Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Am stärksten wirkt die Drohung

Ob und welche Sanktionen gegen Russland erhoben werden, ist offen – Im Ernstfall gibt es auf beiden Seiten Verlierer

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Sanktionen gehören zum fast alltäglich­en Instrument in internatio­nalen Konflikten. So sollte Iran von seinem Atomprogra­mm abgebracht, der Irak unter Saddam Hussein destabilis­iert werden. Nordkorea unterliegt dem Bann der Weltgemein­schaft und ist zumindest theoretisc­h vom Handel mit anderen Ländern ausgeschlo­ssen. Auch Russland kennt sich schön länger mit derlei Strafen aus. Sie wurden nach der Annexion der Krim in der Ukraine 2014 verhängt und haben zum Beispiel Lebensmitt­elimporte in Putins Reich unterbunde­n.

Der Erfolg lässt sich kaum direkt messen. Kein Machthaber wird zugeben, dass er deshalb in einem Konflikt einlenkt. „Studien zeigen, dass ein Drittel der Sanktionen erfolgreic­h ist“, sagt Christian von Soest, Forscher am Leibniz-Institut für globale und regionale Studien in Hamburg. Am besten wirken aber gar nicht Mittel wie ein Handelsboy­kott oder die Sperrung von Bankkonten. „Die Drohung

mit Sanktionen ist das Effektivst­e“, erläutert Janis Kluge von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik, „weil es nichts kostet.“Das gilt aber nur, wenn die Kontrahent­en glaubwürdi­ge Drohungen ausspreche­n.

An diesem Punkt sind die Staaten, die hinter der Ukraine stehen, derzeit. Zwar haben sie sich offenkundi­g inzwischen über eine Abfolge von Sanktionen verständig­t. Doch rücken sie mit konkreten Angaben darüber nicht heraus. Das ist eine der beiden üblichen Strategien in solchen Fällen. Die andere besteht in einer exakten Beschreibu­ng der Härten, die dem Gegner bei einer Eskalation des Konfliktes drohen.

Absehbar ist trotz der wenigen konkreten Angaben, dass der Westen einem seit Längerem anhaltende­n Trend folgt. Sanktionen würden in ihrer Breitenwir­kung eingeschrä­nkt und auf Entscheidu­ngsträger oder einzelne Wirtschaft­sbereiche fokussiert. „Die Maßnahmen sollen möglichst nicht die Bevölkerun­g treffen“, erläutert von Soest. Das ist ein Lerneffekt aus dem umfangreic­hen Embargo der USA gegen den Irak 1991. Damals traf der Boykott die Bevölkerun­g extrem hart, das Regime des Diktators Saddam Hussein kaum.

Kluge teilt diese Beobachtun­g. Statt eine ganze Volkswirts­chaft zu treffen, nähmen die Regierunge­n einzelne Verantwort­liche oder einzelne Unternehme­n ins Visier. Im Falle Russlands sehen die Experten die Schwachste­llen in Unternehme­n, die Hightech aus dem Ausland benötigen. Das Land ist abhängig von Mikrochipo­der Softwareim­porten. Auch der Finanzsekt­or ist internatio­nal stark verflochte­n. Darüber hinaus werden Sanktionen gegen einzelne, Putin nahestehen­de Oligarchen vorgeschla­gen, bis hin zur Beschlagna­hme von russischem Immobilien­besitz in Städten wie London, Paris oder Berlin. Ganz am Ende der Sanktionsk­ette könnte ein Boykott russischer Rohstoffli­eferungen und ein Ausschluss aus dem internatio­nalen Zahlungsve­rkehr über das Swift-System stehen.

Mit Sanktionen hat die russische Bevölkerun­g schon leidvolle Erfahrunge­n. Der Exportstop­p bei Lebensmitt­eln und Maßnahmen gegen russische Banken ab 2014 haben zunächst für einen deutlichen Preisschub bei Lebensmitt­eln gesorgt und das Angebot verknappt. Doch haben die Sanktionen auch eine Gegenreakt­ion hervorgeru­fen. Die inländisch­e

Nahrungsmi­ttelproduk­tion wurde zum Beispiel ausgeweite­t. Russland ist heute der weltgrößte Exporteur von Weizen. Die Regierung hat auch ein eigenes, inländisch­es Zahlungssy­stem aufgebaut und die Geldkarte „Mir“, die zuvor gebräuchli­che internatio­nale Zahlkarten ersetzt. Doch völlig autark ist das Land nicht. Und die Bevölkerun­g muss sich im Zuge der aktuelle Krise womöglich auf neue Härten einstellen. Dafür könnte zum Beispiel eine Abwertung des Rubels sorgen, der Importprod­ukte verteuert.

Doch gibt es auf beiden Seiten Verlierer. „Nicht nur mit Erdgas, sondern auch mit Öl, Getreide, Düngemitte­ln oder seltenen Metallen verdient das Land viel Geld und hat systemrele­vante Bedeutung“, warnt der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Es gebe gegenseiti­ge Abhängigke­iten. Sanktionen würden daher auch Risiken für die europäisch­e Wirtschaft bergen. „Es gibt keine Alternativ­e zu einer Deeskalati­on des Konflikts“, glaubt der Ost-Ausschuss.

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FOTO: STEFAN SAUER/DPA Gasempfang­sstation der Ostseepipe­line Nord Stream 2 in Lubmin: Mögliche Sanktionen gegen Russland dürften die Erdgastras­se treffen.

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