Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Ertrag stimmt, die fehlende Breite macht Sorgen
Deutscher Olympischer Sportbund zieht Bilanz der Spiele von Peking – Nur zwei Wintersport-Fachverbände lieferten die Medaillen
PEKING (dpa) - Die Wahl von Bobanschieber Thorsten Margis zum Fahnenträger der olympischen Schlussfeier hat auch Symbolkraft für den deutschen Sport: Es bedarf eines kräftigen Schubs, um ihn für zukünftige Sommer- wie Winterspiele umfassender fit zu machen. Der Blick auf den Medaillenspiegel von Peking mit 27 Edelplaketten (zwölf Gold/zehn Silber/fünf Bronze) und Platz zwei hinter Norwegen (37) stimmte den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zufrieden, verdeckte aber einen Makel nicht: Nur zwei Fachverbände lieferten die Medaillen.
„Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt und gehören zu den drei besten Wintersportnationen“, bilanzierte Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig. „Sicherlich sind wir weniger breit aufgestellt als vor vier Jahren, als sich fünf Verbände an der Medaillenbilanz beteiligen konnten“, erklärte er. 31 Medaillen brachten die deutschen Olympioniken aus Südkorea mit, 2014 in Sotschi waren es nur 19. Größten Anteil am deutschen Erfolg hatten in diesem Jahr die Rodler, Skeletonpiloten und Bobfahrer, die im Eiskanal von Yanqing 16-mal auf dem Siegerpodest standen – neunmal auf Platz eins. „Diese Dominanz haben wir von den Athleten des Deutschen Bob- und Schlittenverbandes nicht erwartet“, sagte Schimmelpfennig. Elf weitere Gold-, Silber- und Bronzemedaillen sind den Athleten des Deutschen Skiverbandes zu verdanken.
Durchaus besorgt ist der DOSB über das Leistungsgefälle zwischen den Verbänden und ihren Sportarten. Zumal die Spitzensportreform in Peking erstmals mehr Ertrag bringen sollte. Stattdessen zeigte sich, dass eine zu große Zahl von Sportarten nicht mehr zur Weltspitze zählt: Dazu gehören Eisschnell- und Eiskunstlauf,
Curling und Shorttrack. Enttäuschend war zudem das frühe Aus der Eishockey-Männer (10. Rang). Das Frauenteam qualifizierte sich nicht.
„Der Wurm ist nicht drin, aber wir sollten kritisch in das Konzept schauen und es fortschreiben“, sagte Schimmelpfennig zu der 2015 gestarteten umstrittenen Reform. Der DOSB-Sportchef fordert zudem eine Grundsatzdebatte darüber, welchen Leistungssport man generell in Zukunft in Deutschland haben wolle: „Ob wir die Vielfalt weiter fördern oder gezielter einzelne Sportarten fördern wollen.“Eine Konzentration auf starke Sportarten birgt aber auch eine Gefahr, wenn Medaillenlieferanten komplett ausfallen – wie etwa die Bobfahrer 2014.
Ohne die Kufen-Asse im Eiskanal und die Athleten in der Loipe, am Schießstand und auf der Schanze wären die Sorgen nach Peking größer. Wie schnell es bergab gehen kann, erlebte Deutschland bei den Sommerspielen 2021 in Tokio, als mit 37 Medaillen und Rang neun die schlechteste Erfolgsbilanz seit der Wiedervereinigung zu Buche stand. Deshalb gilt es, Sportarten wie den Eisschnelllauf auf Erfolgskurs zu bringen, in dessen Bereich 69 olympische Medaillen vergeben werden. „Daher ist es wichtig, sich das strategische und inhaltliche Programm des Verbandes anzuschauen“, sagte Schimmelpfennig. Für ihn ist das kein Projekt bis zu den nächsten Winterspielen 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo, sondern eher eines, das 2030 fruchten könnte.
Was beharrliche Entwicklungsarbeit bewirken kann, bewiesen die Freestyler. Im Skicross gewann Daniela Maier unverhofft die erste (bronzene) Olympiamedaille in diesem hippen Sportartensegment. Auch die Aufbauarbeit im Skeleton zahlt sich immer mehr aus: Hannah Neise und Christopher Grotheer gewannen jeweils Gold. Zu den Überraschungen zählten auch die Olympiasiege von Biathletin Denise Herrmann, dem Nordischen Kombinierer Vinzenz Geiger und im Teamsprint der Langläuferinnen mit Katharina Hennig und Victoria Carl.
Zur Bilanz der Spiele in China, das wegen Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Uiguren und Tibetern in der Kritik steht, gehört ebenso eine sportpolitische Einordnung. „Das waren funktionale Spiele, das Flair und die Zuschauer haben gefehlt“, sagte DOSB-Präsident Thomas Weikert auch bezogen auf die Corona-Beschränkungen im abgeriegelten Olympiasperrgebiet. „Das möchten wir nicht mehr haben.“Deshalb freue es ihn, dass nicht nur die Winterspiele 2026 in die italienischen Alpen und damit nach Europa zurückkehren. „Die Zukunft der Olympischen Spiele sieht hoffnungsfroh aus, weil die nächsten Spiele in demokratische Länder vergeben sind“, sagte Weikert. Nämlich für den Sommer nach Paris 2024, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032. Diese Reihe der Olympiastädte würde der DOSB gerne mit einer Bewerbung ergänzen. „Es ist sicher realistisch, sich zu bewerben“, sagte Weikert. „Aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen.“