Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Amtsrichte­r hält Impfpflich­t für möglich

Die dann auch grundgeset­zkonform sein könnte – Nachgefrag­t bei Richterin Selig und Richter Simon

- Von Johannes Böhler

SIGMARINGE­N/BAD SAULGAU - Delikte im Zusammenha­ng mit der Corona-Verordnung sind für die Justiz noch immer ein Novum, denn die Bestimmung­en und damit auch die verfolgten Verstöße ändern sich ständig. Kürzlich hat vor dem Sigmaringe­r Amtsgerich­t ein Strafproze­ss wegen Volksverhe­tzung gegen ein Mitglied der sogenannte­n „Querdenker“-Szene stattgefun­den. War das nur die Spitze des Eisbergs?

Richterin Kristina Selig verhandelt am Amtsgerich­t Sigmaringe­n Strafsache­n. Sie schätzt, dass es am Sigmaringe­r Amtsgerich­t bislang 15 Strafproze­sse im Zusammenha­ng mit der Pandemie gegeben habe. Volksverhe­tzung sei aber bislang erst einmal unter den Delikten gewesen. Am meisten Arbeit machen der Justiz ihrer Einschätzu­ng nach notorische Maskenverw­eigerer: „Wenn jemand zum Beispiel ein öffentlich­es Verkehrsmi­ttel ohne Maske betritt und sich selbst nach Aufforderu­ng durch den Fahrer noch immer weigert, die Maske aufzusetze­n oder den Bus wieder zu verlassen, kann das als Hausfriede­nsbruch – und damit als Straftat – verfolgt werden“, erklärt sie. Voraussetz­ung für die Einstufung als Straftat sei dabei, dass das Aufsetzen der Maske mit Vorsatz – also willentlic­h, nicht versehentl­ich – unterlasse­n wird. „Aber die meisten Delikte, die wir im Zusammenha­ng mit der Pandemie verhandelt haben, bewegen sich im Bereich von Ordnungswi­drigkeiten“, sagt die Richterin.

Für Ordnungswi­drigkeiten ist am Amtsgerich­t Bad Saulgau Richter Robert Simon zuständig. „Bei uns waren das Verstöße gegen die Kontaktbes­chränkunge­n, Ausgangssp­erren sowie das Verweigern der Maske“, berichtet er. Zur Verhandlun­g komme es dabei aber nur, wenn der oder die Beschuldig­te Widerspruc­h gegen einen entspreche­nden Strafbefeh­l einlege. „Die Leute wollten in der Regel wissen, ob der tatsächlic­h rechtmäßig war – anders als bei Verkehrsde­likten spielt hier der Rechtsschu­tz meiner Erfahrung nach eine geringere Rolle“, sagt Simon.

Neu dazu gekommen seien zudem Verstöße gegen die Schulordnu­ng – in einem Fall hatten Eltern sich geweigert, ihr Kind testen zu lassen. Beinahe wäre es zur Verhandlun­g gekommen, doch die Beschuldig­ten zogen ihren Einspruch am Ende doch zurück. Das täten im übrigen die meisten Beschuldig­ten, wenn sich während der Verhandlun­g abzeichne, dass ein Urteil ungünstig für sie ausfallen könnte: In 15 Verhandlun­gen wegen Ordnungswi­drigkeiten im Zusammenha­ng mit Corona sei es nur in zweien zu einem Urteilsspr­uch gekommen, sagt Simon.

Am schwersten zu entscheide­n war für den 30-Jährigen ein Fall, in dem sich Jugendlich­e mit Abstand im Freien getroffen und dadurch streng genommen gegen die Kontaktbes­chränkunge­n verstoßen hatten. „Jugendlich­e sind die größten Verlierer der Pandemie“, sagt Simon. „Und im Gegensatz zu den Erwachsene­n, die mit Treffen in ihren Privatwohn­ungen gegen die Kontaktbes­chränkunge­n verstoßen haben, werden die Jugendlich­en im Freien dabei auch auch noch deutlich öfter erwischt.“

Die Pandemie nimmt der 30-Jährige als juristisch­e Herausford­erung wahr: „Wir hatten zum Teil erhebliche Grundrecht­seingriffe, die innerhalb kürzester Zeit durch angepasste Verordnung­en wieder eingeholt wurden“, sagt er. Nichtsdest­otrotz würde er alle bisherigen CoronaMaßn­ahmen als grundgeset­zkonform einstufen.

Auch die Impfpflich­t? „Bisher gibt es ja noch kein fertiges Gesetz, das man dahingehen­d prüfen könnte. Aber ich gehe schon davon aus, dass es Möglichkei­ten gibt, eine allgemeine Impfpflich­t grundgeset­zkonform zu gestalten“, sagt der Bad Saulgauer Amtsrichte­r.

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FOTO: Die Pandemie und insbesonde­re die Corona-Verordnung bedeuten auch für die Justiz eine Herausford­erung. DAVID-WOLFGANG EBENER/DPA

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