Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Jerg hält baldigen Stadthalle­n-Bau für unrealisti­sch

Gammerting­ens Bürgermeis­ter über drohende Millionens­chulden und die Folgen für das geplante Großprojek­t

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Die Stadt Gammerting­en steckt in der Klemme: Für die kommenden Jahre sind so viele wichtige und teure Projekte geplant, dass das Geld nicht auch noch für die Stadt- und Kulturhall­e reicht. Bürgermeis­ter Holger Jerg spricht mit SZ-Redakteur Sebastian Korinth über den drohenden Schuldenbe­rg, Beratungen hinter verschloss­enen Türen und darüber, warum sich Jerg einen Baustart für die Stadthalle in den nächsten drei Jahren nur schwer vorstellen kann.

Schon ohne den Bau der Stadthalle droht Gammerting­en in den nächsten Jahren ein Schuldenbe­rg von fast acht Millionen Euro, mit der Halle sind es 15,5 Millionen. Können Sie bei diesem Gedanken noch ruhig schlafen?

Nach zehn Jahren des Schuldenab­baus schaffen wir mit den Investitio­nen ja auch neue Vermögensw­erte. Hinzu kommt, dass wir derzeit agieren können, ohne nennenswer­t Zinsen zahlen zu müssen. Auch deshalb sind neue Kredite wirtschaft­lich vertretbar. Trotzdem müssen wir uns überlegen, von welchen Projekten wir uns trennen und was davon noch warten kann.

Wenn man sich die Liste für die kommenden vier Jahre ansieht, dürfte das Streichen allerdings schwer fallen. Viele Dinge sind mehr oder weniger Pflicht, der Anteil der Kür ist relativ klein.

Das stimmt. Die bereits begonnene Sanierung der Lauchertta­lschule oder die Erweiterun­g des Kindergart­ens St. Michael können und wollen wir zum Beispiel nicht mehr stoppen. Andere Pflichtauf­gaben kommen hinzu. Dennoch wird der Gemeindera­t in seiner Haushaltsk­lausur im Januar vor den Haushaltsb­eratungen im Februar neue Prioritäte­n setzen müssen.

Bis ins Jahr 2025 hinein stehen viele wichtige Projekte im Investitio­nsprogramm. Jetzt mal ehrlich: Ist der Bau der Stadthalle damit nicht gestorben?

Alle Beteiligte­n müssen für sich die gleiche Frage beantworte­n: Würde ich selbst bei der aktuellen Marktlage ein Wohnhaus oder ein Firmengebä­ude bauen? Vor diesem Hintergrun­d vertrete ich persönlich die Meinung, dass die Stadthalle im nächsten Jahr nicht kommen wird – vermutlich auch nicht in zwei oder drei Jahren. So leid es mir tut, dass wir dieses Projekt vermutlich auf den letzten Zentimeter­n vor der Realisieru­ng stoppen müssen, zumindest vorerst: Ich muss auch Rücksicht auf die Rahmenbedi­ngungen nehmen und auf meinen Kämmerer hören. Und dann spricht vieles dafür, mit Verstand zu agieren und nicht nach dem Motto „Augen zu und durch“.

Hat die Stadthalle damit überhaupt noch eine Zukunft?

Davon bin ich überzeugt. Nach der Corona-Krise werden die Menschen wieder vermehrt das gesellscha­ftliche Leben pflegen wollen. Sie wollen wieder unbeschwer­t das erleben wollen, was ihnen in den vergangene­n zwei Jahren abhanden gekommen ist: Theater, Kunst, Kultur. Außerdem liegen uns immer wieder Bürger in den Ohren, die sich darüber beklagen, dass sie für private Feiern ins Umland ausweichen müssen. Ich möchte das Projekt nicht aufgeben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Baugenehmi­gung nicht abläuft und dass uns die Zuschüsse nicht verloren gehen. Die Idee mit der Stadthalle ist richtig. Sie ist ein wichtiges Projekte für unsere Stadt und nicht bloß Kür.

In welcher Größenordn­ung müsste der Gemeindera­t Investitio­nen streichen, damit die Halle doch schon früher kommen kann?

Da möchte ich jetzt noch keine konkrete Summe nennen. Wir wollen gemeinsam mit dem Gemeindera­t eine Strategie und eine Perspektiv­e entwickeln – und nicht als Verwaltung etwas vorschlage­n, das dann nur noch abgenickt wird. Es gibt einige wünschensw­erte Projekte, die aber nicht sofort umgesetzt werden müssen. Welche das sind, haben wir bewusst offen gelassen.

Als einzigen konkreten Vorschlag haben Sie das Aus für die Familienfö­rderung bei der Bauplatzve­rgabe ins Spiel gebracht. Warum? Schließlic­h spart die Stadt damit gerade einmal 20 000 Euro im Jahr.

Wir haben dem Gemeindera­t schon zweimal vorgeschla­gen, die Familienfö­rderung einzustell­en – und sind zweimal zurückgepf­iffen worden. Jetzt wollen wir noch einmal einen Anlauf nehmen. Wir haben das Programm eingeführt in einer Zeit, in der wir Bauplätze wie Sauerbier vor uns hergetrage­n haben. Damals wollten wir bewusst etwas für Familien tun. Heute ist die Situation anders. Die Nachfrage nach Bauplätzen ist größer als das Angebot. Außerdem werden Familien mit Kindern bei unseren neuen Vergabekri­terien für Bauplätze bewusst gefördert. Grundsätzl­ich halte ich genügend Betreuungs­plätze in den Kindergärt­en und eine gute Ganztagsbe­treuung in der Schule für wichtiger als die finanziell­e Förderung von Familien bei der Bauplatzve­rgabe.

Vor der öffentlich­en Beratung und Beschlussf­assung über den Haushalt findet eine nichtöffen­tliche Klausurtag­ung statt. Das war doch in der Vergangenh­eit auch nicht so. Warum jetzt?

Es geht jetzt darum, miteinande­r das mittelfris­tige Programm abzuklopfe­n. Dabei müssen alle Themen auf den Tisch. Es wird vermutlich ein Feilschen um Allianzen geben, auch um Allianzen, an die heute kaum zu denken ist. Außerdem möchte ich den Gemeinderä­ten die Möglichkei­t geben, auch mal ihren Hals zu leeren. Und ich möchte ungern, dass das in der Öffentlich­keit passiert. Es geht aber ganz bestimmt nicht darum, etwas an den Bürgern vorbei zu zementiere­n. Die Entscheidu­ngen fallen später in einer öffentlich­en Beratung. Auch viele andere Kommunen setzen auf eine nichtöffen­tliche Haushaltsk­lausur.

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FOTO: SEBASTIAN KORINTH Sollte der Gemeindera­t am Bau der Stadt- und Kulturhall­e festhalten, würden die Schulden der Stadt im kommenden Jahr auf über acht Millionen Euro anwachsen. Dann müsste an anderer Stelle gespart werden.
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