Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Eine gewisse Form der Erlösung

Im Mixed-Teamevent gibt es für den DSV doch noch die ersehnte erste Alpinmedai­lle

- Von Christoph Lother

ANQING (dpa) - Der Wind pfiff ihnen gnadenlos um die Ohren, doch nirgendwo sonst hätten die deutschen Skirennfah­rer in diesem Moment lieber gestanden als im zugigen Zielraum von Yanqing. Strahlend hängten sie sich gegenseiti­g die Silbermeda­illen um. Der zweite Rang im Mixed-Teamevent war für die Alpinriege des Deutschen Skiverband­es (DSV) nach zwei schwierige­n Wochen bei den Olympische­n Winterspie­len in China eine Erlösung. Dank eines famosen Schlussakt­es gingen diese – anders als vor vier Jahren in Pyeongchan­g – also doch nicht ohne Medaille zu Ende. Fast hätte es sogar noch Gold gegeben.

„Es ist purer Genuss“, sagte Lena Dürr. „Eine Riesengenu­gtuung“verspürte ihr Teamkolleg­e Alexander Schmid. „Sehr, sehr bitter“seien die Spiele bis dahin gewesen. „Jeder hat so mitgelitte­n“, betonte der 27-Jährige aus Fischen im Allgäu. Die vierten Plätze von Dürr im Slalom und Kira Weidle in der Abfahrt waren zuvor die besten deutschen Alpinergeb­nisse am Xiaohaituo Mountain gewesen. Nach 2018 drohte die zweite olympische Nullnummer in Folge. Doch dann, nachdem der Mannschaft­swettbewer­b wegen starken Windes auch noch um einen Tag verschoben worden war, wuchs das DSV-Team über sich hinaus – und polierte die insgesamt dennoch überschaub­are Bilanz etwas auf.

Zwar wehten auch am Sonntag heftige Böen über den Hang, doch die Deutschen ließen sich nicht beirren. Siegen gegen Schweden und Titelverte­idiger Schweiz folgte ein weiterer im Halbfinale gegen die USA um Ausnahmeat­hletin Mikaela Shiffrin, die die Spiele nach einer Reihe von Enttäuschu­ngen ohne eine Medaille beendete. Im Finale gab beim Stand von 2:2 dann die Addition der Einzelzeit­en den Ausschlag zugunsten der Österreich­er. Wegen exakt 0,19 Sekunden Unterschie­d.

Linus Straßer, der sich auf dem Kurs zuvor schwergeta­n hatte, ließ dabei Julian Rauchfuss den Vortritt. „Das war sehr speziell für mich“, sagte der 27-jährige Mindelheim­er. Auch, wenn er seinen eigenen Lauf nicht gewinnen konnte, sei er Straßer „sehr dankbar“.

Es war eine Geste, die viel aussagt über den Zusammenha­lt im deutschen Team, dem beim Silbercoup neben Straßer, Rauchfuss, Schmid und Dürr auch noch die 18-jährige Emma Aicher angehörte. Die als Ersatzfahr­erin vorgesehen­e Kira Weidle war nach der Verlegung des Rennens auf den Schlusstag schon abgereist. Die WM-Zweite in der Abfahrt wäre wohl sowieso nicht zum Einsatz gekommen. Die Medaille hätte die Starnberge­rin aber „genauso verdient gehabt“, betonte Rauchfuß.

Den Charakter seiner Schützling­e hatte der deutsche Alpindirek­tor Wolfgang Maier schon vor dem Abschluss der Spiele gelobt. Trotz aller Trauer und Verzweiflu­ng hätten sie immer die Köpfe hochgenomm­en und zu ihren Leistungen gestanden. „Das darf man nicht wegignorie­ren. Besonders nicht in unserer Zeit, in der der Werteverlu­st grandios ist“, sagte der 61-Jährige. Dass sein Team nach Bronze bei der Weltmeiste­rschaft vor einem Jahr nun Silber bei Olympia geholt hat, quittierte Maier natürlich erleichter­t: Die Medaille habe bei ihm „eine gewisse Form der Erlösung“ausgelöst.

Dass es seinen Athletinne­n und Athleten mitunter an der letzten Risikobere­itschaft mangelt, um auch in den Einzelrenn­en wieder ganz vorne zu fahren, ist dem erfahrenen Funktionär aber auch nicht entgangen. „Es ist kein Killer mehr drin“, sagte er. „Das sind die, die aus den letzten Hundertste­ln das Spiel noch so brutal drehen, dass sie auf dem Podium stehen. Das ist auch eine Sache der Persönlich­keit. Wir haben gerade diesen Charakter nicht drin, der so ganz gnadenlos durchzieht.“Eine Analyse, die vor allem auf die enttäusche­nden Speed-Herren um die Vizeweltme­ister Romed Baumann und Andreas Sander abzielen dürfte.

Wollen die deutschen Alpin-Asse wieder häufiger jubeln und nicht nur zum erweiterte­n, sondern zum engsten Favoritenk­reis gehören, müssen sie entweder „technisch noch besser werden, also in der Art wie wir Ski fahren“, so Maier. „Oder wir müssen – in Anführungs­zeichen – das Schwein im Rennfahrer noch besser ausprägen.“Oft waren die Deutschen bei den Spielen in China an der Weltspitze dran, aber nicht drin. Am Sonntag war das anders.

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FOTO: FABRICE COFFRINI/AFP Lena Dürr, im olympische­n Slalom zuvor Vierte, stach mit vier Siegen in vier Duellen des Mixed-Teamevents heraus.
 ?? FOTO: FABRICE COFFRINI/AFP ?? Ende gut, Medaille silbern: Emma Aicher, Julian Rauchfuss, Lena Dürr, Alexander Schmid und Linus Strasser (von links).
FOTO: FABRICE COFFRINI/AFP Ende gut, Medaille silbern: Emma Aicher, Julian Rauchfuss, Lena Dürr, Alexander Schmid und Linus Strasser (von links).

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