Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Fest der Fantasie

„Malerische Poesie“in der Kunsthalle Weishaupt ist eine etwas andere und sehr persönlich­e Ausstellun­g

- Von Antje Merke

ULM - Marc Chagall gehört zu den bekanntest­en Künstlern des 20. Jahrhunder­ts. Dass der allererste Kunstkauf des Sammlers Siegfried Weishaupt das Mappenwerk „Daphnis und Chloe“war, ist bislang nicht bekannt gewesen. Jetzt sind die 42 Farblithog­rafien Chagalls aus dem Jahr 1961 zusammen mit Grafiken weiterer Künstler aus seinem Pariser Umfeld erstmals in der Kunsthalle Weishaupt in Ulm zu sehen.

Siegfried Weishaupt ist entzückt: „Da geht einem doch das Herz auf wenn man diese leuchtende­n Bilder sieht.“Im Alter von 20 Jahren hatte er das berühmtest­e lithografi­sche Mappenwerk Chagalls für 20 000 Mark erstanden. Bislang wurde es noch nie öffentlich gezeigt. „Ich schaue mir die Grafiken gelegentli­ch mal daheim an und es ist kaum zu glauben, dass die Farben noch immer zu riechen sind“, sagt der bald 83-jährige Unternehme­r. Für seine Tochter und Kunsthalle­nleiterin Kathrin Weishaupt-Theopold sind es „unglaublic­h farbintens­ive und erzähleris­che Lithografi­en“, die in einem sehr aufwendige­n Prozess hergestell­t wurden. „Für jede Farbe wurde eine Steinplatt­e verwendet – manchmal sind es 25 Platten pro Druck.“

Die Illustrati­onen des antiken Romans erzählen die Geschichte zweier Findelkind­er auf der Insel Lesbos, die ihre Liebe zueinander entdecken. Man erfährt von den Zweifeln, Sehnsüchte­n und dem erfüllende­n Hirtendase­in der jungen Liebenden. Chagall (1887-1985) tut das mit seinem vertrauten Bilderkosm­os, seinen auch biblischen Symbolen, seiner malerische­n Poesie. Der Künstler war 1952, frisch verheirate­t mit Valentina Brodsky, erstmals nach Griechenla­nd gereist, um sich dort von der Landschaft, dem Licht, den Farben für diesen Bilderzykl­us inspiriere­n zu lassen. Schon vor Ort beginnt er mit ersten Skizzen für die Lithografi­en. Drei Jahre lang war Chagall mit dieser Auftragsar­beit intensiv beschäftig­t.

Unter dem Motto „Malerische Poesie – Grafiken von Chagall und Zeitgenoss­en“zeigt die Kunsthalle auch Arbeiten anderer großer Künstler wie Picasso oder Georges Braque. Die Blätter stammen aus einem zweiten, 1962 erschienen­en Mappenwerk aus dem Besitz Weishaupts: „Regards sur Paris“lautet der

Titel – Grüße, Ansichten aus Paris. Es sind 33 Lithografi­en zu zehn Texten französisc­her Schriftste­ller, Mitglieder der berühmten Académie Goncourt. Sie porträtier­en die brodelnde Kulturmetr­opole, und die Künstler schufen dazu malerische Ausschnitt­e. Auch Chagall ist mit drei Blättern vertreten.

Zu entdecken ist zum Beispiel das funkelnde Paris bei Nacht, das idyllische Ufer der Seine oder die bunte Welt der Bühne am Moulin Rouge – mal in prächtigen Farben, mal in schwarz-weiß. Die Darstellun­gen zeugen von genauer Beobachtun­gsgabe, wie eine Videoanima­tion mit Fotografie­n aus den 1960er-Jahren zeigt. Alle Werke eint zugleich ein romantisch verklärter Blick voller Nostalgie und Fantasie.

Doch wie passen diese Papierarbe­iten nun in die große Kunsthalle? Sehr gut, dank einer feinen Inszenieru­ng. Im weißen Riesenraum wären die Grafiken wohl untergegan­gen, jetzt ziehen sich Farbbänder durch die auf den ersten Stock beschränkt­e Ausstellun­g. Die Arbeiten von „Daphnis und Chloe“sind vor einem zarten Grün zu sehen, die der „Regards sur Paris“vor einem hellen Blau. Jedes Blatt ist betitelt, bei „Daphnis und Chloe“kommen bisweilen noch Zitate aus dem Originalte­xt in deutscher Übersetzun­g hinzu. Nur eine Kostprobe: „Keine Arznei gibt es gegen die Liebe, keinen Trank, keine Speise und kein Zauberlied. Nichts hilft als sich zu küssen, sich zu umarmen und nackt beieinande­rzuliegen.“Auf der dazugehöri­gen Illustrati­on ist das nackte, eng umschlunge­ne Liebespaar auf einer blauen Wiese bei Mondschein zu sehen.

Marc Chagall scheint es Weishaupt besonders angetan zu haben. Für die Ausstellun­g hat der Sammler auch einen vom Künstler gestaltete­n Paravent aus seinem Schlafzimm­er zur Verfügung gestellt: mit einem im Himmel schwebende­n Liebespaar, daneben hängt ein Foto des Künstlers mit dem Paravent im Hintergrun­d. Und gegenüber werden zwei von Chagall illustrier­te Bibeln präsentier­t.

Siegfried Weishaupt möchte künftig immer mal wieder Papierarbe­iten zeigen – von Wolfgang Laib etwa oder Martin Kippenberg­er. Wobei dann im zweiten Stock der Kunsthalle, wie auch jetzt, ein Querschnit­t der Sammlung ausgestell­t werde. Das sei ein Wunsch vieler Besucher.

Dauer: bis 9. Oktober, Öffnungsze­iten: Di.-Fr. 11-17 Uhr, Sa., So. und Fei. 11-18 Uhr. Zur Ausstellun­g erscheint Anfang März ein Magazin. Weitere Infos zu Führungen und Workshops für Kinder und Jugendlich­e: www.kunsthalle-weishaupt.de

 ?? FOTOS: VG BILD-KUNST, BONN 2022/ANTJE MERKE ?? Marc Chagall hat mit „Daphnis und Chloe“sein berühmtest­es Mappenwerk geschaffen. Links ist „Chloes Kuss“zu sehen. Eine weitere Mappe aus den 1960er-Jahren ist „Regards sur Paris“mit Ansichten der französisc­hen Hauptstadt wie etwa „La Seine“von Kees van Dongen (oben rechts). Beide Grafikzykl­en werden jetzt zur Freude von Sammler Siegfried Weishaupt und Museumslei­terin Kathrin Weishaupt-Theopold (unten rechts) erstmals in Ulm gezeigt.
FOTOS: VG BILD-KUNST, BONN 2022/ANTJE MERKE Marc Chagall hat mit „Daphnis und Chloe“sein berühmtest­es Mappenwerk geschaffen. Links ist „Chloes Kuss“zu sehen. Eine weitere Mappe aus den 1960er-Jahren ist „Regards sur Paris“mit Ansichten der französisc­hen Hauptstadt wie etwa „La Seine“von Kees van Dongen (oben rechts). Beide Grafikzykl­en werden jetzt zur Freude von Sammler Siegfried Weishaupt und Museumslei­terin Kathrin Weishaupt-Theopold (unten rechts) erstmals in Ulm gezeigt.
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