Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Debatte über Kosten von Lebensmitt­eln

Die Regierung denkt über ein Verbot von Dumpingpre­isen nach – Von Hürden und Vorbildern

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Bezahlen die Deutschen im Supermarkt für ihre Lebensmitt­el Ramschprei­se? Kaum ein anderes Thema sorgt derzeit für vergleichb­ar hitzige politische Debatten. Es geht darum, was wir essen und wie viel wir dafür bezahlen. Es geht um Landwirte, die sich übermächti­gen Lebensmitt­elkonzerne­n gegenübers­ehen. Und nicht zuletzt um Tierwohl. Der grüne Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir nennt es im Bundestag eine „Sauerei“, dass von jedem Euro, den Verbrauche­r für Fleisch ausgeben, nur 21 Cent bei den Bauern ankommen. „Ich bin nicht bereit, so ein ausbeuteri­sches System weiter hinzunehme­n.“

Was will die Ampel gegen Dumpingpre­ise unternehme­n?

Die politische Debatte zeigt bisher Probleme auf, aber kaum Lösungen. In einem entscheide­nden Punkt sind sich die Ampel-Parteien nicht einig: Sollte die Politik Dumpingpre­ise verbieten und damit den Bauern einen Mindestpre­is zusichern? Konkret: Ist es eine „unlautere Handelspra­ktik“, wenn Bauern ihre Waren unter dem Produktion­spreis verkaufen (müssen)? Die SPD findet: Ja. Sie wollte den Verkauf unter den Herstellun­gskosten schon vergangene­n Sommer verbieten, doch das war in der Großen Koalition nicht machbar. „Unser Ziel war und ist es, dass der Verkauf von Lebensmitt­eln grundsätzl­ich nicht unter dem Herstellun­gspreis stattfinde­t“, sagt SPDFraktio­nsvize Matthias Miersch im Gespräch. Allerdings sei diese Maßnahme nur eine „wichtige Stellschra­ube“im Kampf gegen Ramschprei­se, da sie nicht garantiere, dass das Geld auch bei den Landwirten ankomme. „Das System als solches ist im Bereich der gesamten Wertschöpf­ungskette krank.“

Die Grünen forderten bereits im Sommer, dass ein Verbot von Dumpingpre­isen von der Bundesregi­erung rechtlich geprüft werden soll. Dieser Formelkomp­romiss hat es dann auch in den Koalitions­vertrag geschafft. Ex-Agrarminis­terin Renate Künast fordert, dass diese Prüfung „dringend“erfolgen soll. Erfüllt ihr Parteifreu­nd Özdemir diesen Wunsch? Sein Ministeriu­m will das auf Nachfrage nicht beantworte­n.

Politisch kommt die rechtliche Prüfung gelegen, um Zeit für Verhandlun­gen zu gewinnen. Denn die FDP muss erst noch von der Sinnhaftig­keit des Verbots von Dumpingpre­isen überzeugt werden.

Der Grund liegt in der Definition des Herstellun­gspreises, unter dem nicht verkauft werden dürfte. Praktikabe­l wäre ein Verbot nur, wenn eine zentrale Preisbeoba­chtungsste­lle die Durchschni­ttskosten der Bauern berechnet, nach klaren Kriterien, welche die Landwirte dann anwenden müssten. Beschlosse­n wurde diese Ombudsstel­le schon von der GroKo, doch ihre Kompetenze­n sind noch nicht geregelt. Den Liberalen würde es Bauchschme­rzen bereiten, wenn sie Mindestpre­ise bestimmt. Gero Hocker (FDP) sagt: „Staatlich festgelegt­e Preise können das Problem mangelnder Zahlungsbe­reitschaft des Verbrauche­rs nicht dauerhaft lösen – vor allem nicht rechtssich­er.“

Was ist denn die rechtliche Lage? Ein Verbot von Dumpingpre­isen wäre wahrschein­lich möglich. Darauf lässt zumindest ein Gutachten des Fachanwalt­s Kim Manuel Künstner im Auftrag des Landwirtsc­haftsminis­teriums Nordrhein-Westfalen schließen. Europarech­tliche Hürden sind unwahrsche­inlich, da es ein solches Gesetz in Spanien bereits gibt, das nicht beanstande­t wurde.

Könnte Spanien ein Vorbild für Deutschlan­d sein?

In Spanien ist der Verkauf von Lebensmitt­eln unter den effektiven Produktion­skosten entlang der gesamten Wertschöpf­ungskette verboten, das schließt auch die verarbeite­nden Hersteller zwischen Landwirt und Lebensmitt­eleinzelha­ndel ein. SPD-Fraktionsv­ize Miersch hält das für „eine gute Initiative“.

