Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Viel Arbeit für einen guten Nahverkehr

In dieser Woche sprechen Länder und Bund über mehr Geld für den ÖPNV – Was getan werden muss, damit die Verkehrswe­nde gelingt

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Die Menschen sollen für den Klimaschut­z häufiger öffentlich­e Verkehrsmi­ttel nutzen. Doch dafür muss ein gutes Angebot her. Davon ist vielerorts noch nichts zu spüren. Das sind die wichtigste­n Baustellen.

Zuschussge­schäft

Busse und Bahnen sind im öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) kein gutes Geschäft für die Länder. Das gilt nicht nur in Pandemieze­iten, in denen zeitweilig kaum Fahrgäste unterwegs waren. Im Jahr 2017 lag der Kostendeck­ungsgrad gerade einmal bei 75,6 Prozent. Auf vier Euro an Kosten kamen also nur drei Euro an Einnahmen durch den Ticketverk­auf herein. Kein Unternehme­n würde hier angesichts dieser Verluste auf eigenes Risiko einsteigen. Also bestellen die Länder, Kreise oder Kommunen bei ihnen eine genau definierte Verkehrsle­istung. Was, wann, wie oft oder wohin fährt, bestimmen daher nicht die Bus und Bahnuntern­ehmen, sondern deren Aufgabentr­äger.

Milliarden fehlen

Für den ÖPNV erhalten die Länder Geld vom Bund. 11,9 Milliarden Euro sind es in diesem Jahr. Bis 2031 steigt der Zuschuss alljährlic­h um 1,8 Prozent. Denn der Nahverkehr soll eine tragende Rolle in der Verkehrswe­nde

zugunsten des Klimaschut­zes spielen. Dafür muss er besser werden. Das Geld reicht nach Berechnung­en der Länder bei Weitem nicht aus. Sie fordern noch einmal 1,5 Milliarden Euro pro Jahr obendrauf. Darüber sprechen ihre Verkehrsmi­nister in dieser Woche mit Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing. Die Ampel hat im Koalitions­vertrag mehr Geld für den Nahverkehr vereinbart, ohne eine Summe zu nennen.

Engpass Schiene

Das Schienenne­tz ist zwar mit 38 000 Kilometern enorm dicht. Und doch gibt es zahlreiche Engpässe, insbesonde­re rund um die Knotenbahn­höfe. Dazu zählen etwa Hamburg und Frankfurt. Nah- und Fernverkeh­r müssen sich vielfach Gleise teilen. Wenn dann noch Güterverke­hr unterwegs ist, wird es schnell eng. An die gewünschte Ausweitung des Angebots ist da oft nicht zu denken. Also müssen die Schienenwe­ge weiter ertüchtigt werden. Das kostet weitere Milliarden. Auch hier ist der Bund gefragt, der für die Infrastruk­tur verantwort­lich ist. Ein Schritt in diese Richtung könnte ein Bundesmobi­litätsgese­tz sein, das der Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD) vorschlägt. „Grundlage für Investitio­nen sollen der Klimaschut­z und die Sicherung der Mobilitäts­bedürfniss­e der Bevölkerun­g sein“, fordert VCDSpreche­r Bastian Kettner.

Sauberer Verkehr

Es sollen nicht nur mehr Fahrgäste in den Nahverkehr gelockt werden. Das Ziel liegt bei einer Milliarde zusätzlich­er Fahrten bis 2030. Sie sollen auch mit sauberen Fahrzeugen transporti­ert werden. Auch die Umstellung von Bussen und Bahnen auf CO2-freie Antriebe erfordert gewaltige Investitio­nen. Ein Beispiel sind die Busflotten. Ein E-Bus kostet nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV) in der Anschaffun­g zwischen 500 000 und 600 000 Euro. Ein herkömmlic­hes Dieselfahr­zeug gibt es schon für weniger als 350 000 Euro. Ohne eine Förderung sieht der VDV die Branche nicht in der Lage, die Umstellung aus eigener Kraft zu meistern.

Erst vergessen, nun entdeckt

In ländlichen Gebieten sind gute Nahverkehr­sangebote Mangelware. In der Folge pendeln die Bewohner daher mit dem eigenen Auto zu ihren Arbeitsplä­tzen in der Stadt. Ein gutes ÖPNV-Angebot auf dem Land gilt daher als ein Schlüssel für die Verkehrswe­nde. So tüfteln die Verkehrsun­ternehmen an Möglichkei­ten, die eine Konkurrenz zum Auto werden können. Dazu gehören zum Beispiel sogenannte Rufbusse, die von jedermann bestellt werden können. Unwirtscha­ftlich ist der Linienbetr­ieb mit wenigen Fahrgästen vor allem durch hohe Fixkosten für das fahrende Personal. Die Lösung könnte hier in autonom fahrenden Bussen liegen. Eine andere Lösung ist das sogenannte Pooling. Dahinter verbergen sich Sammeltaxi­s, die auf Bestellung mehrere Passagiere einsammeln und an ihr Ziel bringen. Denkbar wäre etwa, dass mehrere Busse von einer Zentrale aus per Video überwacht werden. Es gibt bundesweit viele Modellvers­uche. Doch die Realität sieht vielerorts noch immer trist aus.

Netz neben Netz

Eine App für alle Mobilitäts­angebote. Das würde viele Kunden des ÖPNV freuen. So könnten beispielsw­eise über die Grenzen einzelner Verkehrsve­rbände hinaus Tickets gebucht werden. Auch ließen sich zum Beispiel das Leihfahrra­d oder der Mietwagen am Zielort gleich mitbestell­en. Sie soll kommen, eventuell als Weiterentw­icklung der Bahn-App. Darüber hinaus ließen sich mit der App Verkehrsin­formatione­n übermittel­n, etwa zu Verspätung­en oder Zugausfäll­en. Denn mangelnde Informatio­nen über den aktuellen Verkehr gehören noch immer zu den häufigsten Kritikpunk­ten der Kunden.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Group Rapid Transport 3: So stellt sich der Automobilz­ulieferer ZF den Nahverkehr im ländlichen Raum vor – autonom fahrende Minibusse auf festgelegt­en Routen.

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