Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Rückkehr in die Heimat

Vor 70 Jahren gaben die Briten Helgoland frei – Der Wiederaufb­au war schwierig

- Von Stephanie Lettgen

HELGOLAND (dpa) - Das Heimweh, die Freude über die geplante Rückkehr und der starke Wind während der Bootsfahrt – an den 1. März 1952 kann sich der Helgolände­r Olaf Ohlsen noch ganz genau erinnern. An diesem Tag vor 70 Jahren gaben die Briten die zerbombte und zu dieser Zeit unbewohnte Hochseeins­el frei. Als Vertreter der Helgolände­r Jugend fuhr der damals 16-jährige Ohlsen mit zu der Zeremonie im Südhafen. Die seit Jahren an anderen Orten untergebra­chten Helgolände­r hatten lange auf diesen Augenblick gewartet. Endlich konnten sie mit dem Wiederaufb­au ihrer Heimat beginnen. Der Anblick der verwüstete­n Insel sei trostlos gewesen, erzählt der heute 86-Jährige.

Die Nordseeins­el hat eine bewegte Geschichte: 1890 übergaben die Briten Helgoland an das Deutsche Reich und erhielten dafür Teile Ostafrikas, die unter deutscher Kolonialhe­rrschaft standen. Im Zweiten Weltkrieg wollten die Nationalso­zialisten mit dem Projekt „Hummersche­re“durch Aufspülung­en und Betonbaute­n einen riesigen Marinehafe­n als Flottenstü­tzpunkt errichten, der im Notfall einen Großteil der Reichskrie­gsflotte aufnehmen sollte. Während des Krieges kam es zu Bombenangr­iffen, die die Insel unbewohnba­r machten.

Am 11. Mai 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriege­s in Europa, hätten die Briten die Kontrolle übernommen, sagt der Historiker Martin Krieger von der Universitä­t Kiel. Sieben Jahre lang nutzten sie Helgoland als Bomben-Trainingsg­elände. Am 18. April 1947 sprengten die Briten zudem mit 6700 Tonnen Munition beim „Big Bang“alle militärisc­hen Anlagen.

Die geplante Sprengung sei als die größte nicht nukleare Explosion aller Zeiten angekündig­t worden, sagt der Historiker Jan Rüger vom Birkbeck College der Universitä­t London. Es sei ein riesiger Krater entstanden, der das heutige Mittelland an der Südspitze der Insel bilde. „Das einzige Gebäude, das auf der Insel noch stand, war der alte Flakturm“, sagt Krieger.

Im September 1949 wurde die erste Regierung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d vereidigt. Wenig später habe der Bundestag einstimmig eine Resolution an die Alliierten verabschie­det, die Insel an Deutschlan­d zurückzuge­ben, erklärt Rüger. Doch das habe die Briten wenig beeindruck­t. „Der Verlust einer Felseninse­l erschien den Briten keinesfall­s als zu hoher Preis für das, was die Deutschen angerichte­t hatten.“Doch es habe auch dort kritische Stimmen gegeben, die die Frage gestellt hätten, warum die Royal Air Force Jahre nach Kriegsende die Insel immer noch bombardier­te.

Die meisten Helgolände­r waren zu dieser Zeit laut Professor Krieger im Kreis Pinneberg, auf Sylt oder in Cuxhaven untergekom­men. Eine wichtige Rolle für den Zusammenha­lt der versprengt­en Gemeinscha­ft hätten nicht nur die weiter bestehende­n engen persönlich­en Kontakte und Netzwerke, sondern auch der „Club Hallunner Moats“(Helgolände­r Freunde) gespielt.

Viele Helgolände­r engagierte­n sich dafür, auf ihre Insel zurückzukö­nnen. Auch der Großvater von Olaf

Goemann (82). „Meine Großeltern haben immer beratschla­gt: Können wir mal wieder nach Helgoland zurück, können wir uns da wieder ein Haus bauen?“Dieses sollte dann „Henthüs“heißen, übersetzt heißt das laut Goemann so viel wie „Zuhause“. Das Haus wurde später tatsächlic­h gebaut – der Großvater aber erlebte das nicht mehr.

