Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Debatte über Kosten von Lebensmitteln
Die Regierung denkt über ein Verbot von Dumpingpreisen nach – Von Hürden und Vorbildern
BERLIN - Bezahlen die Deutschen im Supermarkt für ihre Lebensmittel Ramschpreise? Kaum ein anderes Thema sorgt derzeit für vergleichbar hitzige politische Debatten. Es geht darum, was wir essen und wie viel wir dafür bezahlen. Es geht um Landwirte, die sich übermächtigen Lebensmittelkonzernen gegenübersehen. Und nicht zuletzt um Tierwohl. Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nennt es im Bundestag eine „Sauerei“, dass von jedem Euro, den Verbraucher für Fleisch ausgeben, nur 21 Cent bei den Bauern ankommen. „Ich bin nicht bereit, so ein ausbeuterisches System weiter hinzunehmen.“
Was will die Ampel gegen Dumpingpreise unternehmen?
Die politische Debatte zeigt bisher Probleme auf, aber kaum Lösungen. In einem entscheidenden Punkt sind sich die Ampel-Parteien nicht einig: Sollte die Politik Dumpingpreise verbieten und damit den Bauern einen Mindestpreis zusichern? Konkret: Ist es eine „unlautere Handelspraktik“, wenn Bauern ihre Waren unter dem Produktionspreis verkaufen (müssen)? Die SPD findet: Ja. Sie wollte den Verkauf unter den Herstellungskosten schon vergangenen Sommer verbieten, doch das war in der Großen Koalition nicht machbar. „Unser Ziel war und ist es, dass der Verkauf von Lebensmitteln grundsätzlich nicht unter dem Herstellungspreis stattfindet“, sagt SPDFraktionsvize Matthias Miersch im Gespräch. Allerdings sei diese Maßnahme nur eine „wichtige Stellschraube“im Kampf gegen Ramschpreise, da sie nicht garantiere, dass das Geld auch bei den Landwirten ankomme. „Das System als solches ist im Bereich der gesamten Wertschöpfungskette krank.“
Die Grünen forderten bereits im Sommer, dass ein Verbot von Dumpingpreisen von der Bundesregierung rechtlich geprüft werden soll. Dieser Formelkompromiss hat es dann auch in den Koalitionsvertrag geschafft. Ex-Agrarministerin Renate Künast fordert, dass diese Prüfung „dringend“erfolgen soll. Erfüllt ihr Parteifreund Özdemir diesen Wunsch? Sein Ministerium will das auf Nachfrage nicht beantworten.
Politisch kommt die rechtliche Prüfung gelegen, um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Denn die FDP muss erst noch von der Sinnhaftigkeit des Verbots von Dumpingpreisen überzeugt werden.
Der Grund liegt in der Definition des Herstellungspreises, unter dem nicht verkauft werden dürfte. Praktikabel wäre ein Verbot nur, wenn eine zentrale Preisbeobachtungsstelle die Durchschnittskosten der Bauern berechnet, nach klaren Kriterien, welche die Landwirte dann anwenden müssten. Beschlossen wurde diese Ombudsstelle schon von der GroKo, doch ihre Kompetenzen sind noch nicht geregelt. Den Liberalen würde es Bauchschmerzen bereiten, wenn sie Mindestpreise bestimmt. Gero Hocker (FDP) sagt: „Staatlich festgelegte Preise können das Problem mangelnder Zahlungsbereitschaft des Verbrauchers nicht dauerhaft lösen – vor allem nicht rechtssicher.“
Was ist denn die rechtliche Lage? Ein Verbot von Dumpingpreisen wäre wahrscheinlich möglich. Darauf lässt zumindest ein Gutachten des Fachanwalts Kim Manuel Künstner im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums Nordrhein-Westfalen schließen. Europarechtliche Hürden sind unwahrscheinlich, da es ein solches Gesetz in Spanien bereits gibt, das nicht beanstandet wurde.
Könnte Spanien ein Vorbild für Deutschland sein?
In Spanien ist der Verkauf von Lebensmitteln unter den effektiven Produktionskosten entlang der gesamten Wertschöpfungskette verboten, das schließt auch die verarbeitenden Hersteller zwischen Landwirt und Lebensmitteleinzelhandel ein. SPD-Fraktionsvize Miersch hält das für „eine gute Initiative“.
