Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Am stärksten wirkt die Drohung
Ob und welche Sanktionen gegen Russland erhoben werden, ist offen – Im Ernstfall gibt es auf beiden Seiten Verlierer
BERLIN - Sanktionen gehören zum fast alltäglichen Instrument in internationalen Konflikten. So sollte Iran von seinem Atomprogramm abgebracht, der Irak unter Saddam Hussein destabilisiert werden. Nordkorea unterliegt dem Bann der Weltgemeinschaft und ist zumindest theoretisch vom Handel mit anderen Ländern ausgeschlossen. Auch Russland kennt sich schön länger mit derlei Strafen aus. Sie wurden nach der Annexion der Krim in der Ukraine 2014 verhängt und haben zum Beispiel Lebensmittelimporte in Putins Reich unterbunden.
Der Erfolg lässt sich kaum direkt messen. Kein Machthaber wird zugeben, dass er deshalb in einem Konflikt einlenkt. „Studien zeigen, dass ein Drittel der Sanktionen erfolgreich ist“, sagt Christian von Soest, Forscher am Leibniz-Institut für globale und regionale Studien in Hamburg. Am besten wirken aber gar nicht Mittel wie ein Handelsboykott oder die Sperrung von Bankkonten. „Die Drohung
mit Sanktionen ist das Effektivste“, erläutert Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik, „weil es nichts kostet.“Das gilt aber nur, wenn die Kontrahenten glaubwürdige Drohungen aussprechen.
An diesem Punkt sind die Staaten, die hinter der Ukraine stehen, derzeit. Zwar haben sie sich offenkundig inzwischen über eine Abfolge von Sanktionen verständigt. Doch rücken sie mit konkreten Angaben darüber nicht heraus. Das ist eine der beiden üblichen Strategien in solchen Fällen. Die andere besteht in einer exakten Beschreibung der Härten, die dem Gegner bei einer Eskalation des Konfliktes drohen.
Absehbar ist trotz der wenigen konkreten Angaben, dass der Westen einem seit Längerem anhaltenden Trend folgt. Sanktionen würden in ihrer Breitenwirkung eingeschränkt und auf Entscheidungsträger oder einzelne Wirtschaftsbereiche fokussiert. „Die Maßnahmen sollen möglichst nicht die Bevölkerung treffen“, erläutert von Soest. Das ist ein Lerneffekt aus dem umfangreichen Embargo der USA gegen den Irak 1991. Damals traf der Boykott die Bevölkerung extrem hart, das Regime des Diktators Saddam Hussein kaum.
Kluge teilt diese Beobachtung. Statt eine ganze Volkswirtschaft zu treffen, nähmen die Regierungen einzelne Verantwortliche oder einzelne Unternehmen ins Visier. Im Falle Russlands sehen die Experten die Schwachstellen in Unternehmen, die Hightech aus dem Ausland benötigen. Das Land ist abhängig von Mikrochipoder Softwareimporten. Auch der Finanzsektor ist international stark verflochten. Darüber hinaus werden Sanktionen gegen einzelne, Putin nahestehende Oligarchen vorgeschlagen, bis hin zur Beschlagnahme von russischem Immobilienbesitz in Städten wie London, Paris oder Berlin. Ganz am Ende der Sanktionskette könnte ein Boykott russischer Rohstofflieferungen und ein Ausschluss aus dem internationalen Zahlungsverkehr über das Swift-System stehen.
Mit Sanktionen hat die russische Bevölkerung schon leidvolle Erfahrungen. Der Exportstopp bei Lebensmitteln und Maßnahmen gegen russische Banken ab 2014 haben zunächst für einen deutlichen Preisschub bei Lebensmitteln gesorgt und das Angebot verknappt. Doch haben die Sanktionen auch eine Gegenreaktion hervorgerufen. Die inländische
Nahrungsmittelproduktion wurde zum Beispiel ausgeweitet. Russland ist heute der weltgrößte Exporteur von Weizen. Die Regierung hat auch ein eigenes, inländisches Zahlungssystem aufgebaut und die Geldkarte „Mir“, die zuvor gebräuchliche internationale Zahlkarten ersetzt. Doch völlig autark ist das Land nicht. Und die Bevölkerung muss sich im Zuge der aktuelle Krise womöglich auf neue Härten einstellen. Dafür könnte zum Beispiel eine Abwertung des Rubels sorgen, der Importprodukte verteuert.
Doch gibt es auf beiden Seiten Verlierer. „Nicht nur mit Erdgas, sondern auch mit Öl, Getreide, Düngemitteln oder seltenen Metallen verdient das Land viel Geld und hat systemrelevante Bedeutung“, warnt der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Es gebe gegenseitige Abhängigkeiten. Sanktionen würden daher auch Risiken für die europäische Wirtschaft bergen. „Es gibt keine Alternative zu einer Deeskalation des Konflikts“, glaubt der Ost-Ausschuss.