Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bräuteln mit doppelter Maske
400 Narren feiern gemeinsam die 20 Bräutlingspaare – Coronaverordnung schränkt Feier nur bedingt ein
●
SIGMARINGEN - 299 Jahre alt ist die Tradition in Sigmaringen, das sagt Zunftmeister Phil Sutter voller Stolz vom Balkon aus. So lange wird in der Hohenzollernstadt schon gebräutelt. Genau genommen fiel das vergangene Jahr zwar der Pandemie zum Opfer, doch heuer kehrt der Brauch wieder auf den Marktplatz zurück. Nach wochenlanger Vorbereitung ist es am Dienstagmorgen soweit, der Vetter Guser lädt zum Bräuteln ein, wenn auch unter Coronabedingungen. Die SZ ist dabei. Eine Chronik.
9.35 Uhr: Die Bräutlingsgesellen stehen noch entspannt um den Brunnen und warten, während einige Zunftmitglieder den Einlass kontrollieren. Der 2G-Nachweis muss vorliegen, sonst gibt es kein goldenes Bändchen, das den Zugang zum Gelände gewehrt. Abgesperrt ist es zum einen durch die Hausfassaden, aber auch durch Bauzäune, doch die fallen kaum auf, denn eng ist es nicht. Stoßweise kommen Menschen auf den Marktplatz, die meisten von ihnen im Kostüm. Alle tragen ihre FFP2Maske, es sei denn, sie trinken oder essen, dann ist der Mundschutz auch mal kurz unter dem Kinn.
●
9.50 Uhr: Im Trauzimmer des Rathauses steigt die Spannung. Einige Bräutlinge laufen ein und aus, genauso einige Narrenräte. Die Stimmung ist gut, Sekt gab es auch schon, als Vorbereitung. 20 Bräutlingspaare haben sich angemeldet, doch eines sticht heraus: Georg Schluder und seine Frau haben die Eiserne Hochzeit hinter sich, 65 Jahre Ehe also. Obwohl beide schon weit über 80 sind, möchten sie sich das Bräuteln nicht entgehen lassen, zum vierten Mal schon. „Die Abläufe sind uns vertraut, das macht Spaß“, sagt der 85-Jährige mit einem verschmitzten Grinsen.
●
10 Uhr: Die Stadtkapelle läuft ein und spielt die Narren schon einmal warm. Die Musikanten versammeln sich auf der linken Seite, rechts wartet schon der Konstanzer Fanfarenzug, der auch immer wieder aufspielt. Wie der SZ zu Ohren kommt, hatte der Sigmaringer Fanfarenzug coronabedingt zu wenig Übung, weshalb die befreundeten Narren aus Konstanz gerne aushelfen.
●
10.05 Uhr: Zunftmeister Phil Sutter eröffnet das diesjährige Bräuteln als „glücklichster Mensch auf der Welt“, wie er sagt, denn endlich könne das Bräuteln wieder stattfinden. Gleichermaßen geht er auch auf den Krieg ein, der in der Ukraine tobt. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es Menschen gibt, gar nicht so weit weg, die nicht so glücklich sind wie wir“,
●
merkt er an. Dennoch sei die „Fasnet endlich da“und wolle gefeiert werden. Neben einem freudigen „Nauf auf d’Stang“begrüßt Sutter auch die Musiker. Die Heimischen bekommen ein „Stadt“entgegengerufen, die Narren antworten mit „Kapelle“, ganz in der Tradition der Fasnetsrufe.
10.08 Uhr: Der Ritt auf der Stange beginnt. Georg Schluder steigt auf, während der Konstanzer Fanfarenzug verschiedene Queen-Lieder anstimmt, darunter auch „We are the Champions“. Die Süßigkeiten fliegen, die Kinder rennen, die Stimmung steigt.
●
10.15 Uhr: Weiter geht es mit den Diamantenen und Goldenen Hochzeiten. Den Auftakt macht „Ursigmaringer“Heinz Gauggel. „Wer etwas über Sigmaringen wissen will, muss
●
nur Heinz Gauggel fragen“, heißt es vonseiten der Narrenräte. Ihm folgt Rudolf Christian, früherer DGBKreisvorsitzender. „Heute stimmen wir aber keine Arbeiterlieder an“, so die Narrenräte auf dem Balkon. Stattdessen ist „Freut euch des Lebens“zu hören. Immer mehr Zunftgruppen laufen die Runde um den Brunnen, darunter Schlossnarros, Fledermäuse, aber auch einige Riedhexen und Schbiallumbaschlecker sind dabei. Einer von ihnen ist Pfarrer Ekkehard Baumgartner, der sichtlich Freude beim Gang um den Brunnen hat.
10.40 Uhr: Die nächste Generation und damit die Silbernen Hochzeiten sind dran. Narrenrat Hermann Brodmann wendet sich zwischendrin optimistisch an die Hochzeitspaare. „Monogamie ist der neue Punk“, einen
●
Aufkleber mit dieser Aufschrift habe er in Freiburg gesehen. Zum Verständnis erklärte er, dass es sich um eine rebellische Musikrichtung handele und wünscht in diesem Sinne allen jungen Paaren, dass sie wie die Älteren zu Punks werden.
10.48 Uhr: Im Rathaus versammeln sich die Bräutlingspaare, essen und trinken gemeinsam, während sie abwechselnd übers Fenster das bunte Treiben auf dem Marktplatz beobachten. Auch der erst vergangene Woche an Corona erkrankte SPDBundestagsabgeordnete Robin Mesarosch stattet den Bräutlingen einen Besuch ab. Der Raum füllt sich, immer mehr Bräutlingspaare stoßen hinzu und feiern gemeinsam.
●
11.17 Uhr: Der Vetter Guser zeigt sich zufrieden. Zunftsprecher Joachim Wolf lobt, dass sich alle an die Vorgaben gehalten haben. Um die 400 Besucher waren seinen Angaben nach da, 100 weniger als erlaubt.
●
11.25 Uhr: Manfred Storrer, Erster Beigeordneter der Stadt, steht in den Startlöchern, obwohl das Bräuteln fast vorbei ist. Gut gelaunt und in Zylinder gekleidet, wartet er im Trauzimmer und unterhält sich über Corona. Das Thema liegt nahe, denn Storrer vertritt Bürgermeister Marcus Ehm, der am Dienstagmorgen über die Stadtverwaltung mitteilt, an Covid-19 erkrankt zu sein. Warum Storrer in den Startlöchern steht? Er wird noch einmal auf dem Balkon erwartet, wo er mit Mundschutz und Narrenräten den Schluss des Bräutelns begeht – coronakonform, aber nicht minder fröhlich.
●
www.schwaebische.de/ braeuteln22