Für Marita Wiggerthale, Agrarexpertin der Entwicklungshilfeorganisation
Oxfam, ist entscheidend, dass die gesamte Wertschöpfungskette miteinbezogen wird. Derzeit gebe es in Deutschland eine Preisbildung von oben nach unten. „Die Supermarktketten setzen den Regalpreis und geben ihre Marge vor. Die Lieferanten werden im Preis gedrückt und der Landwirt kann schauen, was übrigbleibt.“Richtig sei der umgekehrte Weg. Auf den kostendeckenden Preisen der Landwirte müsse der Preis aufgebaut werden.
Allerdings ist der spanische Weg nicht unumstritten. Peter Feindt, Professor für Agrarpolitik an der HU Berlin, sieht in dem Gesetz vor allem eine symbolische Bedeutung. Es gebe viel Spielraum, wie die Kosten berechnet werden. „Die Problemursache – die Konzentration von Marktmacht – wird damit nicht vermindert.“Albert Stegemann (CDU) sagt, dass sich spanische Obst- und Gemüseerzeuger „aus gutem Grund“gegen solche staatlichen Preiseingriffe ausgesprochen hätten.
Was wollen die Bauern?
Ob ein Verbot des Verkaufes unter Herstellungskosten tatsächlich umsetzbar ist, bezweifelt der Deutsche Bauernverband (DBV). Es würde auch kaum sicherstellen können, dass den Landwirten stets kostendeckende Preise bezahlt werden. Stattdessen wünscht sich der DBV einen „Deutschland-Bonus“, durch den höhere ausgelobte Standards von der Vermarktungskette auch verbindlich besser bezahlt würden.
Wie will der Lebensmitteleinzelhandel den Landwirten helfen? Wenig überraschend nicht durch ein Verbot von Dumpingpreisen. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) betont, dass jeder Landwirt von seiner Arbeit leben können, dafür aber die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick genommen werden muss. Schließlich hätten die Bauern noch viele andere Kunden, auch im Ausland. Produktionskostenindizes könnten durchaus ein Ansatz sein, findet der BVLH, allerdings nicht als gesetzlich verordneter Mindestpreis.
Wie teuer sind deutsche Lebensmittel im internationalen Vergleich? Die Preise lagen 2020 2,7 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Allerdings geben die Deutschen 2,8 Prozent weniger als der EU-Schnitt von ihrem Einkommen für Lebensmittel aus (zwölf Prozent). Experten überrascht das nicht. Dass der Einkommensanteil, den Privathaushalte für die Ernährung ausgeben, bei steigendem Einkommen sinkt, sei schon lange klar, sagt Agrar-Professor Feindt. „Nur auf die Verbraucherpreise zu schauen, greift zu kurz.“Feindt mahnt einen Gesamtansatz der Politik an. „Wegen des Klimaschutzes wird sich die Anzahl der Nutztiere vermindern.“Da könne es nicht das Ziel sein, Tierproduzenten durch Eingriffe in den Preismechanismus am Markt zu halten. „Es muss darum gehen, gezielt Tierwohl, Umweltund Klimaschutz zu honorieren."
Wie hoch wären die Lebensmittelpreise, wenn man die ökologischen Kosten miteinrechnet?
Das hat die Studie „How much is the dish“der Uni Greifswald untersucht. Selbst die beteiligten Wissenschaftler waren von den Ergebnissen überrascht. „Ein Fleischpreis von über 11,50 Euro das Kilo mehr als derzeit, das ist schon ein Knaller“, sagt Forscherin Amelie Michalke. Konventionelles Fleisch müsste im Durchschnitt über 173 Prozent teurer sein, Milch 122 Prozent. Für ihre Berechnung haben die Wissenschaftler Treibhausgas- und Stickstoffemissionen sowie den Energieverbrauch mit eingerechnet. Am besten schneiden Obst und Gemüse ab. Michalke will ihre Forschung aber nicht so verstanden wissen, dass diese Mehrkosten an den Verbrauchern oder den Landwirten hängen bleiben sollten. „Es wäre sehr wichtig, dass wir unser Subventionssystem umschichten, hin zu einer Landwirtschaft, die ökologisch und sozial sinnvoll ist – und nicht an der Fläche orientiert.“