Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ende der Illusionen
Wenn von der Münchner Sicherheitskonferenz in diesem Jahr ein Signal ausging, dann war es die Einlösung des Versprechens, das US-Präsident Joe Biden vor einem Jahr an gleicher Stelle abgegeben hatte: Amerika ist zurück. Das transatlantische Verhältnis ist nach den schweren TrumpJahren angesichts der militärischen Rüpeleien des Kremls gegenüber der Ukraine wieder gestärkt. Washington engagiert sich für Europa, so wie es das nach dem Zweiten Weltkrieg viele Jahrzehnte lang getan hatte.
Das Problem dabei ist nur: Es wird voraussichtlich das letzte Mal sein, dass die USA sich derart für Europas Sicherheit ins Zeug legen. Längst rangiert die Rivalität mit China als viel wichtigere Zukunftsfrage weiter oben. Um ein paar schmerzhafte Wahrheiten kommen Europa und auch die Ampel-Regierung deshalb nicht herum.
Erstens: Es mag unbequem, teuer und hart sein. Aber Kanzler Olaf Scholz muss seine führende Rolle in Europa zügig annehmen und mit Leben füllen. Und zwar nicht, weil die Amerikaner darauf warten. Sondern weil Europa nicht mehr viel Zeit hat, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Die unverhohlene Erpressung durch die Atommacht Russland zeigt, wie zerbrechlich die Sicherheit auf dem Kontinent ist.
Zweitens: Mögliche Illusionen über Russland müssen mit dessen unverhohlenen Kriegsdrohungen – und spätestens bei einem möglichen Einmarsch Russlands in die Ukraine – ein Ende finden. Nichts rechtfertigt, dass Russlands Präsident Putin ein unschuldiges Land angreift.
Drittens: Das Grauen des Zweiten Weltkriegs darf niemals vergessen werden und auch nicht das unendliche Leid, das Deutschland über die Sowjetunion gebracht hat. Gerade aus Respekt vor der Geschichte sollte Deutschland daher seine Rolle als diplomatisches, aber auch militärisches Rückgrat Europas annehmen. Um den Frieden verteidigen zu können.
So traurig es ist: Die Zeit des deutschen Pazifismus wird enden müssen. Sonst teilen die Rüpel dieser Erde die Welt unter sich auf. Und Europa wird zu ihrem Spielfeld.