Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bräuteln mit doppelter Maske

400 Narren feiern gemeinsam die 20 Bräutlings­paare – Coronavero­rdnung schränkt Feier nur bedingt ein

- Von Mareike Keiper

SIGMARINGE­N - 299 Jahre alt ist die Tradition in Sigmaringe­n, das sagt Zunftmeist­er Phil Sutter voller Stolz vom Balkon aus. So lange wird in der Hohenzolle­rnstadt schon gebräutelt. Genau genommen fiel das vergangene Jahr zwar der Pandemie zum Opfer, doch heuer kehrt der Brauch wieder auf den Marktplatz zurück. Nach wochenlang­er Vorbereitu­ng ist es am Dienstagmo­rgen soweit, der Vetter Guser lädt zum Bräuteln ein, wenn auch unter Coronabedi­ngungen. Die SZ ist dabei. Eine Chronik.

9.35 Uhr: Die Bräutlings­gesellen stehen noch entspannt um den Brunnen und warten, während einige Zunftmitgl­ieder den Einlass kontrollie­ren. Der 2G-Nachweis muss vorliegen, sonst gibt es kein goldenes Bändchen, das den Zugang zum Gelände gewehrt. Abgesperrt ist es zum einen durch die Hausfassad­en, aber auch durch Bauzäune, doch die fallen kaum auf, denn eng ist es nicht. Stoßweise kommen Menschen auf den Marktplatz, die meisten von ihnen im Kostüm. Alle tragen ihre FFP2Maske, es sei denn, sie trinken oder essen, dann ist der Mundschutz auch mal kurz unter dem Kinn.

9.50 Uhr: Im Trauzimmer des Rathauses steigt die Spannung. Einige Bräutlinge laufen ein und aus, genauso einige Narrenräte. Die Stimmung ist gut, Sekt gab es auch schon, als Vorbereitu­ng. 20 Bräutlings­paare haben sich angemeldet, doch eines sticht heraus: Georg Schluder und seine Frau haben die Eiserne Hochzeit hinter sich, 65 Jahre Ehe also. Obwohl beide schon weit über 80 sind, möchten sie sich das Bräuteln nicht entgehen lassen, zum vierten Mal schon. „Die Abläufe sind uns vertraut, das macht Spaß“, sagt der 85-Jährige mit einem verschmitz­ten Grinsen.

10 Uhr: Die Stadtkapel­le läuft ein und spielt die Narren schon einmal warm. Die Musikanten versammeln sich auf der linken Seite, rechts wartet schon der Konstanzer Fanfarenzu­g, der auch immer wieder aufspielt. Wie der SZ zu Ohren kommt, hatte der Sigmaringe­r Fanfarenzu­g coronabedi­ngt zu wenig Übung, weshalb die befreundet­en Narren aus Konstanz gerne aushelfen.

10.05 Uhr: Zunftmeist­er Phil Sutter eröffnet das diesjährig­e Bräuteln als „glücklichs­ter Mensch auf der Welt“, wie er sagt, denn endlich könne das Bräuteln wieder stattfinde­n. Gleicherma­ßen geht er auch auf den Krieg ein, der in der Ukraine tobt. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es Menschen gibt, gar nicht so weit weg, die nicht so glücklich sind wie wir“,

merkt er an. Dennoch sei die „Fasnet endlich da“und wolle gefeiert werden. Neben einem freudigen „Nauf auf d’Stang“begrüßt Sutter auch die Musiker. Die Heimischen bekommen ein „Stadt“entgegenge­rufen, die Narren antworten mit „Kapelle“, ganz in der Tradition der Fasnetsruf­e.

10.08 Uhr: Der Ritt auf der Stange beginnt. Georg Schluder steigt auf, während der Konstanzer Fanfarenzu­g verschiede­ne Queen-Lieder anstimmt, darunter auch „We are the Champions“. Die Süßigkeite­n fliegen, die Kinder rennen, die Stimmung steigt.

10.15 Uhr: Weiter geht es mit den Diamantene­n und Goldenen Hochzeiten. Den Auftakt macht „Ursigmarin­ger“Heinz Gauggel. „Wer etwas über Sigmaringe­n wissen will, muss

nur Heinz Gauggel fragen“, heißt es vonseiten der Narrenräte. Ihm folgt Rudolf Christian, früherer DGBKreisvo­rsitzender. „Heute stimmen wir aber keine Arbeiterli­eder an“, so die Narrenräte auf dem Balkon. Stattdesse­n ist „Freut euch des Lebens“zu hören. Immer mehr Zunftgrupp­en laufen die Runde um den Brunnen, darunter Schlossnar­ros, Fledermäus­e, aber auch einige Riedhexen und Schbiallum­baschlecke­r sind dabei. Einer von ihnen ist Pfarrer Ekkehard Baumgartne­r, der sichtlich Freude beim Gang um den Brunnen hat.

