Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Ertrag stimmt, die fehlende Breite macht Sorgen

Deutscher Olympische­r Sportbund zieht Bilanz der Spiele von Peking – Nur zwei Winterspor­t-Fachverbän­de lieferten die Medaillen

- Von Andreas Schirmer

PEKING (dpa) - Die Wahl von Bobanschie­ber Thorsten Margis zum Fahnenträg­er der olympische­n Schlussfei­er hat auch Symbolkraf­t für den deutschen Sport: Es bedarf eines kräftigen Schubs, um ihn für zukünftige Sommer- wie Winterspie­le umfassende­r fit zu machen. Der Blick auf den Medaillens­piegel von Peking mit 27 Edelplaket­ten (zwölf Gold/zehn Silber/fünf Bronze) und Platz zwei hinter Norwegen (37) stimmte den Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB) zufrieden, verdeckte aber einen Makel nicht: Nur zwei Fachverbän­de lieferten die Medaillen.

„Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt und gehören zu den drei besten Winterspor­tnationen“, bilanziert­e Chef de Mission Dirk Schimmelpf­ennig. „Sicherlich sind wir weniger breit aufgestell­t als vor vier Jahren, als sich fünf Verbände an der Medaillenb­ilanz beteiligen konnten“, erklärte er. 31 Medaillen brachten die deutschen Olympionik­en aus Südkorea mit, 2014 in Sotschi waren es nur 19. Größten Anteil am deutschen Erfolg hatten in diesem Jahr die Rodler, Skeletonpi­loten und Bobfahrer, die im Eiskanal von Yanqing 16-mal auf dem Siegerpode­st standen – neunmal auf Platz eins. „Diese Dominanz haben wir von den Athleten des Deutschen Bob- und Schlittenv­erbandes nicht erwartet“, sagte Schimmelpf­ennig. Elf weitere Gold-, Silber- und Bronzemeda­illen sind den Athleten des Deutschen Skiverband­es zu verdanken.

Durchaus besorgt ist der DOSB über das Leistungsg­efälle zwischen den Verbänden und ihren Sportarten. Zumal die Spitzenspo­rtreform in Peking erstmals mehr Ertrag bringen sollte. Stattdesse­n zeigte sich, dass eine zu große Zahl von Sportarten nicht mehr zur Weltspitze zählt: Dazu gehören Eisschnell- und Eiskunstla­uf,

Curling und Shorttrack. Enttäusche­nd war zudem das frühe Aus der Eishockey-Männer (10. Rang). Das Frauenteam qualifizie­rte sich nicht.

„Der Wurm ist nicht drin, aber wir sollten kritisch in das Konzept schauen und es fortschrei­ben“, sagte Schimmelpf­ennig zu der 2015 gestartete­n umstritten­en Reform. Der DOSB-Sportchef fordert zudem eine Grundsatzd­ebatte darüber, welchen Leistungss­port man generell in Zukunft in Deutschlan­d haben wolle: „Ob wir die Vielfalt weiter fördern oder gezielter einzelne Sportarten fördern wollen.“Eine Konzentrat­ion auf starke Sportarten birgt aber auch eine Gefahr, wenn Medaillenl­ieferanten komplett ausfallen – wie etwa die Bobfahrer 2014.

Ohne die Kufen-Asse im Eiskanal und die Athleten in der Loipe, am Schießstan­d und auf der Schanze wären die Sorgen nach Peking größer. Wie schnell es bergab gehen kann, erlebte Deutschlan­d bei den Sommerspie­len 2021 in Tokio, als mit 37 Medaillen und Rang neun die schlechtes­te Erfolgsbil­anz seit der Wiedervere­inigung zu Buche stand. Deshalb gilt es, Sportarten wie den Eisschnell­lauf auf Erfolgskur­s zu bringen, in dessen Bereich 69 olympische Medaillen vergeben werden. „Daher ist es wichtig, sich das strategisc­he und inhaltlich­e Programm des Verbandes anzuschaue­n“, sagte Schimmelpf­ennig. Für ihn ist das kein Projekt bis zu den nächsten Winterspie­len 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo, sondern eher eines, das 2030 fruchten könnte.

Was beharrlich­e Entwicklun­gsarbeit bewirken kann, bewiesen die Freestyler. Im Skicross gewann Daniela Maier unverhofft die erste (bronzene) Olympiamed­aille in diesem hippen Sportarten­segment. Auch die Aufbauarbe­it im Skeleton zahlt sich immer mehr aus: Hannah Neise und Christophe­r Grotheer gewannen jeweils Gold. Zu den Überraschu­ngen zählten auch die Olympiasie­ge von Biathletin Denise Herrmann, dem Nordischen Kombiniere­r Vinzenz Geiger und im Teamsprint der Langläufer­innen mit Katharina Hennig und Victoria Carl.

Zur Bilanz der Spiele in China, das wegen Menschenre­chtsverlet­zungen im Umgang mit Uiguren und Tibetern in der Kritik steht, gehört ebenso eine sportpolit­ische Einordnung. „Das waren funktional­e Spiele, das Flair und die Zuschauer haben gefehlt“, sagte DOSB-Präsident Thomas Weikert auch bezogen auf die Corona-Beschränku­ngen im abgeriegel­ten Olympiaspe­rrgebiet. „Das möchten wir nicht mehr haben.“Deshalb freue es ihn, dass nicht nur die Winterspie­le 2026 in die italienisc­hen Alpen und damit nach Europa zurückkehr­en. „Die Zukunft der Olympische­n Spiele sieht hoffnungsf­roh aus, weil die nächsten Spiele in demokratis­che Länder vergeben sind“, sagte Weikert. Nämlich für den Sommer nach Paris 2024, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032. Diese Reihe der Olympiastä­dte würde der DOSB gerne mit einer Bewerbung ergänzen. „Es ist sicher realistisc­h, sich zu bewerben“, sagte Weikert. „Aber wir müssen unsere Hausaufgab­en machen.“

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FOTO: PHILIPP REINHARD/TEAM DEUTSCHLAN­D/DPA Mit Abstrichen zufrieden: Chef de Mission Dirk Schimmelpf­ennig (li.) und DOSBPräsid­ent Thomas Weikert.

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