Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ingenieure des Erfolgs
Der deutsche Goldrausch im Eiskanal liegt auch am Material
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PEKING/BERLIN (SID) - Zehn Rennen, neun Siege, 16 Medaillen: Der Erfolg der deutschen Schlitten im olympischen Eiskanal ist einmalig. Das liegt auch am Material. „Es ist im Grunde ähnlich wie in der Formel 1“, sagte Bob-Ingenieur Konstantin Schulze vom Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Ob der beste Fahrer oder beste Schlitten entscheidend sei? „Die beste Kombination.“
Der Erfolg hat viele Gründe: „Wir haben derzeit drei Bahnen in Deutschland. Wir haben einen Konkurrenzkampf im Land mit vielen Teams. Da macht es einfach die Gruppendynamik, die einen nach vorne bringt. Dann die FES, das Sportsystem in Deutschland mit viel Geld im Rücken“, erklärte der viermalige Olympiasieger André Lange als TV-Experte der ARD.
Aus dem besten Schlittensportler wird noch lange kein Olympiasieger, das weiß auch Michael Nitsch genau. „Es ist ein Gesamtsystem“, erklärt der FES-Direktor, „und wir als Gerätehersteller sind dabei der i-Punkt.“Nitsch hat als FES-Chef den Bau aller deutschen Schlitten im Blick. Nicht nur im Bob, auch im Rodeln und Skeleton. Zehn Goldmedaillen bejubelte das Team D im olympischen Eiskanal von Yanqing. Das FES sei „enorm wichtig“, sagte Doppel-Olympiasieger Francesco Friedrich. Der Rekordweltmeister arbeitet wie die weiteren deutschen Piloten eng mit Nitsch und Baumeister Enrico Zinn zusammen, testet beinahe mit jeder Fahrt das Material, feilt auch während des Weltcups an Kleinigkeiten. Das Bauen und Weiterentwickeln eines Bobs wirkt von außen betrachtet dabei wie eine Wissenschaft. „Man muss sich das vorstellen wie ein eigener Sportwagen, den der Sportler braucht, um perfekt abliefern zu können“, sagt Techniker Schulze.
Im Kern geht es bei der Optimierung der Bobs um drei Punkte: die Verkleidung, das Fahrwerk und die
Kufen. An diesen Schlüsselstellen tüfteln die Bob-Ingenieure im Sommer wie im Winter, direkt an den Eiskanälen oder mit technischen Hilfsmitteln wie Windkanälen in der FES-Zentrale in Berlin-Oberschöneweide. Das pauschale Ziel: „Wir versuchen im Olympia-Zyklus, zwei Zehntel pro Lauf herauszuholen“, sagt Nitsch.
All das kann nur mit Geld funktionieren, mit viel Geld. Rund sieben Millionen Euro werden dem FES mit seinen mehr als 80 Mitarbeitern jährlich vom Innenministerium zur Forschung bereitgestellt, allerdings fließt nur ein Teil davon in die Eisrinne. Im Wintersport profitieren etwa auch die Eisschnellläufer vom deutschen Know-How, im Sommersport unter anderem die Kanuten, Schützen oder Radsportler.
Der aktuelle Erfolg der Schlittensportler liegt auch in einer bitteren Niederlage begründet. Als 2014 in Sotschi erstmals seit einem halben Jahrhundert die deutschen Bobs ohne Medaille blieben, war das auch auf das Material des FES zurückzuführen. In der Folge fuhr der Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) zweigleisig, vertraute auch auf die Ingenieurskunst des österreichischen Herstellers Wallner. Der erhöhte Konkurrenzdruck zeigte Wirkung, in Pyeongchang gingen alle Olympiasiege an Deutschland – sowohl Friedrich bei seinem Doppel-Erfolg im Zweier und Vierer als auch Mariama Jamanka im Zweier saßen dabei in FES-Schlitten. Wie gut das FES-Material auch in China lief, zeigt nicht nur der Blick auf die Ergebnislisten, sondern auch auf die Spitzengeschwindigkeiten.
Ein Wettbewerbsvorteil? Definitiv. Aber unfair? Dagegen wehrt sich Nitsch. „Auch die anderen dürfen ja das machen, was wir machen“, sagt der FES-Boss. Einheitsgeräte, also gleiche Voraussetzungen für alle, lehnt er ab. „Es ist wie in der Formel 1. Wie spannend wäre denn die Formel 1, wenn alle das gleiche Auto hätten“, fragt Nitsch. „Ich weiß nicht, ob die Fans das im Bob gut fänden.“