10.40 Uhr: Die nächste Generation und damit die Silbernen Hochzeiten sind dran. Narrenrat Hermann Brodmann wendet sich zwischendr­in optimistis­ch an die Hochzeitsp­aare. „Monogamie ist der neue Punk“, einen

Aufkleber mit dieser Aufschrift habe er in Freiburg gesehen. Zum Verständni­s erklärte er, dass es sich um eine rebellisch­e Musikricht­ung handele und wünscht in diesem Sinne allen jungen Paaren, dass sie wie die Älteren zu Punks werden.

10.48 Uhr: Im Rathaus versammeln sich die Bräutlings­paare, essen und trinken gemeinsam, während sie abwechseln­d übers Fenster das bunte Treiben auf dem Marktplatz beobachten. Auch der erst vergangene Woche an Corona erkrankte SPDBundest­agsabgeord­nete Robin Mesarosch stattet den Bräutlinge­n einen Besuch ab. Der Raum füllt sich, immer mehr Bräutlings­paare stoßen hinzu und feiern gemeinsam.

11.17 Uhr: Der Vetter Guser zeigt sich zufrieden. Zunftsprec­her Joachim Wolf lobt, dass sich alle an die Vorgaben gehalten haben. Um die 400 Besucher waren seinen Angaben nach da, 100 weniger als erlaubt.

11.25 Uhr: Manfred Storrer, Erster Beigeordne­ter der Stadt, steht in den Startlöche­rn, obwohl das Bräuteln fast vorbei ist. Gut gelaunt und in Zylinder gekleidet, wartet er im Trauzimmer und unterhält sich über Corona. Das Thema liegt nahe, denn Storrer vertritt Bürgermeis­ter Marcus Ehm, der am Dienstagmo­rgen über die Stadtverwa­ltung mitteilt, an Covid-19 erkrankt zu sein. Warum Storrer in den Startlöche­rn steht? Er wird noch einmal auf dem Balkon erwartet, wo er mit Mundschutz und Narrenräte­n den Schluss des Bräutelns begeht – coronakonf­orm, aber nicht minder fröhlich.

www.schwaebisc­he.de/ braeuteln2­2

 ?? FOTOS: MAREIKE KEIPER ?? Mittwoch, 2. März 2022
Trotz Mundschutz feiern um die 400 Sigmaringe­r mit.
Fahne voran: Die Bräutlinge umkreisen den Brunnen.
Auch Heinz Gauggel wagt den Ritt auf der Stange.
Georg Schluder ist der Bräutling mit der meisten Erfahrung: Viermal ritt er schon auf der Stange.
Die Riedhexen dürfen bei der Semerenga Fasnet nicht fehlen.
Genauso wenig die Schlossnar­ros, diesmal mit zwei Masken.
Ihre Hochzeit ist unter den Bräutlings­paaren am längsten her: das Ehepaar Schluder.
Schwäbisch­e Zeitung
Die Stadtkapel­le untermalt das Bräuteln.
Weitere Fotos und ein Video zum Bräuteln gibt es online unter
Die Narrenräte stellen die Bräutlinge vor.
FOTOS: MAREIKE KEIPER Mittwoch, 2. März 2022 Trotz Mundschutz feiern um die 400 Sigmaringe­r mit. Fahne voran: Die Bräutlinge umkreisen den Brunnen. Auch Heinz Gauggel wagt den Ritt auf der Stange. Georg Schluder ist der Bräutling mit der meisten Erfahrung: Viermal ritt er schon auf der Stange. Die Riedhexen dürfen bei der Semerenga Fasnet nicht fehlen. Genauso wenig die Schlossnar­ros, diesmal mit zwei Masken. Ihre Hochzeit ist unter den Bräutlings­paaren am längsten her: das Ehepaar Schluder. Schwäbisch­e Zeitung Die Stadtkapel­le untermalt das Bräuteln. Weitere Fotos und ein Video zum Bräuteln gibt es online unter Die Narrenräte stellen die Bräutlinge vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany