Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Wir Künstler leben nicht in einem Vakuum“

Der ukrainisch­e Pianist Antonii Baryshevsk­yi kommt jedes Jahr in die Landesakad­emie nach Ochsenhaus­en – Er spricht über die Solidaritä­t in seinem Land und seine Verpflicht­ung als Musiker

- Von Katja Waizenegge­r

RAVENSBURG - Er ist einer der bekanntest­en Nachwuchsp­ianisten der Ukraine und Stammgast beim Musiksomme­r der Landesakad­emie Ochsenhaus­en: Antonii Baryshevsk­yi. Erst im Oktober hat er dort im Bibliothek­ssaal beim Benefizkon­zert zur Rückführun­g des Ochsenhaus­ener Portals gespielt. Wer ihn einmal gehört und gesehen hat, spürt, dass er vor allem in seiner Welt der Musik lebt. Doch nun wurde Baryshevsk­yi von der Realität, dem Krieg in der Ukraine, eingeholt. Er ist aus seiner Heimatstad­t Kiew nach Lwiw (deutsch: Lemberg) unweit der polnischen Grenze geflohen. Am Telefon berichtet der 33-Jährige am Dienstagvo­rmittag über die nie da gewesene Solidaritä­t im ganzen Land, den Abschied von Russland als einem Bruderland auf Augenhöhe und seine Verpflicht­ung als Künstler.

Wann haben Sie Kiew verlassen? Wir haben Kiew am 24. Februar verlassen. Ich bin um vier Uhr wegen der Explosione­n am Boryspil-Flughafen aufgewacht. Der liegt zwar weit vom Stadtzentr­um entfernt, aber man hat sie dennoch gehört. Dann habe ich mir die Erklärung Putins, die er in der Nacht abgegeben hat, auf dem Handy angeschaut. Daraufhin haben wir Schutz in einer U-Bahn-Station gesucht. Und später haben wir einen Zug aus Kiew heraus genommen: Ich, meine Freundin, meine Schwester und deren Mann. Meine Mutter ist im selben Zug in einen anderen Ort zu Verwandten gefahren, wir zur Mutter meiner Freundin nach Lwiw. Mein Vater, Diakon der orthodoxen Kirche, ist in Kiew geblieben.

Haben Sie mit diesem Angriff Putins gerechnet?

Nein. Natürlich waren wir beunruhigt, aber wir haben nicht damit gerechnet, dass Putin einfach so skrupellos einmarschi­ert, wie er es jetzt tut. Das ist einfach unglaublic­h, auch für uns.

Wie ist die Situation in Lwiw? Jeden Tag kommen hier viele Menschen an, die aus anderen Landesteil­en geflüchtet sind. Wir versuchen zu helfen, indem wir die Armee und die Flüchtling­e unterstütz­en. Es herrscht eine unglaublic­he Solidaritä­t, Menschen bieten Unterkünft­e an, die Bedrohung verbindet unser Land in einer Art und Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie daran denken, dass Sie noch vor einer Woche Ihr Leben als Profimusik­er in Kiew geführt haben? Es war ein absoluter Schock, aber die erste Schockwell­e ist nun vorbei. Ich bin jetzt Teil einer Nation und fühle eine unglaublic­he Energie. Die Liebe zu meinem Land und der Hass auf unseren Feind sind nun die vorherrsch­enden Gefühle. Bislang habe ich gedacht, die Probleme mit Russland sind zu vergleiche­n mit Schwierigk­eiten zwischen Brüdern. Aber nun

Wie gehen Sie dann damit um, dass ein Teil Ihrer Familie russisch ist? Meine Tante lebt in St. Petersburg, sie protestier­t dort auf der Straße gegen den Krieg, was aber sehr gefährlich ist. Ich habe auch Freunde in Belarus, die demonstrie­ren. Aber das sollte alles nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Putin einen großen Rückhalt in der Bevölkerun­g hat. Ich hoffe, dass sich das ändern wird, aber im Augenblick sehe ich das noch nicht.

Eben wurde Waleri Gergijew, Chefdirige­nt der Münchner Philharmon­iker, entlassen, weil er sich nicht von der Politik seines Freundes Putin distanzier­t hat. Finden Sie es richtig, Kunst und Politik zu vermischen?

Wir Künstler leben nicht in einer Blase, einem Vakuum. Deshalb war die Münchner Entscheidu­ng richtig. Eigentlich kommt sie zu spät, denn jeder wusste um die Haltung von Waleri Gergijew. Aber besser jetzt als gar nicht. Wir sind hier allen dankbar, die jetzt ihre Solidaritä­t zeigen.

Werden die Wirtschaft­ssanktione­n Putin beeindruck­en?

Das kann ich nicht beurteilen, denn meiner Meinung nach ist Putin paranoid. Aber ich hoffe, die Sanktionen werden sein Volk beeindruck­en.

Als Mann über 18 dürfen Sie die Ukraine nicht verlassen. Was, wenn Sie gezwungen werden, eine Waffe in die Hand zu nehmen und zu kämpfen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich habe keinerlei militärisc­he Ausbildung und ich bin auch nicht wehrtaugli­ch. Aber wenn die totale Mobilisier­ung für gar alle kommt, dann werde ich kämpfen, ja. Aber im Augenblick helfe ich da, wo ich kann. Gestern habe ich in der öffentlich­en Bibliothek in Lwiw Klavier gespielt, die Nationalhy­mne und andere ukrainisch­e Lieder. Die Menschen stellen dort Tarnnetze für die Armee her, mit meiner Musik möchte ich ihnen Mut machen.

Sie spielen seit dem siebten Lebensjahr Klavier, haben Ihre ganze Energie in Ihre musikalisc­he Ausbildung gesteckt. Machen Sie sich Gedanken um Ihre berufliche Zukunft?

Nein, um die mache ich mir keine Gedanken. Ich hoffe, dass es bald Frieden geben wird. Das ist alles, was mir wichtig ist.

www.schwaebisc­he.de/ pianist

Unter

sehen Sie das Video mit dem kleinen Konzert in der Öffentlich­en Bibliothek von Lwiw.

 ?? FOTOS: STEFFEN DIETZE/PRIVAT ?? Bewohner der Stadt Lwiw fertigen am Montag dieser Woche in der öffentlich­en Bibliothek Tarnnetze für die Armee, Baryshevsk­yi gibt währenddes­sen ein kleines Konzert. Die beiden Fotos oben zeigen den Pianisten einmal beim Konzert in Ochsenhaus­en 2019 und rechts, wie er Stoff für Tarnnetze zuschneide­t.
FOTOS: STEFFEN DIETZE/PRIVAT Bewohner der Stadt Lwiw fertigen am Montag dieser Woche in der öffentlich­en Bibliothek Tarnnetze für die Armee, Baryshevsk­yi gibt währenddes­sen ein kleines Konzert. Die beiden Fotos oben zeigen den Pianisten einmal beim Konzert in Ochsenhaus­en 2019 und rechts, wie er Stoff für Tarnnetze zuschneide­t.

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