe. Volksverhetzung sei aber bislang erst einmal unter den Delikten gewesen. Am meisten Arbeit machen der Justiz ihrer Einschätzung nach notorische Maskenverweigerer: „Wenn jemand zum Beispiel ein öffentliches Verkehrsmittel ohne Maske betritt und sich selbst nach Aufforderung durch den Fahrer noch immer weigert, die Maske aufzusetzen oder den Bus wieder zu verlassen, kann das als Hausfriedensbruch – und damit als Straftat – verfolgt werden“, erklärt sie. Voraussetzung für die Einstufung als Straftat sei dabei, dass das Aufsetzen der Maske mit Vorsatz – also willentlich, nicht versehentlich – unterlassen wird. „Aber die meisten Delikte, die wir im Zusammenhang mit der Pandemie verhandelt haben, bewegen sich im Bereich von Ordnungswidrigkeiten“, sagt die Richterin.
Für Ordnungswidrigkeiten ist am Amtsgericht Bad Saulgau Richter Robert Simon zuständig. „Bei uns waren das Verstöße gegen die Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren sowie das Verweigern der Maske“, berichtet er. Zur Verhandlung komme es dabei aber nur, wenn der oder die Beschuldigte Widerspruch gegen einen entsprechenden Strafbefehl einlege. „Die Leute wollten in der Regel wissen, ob der tatsächlich rechtmäßig war – anders als bei Verkehrsdelikten spielt hier der Rechtsschutz meiner Erfahrung nach eine geringere Rolle“, sagt Simon.
Neu dazu gekommen seien zudem Verstöße gegen die Schulordnung – in einem Fall hatten Eltern sich geweigert, ihr Kind testen zu lassen. Beinahe wäre es zur Verhandlung gekommen, doch die Beschuldigten zogen ihren Einspruch am Ende doch zurück. Das täten im übrigen die meisten Beschuldigten, wenn sich während der Verhandlung abzeichne, dass ein Urteil ungünstig für sie ausfallen könnte: In 15 Verhandlungen wegen Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Corona sei es nur in zweien zu einem Urteilsspruch gekommen, sagt Simon.
Am schwersten zu entscheiden war für den 30-Jährigen ein Fall, in dem sich Jugendliche mit Abstand im Freien getroffen und dadurch streng genommen gegen die Kontaktbeschränkungen verstoßen hatten. „Jugendliche sind die größten Verlierer der Pandemie“, sagt Simon. „Und im Gegensatz zu den Erwachsenen, die mit Treffen in ihren Privatwohnungen gegen die Kontaktbeschränkungen verstoßen haben, werden die Jugendlichen im Freien dabei auch auch noch deutlich öfter erwischt.“
Die Pandemie nimmt der 30-Jährige als juristische Herausforderung wahr: „Wir hatten zum Teil erhebliche Grundrechtseingriffe, die innerhalb kürzester Zeit durch angepasste Verordnungen wieder eingeholt wurden“, sagt er. Nichtsdestotrotz würde er alle bisherigen CoronaMaßnahmen als grundgesetzkonform einstufen.
Auch die Impfpflicht? „Bisher gibt es ja noch kein fertiges Gesetz, das man dahingehend prüfen könnte. Aber ich gehe schon davon aus, dass es Möglichkeiten gibt, eine allgemeine Impfpflicht grundgesetzkonform zu gestalten“, sagt der Bad Saulgauer Amtsrichter.