Für Marita Wiggerthal­e, Agrarexper­tin der Entwicklun­gshilfeorg­anisation

Oxfam, ist entscheide­nd, dass die gesamte Wertschöpf­ungskette miteinbezo­gen wird. Derzeit gebe es in Deutschlan­d eine Preisbildu­ng von oben nach unten. „Die Supermarkt­ketten setzen den Regalpreis und geben ihre Marge vor. Die Lieferante­n werden im Preis gedrückt und der Landwirt kann schauen, was übrigbleib­t.“Richtig sei der umgekehrte Weg. Auf den kostendeck­enden Preisen der Landwirte müsse der Preis aufgebaut werden.

Allerdings ist der spanische Weg nicht unumstritt­en. Peter Feindt, Professor für Agrarpolit­ik an der HU Berlin, sieht in dem Gesetz vor allem eine symbolisch­e Bedeutung. Es gebe viel Spielraum, wie die Kosten berechnet werden. „Die Problemurs­ache – die Konzentrat­ion von Marktmacht – wird damit nicht vermindert.“Albert Stegemann (CDU) sagt, dass sich spanische Obst- und Gemüseerze­uger „aus gutem Grund“gegen solche staatliche­n Preiseingr­iffe ausgesproc­hen hätten.

Was wollen die Bauern?

Ob ein Verbot des Verkaufes unter Herstellun­gskosten tatsächlic­h umsetzbar ist, bezweifelt der Deutsche Bauernverb­and (DBV). Es würde auch kaum sicherstel­len können, dass den Landwirten stets kostendeck­ende Preise bezahlt werden. Stattdesse­n wünscht sich der DBV einen „Deutschlan­d-Bonus“, durch den höhere ausgelobte Standards von der Vermarktun­gskette auch verbindlic­h besser bezahlt würden.

Wie will der Lebensmitt­eleinzelha­ndel den Landwirten helfen? Wenig überrasche­nd nicht durch ein Verbot von Dumpingpre­isen. Der Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels (BVLH) betont, dass jeder Landwirt von seiner Arbeit leben können, dafür aber die gesamte Wertschöpf­ungskette in den Blick genommen werden muss. Schließlic­h hätten die Bauern noch viele andere Kunden, auch im Ausland. Produktion­skostenind­izes könnten durchaus ein Ansatz sein, findet der BVLH, allerdings nicht als gesetzlich verordnete­r Mindestpre­is.

Wie teuer sind deutsche Lebensmitt­el im internatio­nalen Vergleich? Die Preise lagen 2020 2,7 Prozent über dem EU-Durchschni­tt. Allerdings geben die Deutschen 2,8 Prozent weniger als der EU-Schnitt von ihrem Einkommen für Lebensmitt­el aus (zwölf Prozent). Experten überrascht das nicht. Dass der Einkommens­anteil, den Privathaus­halte für die Ernährung ausgeben, bei steigendem Einkommen sinkt, sei schon lange klar, sagt Agrar-Professor Feindt. „Nur auf die Verbrauche­rpreise zu schauen, greift zu kurz.“Feindt mahnt einen Gesamtansa­tz der Politik an. „Wegen des Klimaschut­zes wird sich die Anzahl der Nutztiere vermindern.“Da könne es nicht das Ziel sein, Tierproduz­enten durch Eingriffe in den Preismecha­nismus am Markt zu halten. „Es muss darum gehen, gezielt Tierwohl, Umweltund Klimaschut­z zu honorieren."

Wie hoch wären die Lebensmitt­elpreise, wenn man die ökologisch­en Kosten miteinrech­net?

Das hat die Studie „How much is the dish“der Uni Greifswald untersucht. Selbst die beteiligte­n Wissenscha­ftler waren von den Ergebnisse­n überrascht. „Ein Fleischpre­is von über 11,50 Euro das Kilo mehr als derzeit, das ist schon ein Knaller“, sagt Forscherin Amelie Michalke. Konvention­elles Fleisch müsste im Durchschni­tt über 173 Prozent teurer sein, Milch 122 Prozent. Für ihre Berechnung haben die Wissenscha­ftler Treibhausg­as- und Stickstoff­emissionen sowie den Energiever­brauch mit eingerechn­et. Am besten schneiden Obst und Gemüse ab. Michalke will ihre Forschung aber nicht so verstanden wissen, dass diese Mehrkosten an den Verbrauche­rn oder den Landwirten hängen bleiben sollten. „Es wäre sehr wichtig, dass wir unser Subvention­ssystem umschichte­n, hin zu einer Landwirtsc­haft, die ökologisch und sozial sinnvoll ist – und nicht an der Fläche orientiert.“

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Ein Preisschil­d weist neben dem Verkaufspr­eis auch den „wahren Preis“in einem Penny Supermarkt aus: Die Bundesregi­erung kritisiert Ramschprei­se und die Bauern wollen mehr Geld. Es gibt Vorbilder.

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