Auch die Familie von Ohlsen engagierte sich für eine Rückkehr. Für

Eltern und Großeltern habe es immer nur „Helgoland, Helgoland, Helgoland“gegeben, sagt Ohlsen. Sein Vater habe Kontakt zu dem Historiker und Journalist­en Hubertus Prinz zu Löwenstein (1906-1984) gehalten, der sich bei britischen Regierungs­kreisen für die Rückgabe einsetzte.

Am 20. Dezember 1950 wollten dann zwei Heidelberg­er Studenten die Freigabe der Insel vorantreib­en. Georg von Hatzfeld (1929-2000) und

René Leudesdorf­f (1928-2012) fuhren mit einem Kutter zum roten Felsen, um ein Zeichen des friedliche­n Protests zu setzen. An einem alten Leitungsro­hr hissten sie eine Europa-, eine Deutschlan­d- und eine Helgolandf­lagge. Das Bild der beiden Studenten, die die Insel besetzen, sei um die Welt gegangen, sagt der Leiter des Helgolände­r Museums, Jörg Andres.

Diese spektakulä­re Aktion war nach Ansicht von Historiker Krieger aber nur ein Mosaikstei­n auf dem langen Weg zur Freigabe. Professor Rüger betont, eine Rolle habe auch der Kalte Krieg gespielt. Das nationale Thema Helgoland sei auch von der DDR an sich gerissen worden. Das hätten die Westalliie­rten mit Sorgen beobachtet. „Im November 1951 einigten sich die westdeutsc­he und die britische Regierung schließlic­h auf ein anderes Testgeländ­e der Royal Air Force.“

Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (CDU) hätte die Übergabe an die Bundesrepu­blik Deutschlan­d laut Rüger gerne als großen Staatsakt inszeniert. „Doch da war ein Bombentric­hter neben dem anderen.“Man habe dem Kanzler erklärt, dass nur eine kleine Fläche für eine kurze Zeremonie freigeräum­t werden könne. Zu den Teilnehmer­n gehörten der Ministerpr­äsident von SchleswigH­olstein, Friedrich Wilhelm Lübke (1887-1954), einige Helgolände­r und Journalist­en. Es begann der schwierige Wiederaufb­au. Innerhalb weniger Jahre sei ein komplett neuer Ort entstanden, erzählt Museumslei­ter Andres.

Jedes Jahr gibt es am 1. März eigentlich eine große Feier in Erinnerung an die Freigabe. Doch wegen der Corona-Krise soll es laut Gemeinde diesmal erst am 18. Juni einen Festtag geben. In der St.-Nicolai-Kirche ist aber in der Nacht zum Dienstag ein Mitternach­tsgottesdi­enst geplant. „Dann läutet auch die HelgolandG­locke, das ist immer sehr festlich“, sagt Bürgermeis­ter Jörg Singer (parteilos). Die Bewohner würden ihre Häuser wieder mit der HelgolandF­lagge schmücken. Am Abend sei ein Feuerwerk angekündig­t.

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FOTO: JOCHEN BLUME/DPA Die Flaggen von Helgoland (re.), der Bundesrepu­blik Deutschlan­d (Mi.), der Europäisch­en Bewegung (un.) und von Schleswig-Holstein (li.) werden am 1. März 1952 auf Helgoland gehisst. Vor 70 Jahren gaben die Briten die Hochseeins­el wieder frei.
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Die Insel Helgoland wurde durch die britische Luftwaffe in eine Kraterland­schaft verwandelt.
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FOTOS: MARCUS BRANDT/DPA Blick auf die sogenannte­n Hummer-Buden am Hafen im Unterland der Insel Helgoland.

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