Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Plagiat, Flop, Meisterwer­k

Der Vampirscho­cker „Nosferatu“wird 100 – Er war die erste große Verfilmung des Schauerrom­ans „Dracula“

- Von Christof Bock

Berlin (dpa) - Ein Untoter hat Geburtstag: Der deutsche Horrorfilm „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“wird 100 Jahre alt. Das Werk von Friedrich Wilhelm Murnau, das am 4. März 1922 in Berlin Premiere hatte, war die erste große Verfilmung des Schauerrom­ans „Dracula“. Der expression­istische Vampirfilm fand als einer von wenigen Schwarz-Weiß-Filmen einen prominente­n Platz in der Popkultur. Die Szene, in der ein dürrer menschlich­er Schatten mit ausgestrec­kten Pranken eine Treppe hinaufglei­tet, wurde unzählige Male kopiert.

Zu den Gratulante­n des Filmjubilä­ums gehört der deutsch-französisc­he Kultursend­er Arte. Er sendet vom 4. März bis 9. März gleich mehrere Themenaben­de zu Vampiren. Das restaurier­te Original mit dem gruseligen Hauptdarst­eller Max Schreck (übrigens kein Künstlerna­me) zählt ebenso dazu wie die Doku „Nosferatu – Ein Film wie ein Vampir“.

In dem Dokumentar­film äußert sich unter anderem der Filmforsch­er und „Nosferatu“-Kenner Rolf Giese: „Das besonders Interessan­te an „Nosferatu“ist, dass das Grauen im Kinosaal war – aber auch außerhalb des Kinosaals.“Überall im Straßenbil­d seien heimgekehr­te Frontsolda­ten mit grausigen Verstümmel­ungen zu sehen gewesen. „Es war der Erste Weltkrieg zu Ende. Und infolge des Weltkriegs kam die Spanische Grippe, breitete sich aus. Und der Vampir auf der Leinwand war wie ein Sendbote. Er war wie ein personifiz­iertes Virus.“

Filmproduz­ent Albin Grau will die Idee zum Blutsauger aus dem Krieg mitgebrach­t haben. Ein serbischer Bauer soll ihm von einem Verwandten erzählt haben, der im Sarg nicht verwest sei und dem auch Vampirzähn­e gewachsen seien. „Albin Grau war so was wie ein Universalt­alent, kann man sagen“, sagt Publizist Friedemann Beyer in der Arte-Doku. „Er war Plakatmale­r, Plakatgraf­iker. Er fühlte sich aber auch zu Höherem berufen. Deshalb stieg er als Filmproduz­ent ein und war Meister einer okkultisti­schen Loge. Und auch das entsprach damals durchaus dem Zeitgeist.“

In Friedrich Wilhelm Murnau fand Grau die perfekte Ergänzung. Dieser gilt neben Fritz Lang als wichtigste­r deutscher Stummfilmr­egisseur. Von seinen wohl gut 20 Filmen gelten leider acht als verscholle­n. Die Technik der „entfesselt­en Kamera“, die Murnau im Jahr 1924 für die Tragödie „Der letzte Mann“einsetzte, war für die Kinogeschi­chte ein so großer Durchbruch, dass man es mit dem Tonfilm vergleiche­n kann. Murnaus Karriere war allerdings von unzähligen Rückschläg­en geprägt.

Und „Nosferatu“entwickelt­e sich zu seinem allergrößt­en Flop. Nicht nur dass die vielen Außendrehs – unter anderem in den Karpaten – sehr viel Geld verschlang­en. Nicht nur dass die Produzente­n einen Großteil des Produktion­setats in privaten Luxus wie teuren Wein und Zigarren zweckentfr­emdeten. Nicht nur dass sie Unsummen in aufwendige Werbung steckten („Nosferatu“gilt als erster Film mit höherem Werbeetat als eigentlich­em Filmbudget). Sie ignorierte­n auch völlig blind die Frage der Urheberrec­hte. Denn was immer Grau inspiriert haben mag: Der Film war eine klar erkennbare Filmadapti­on

des Romans „Dracula“von 1897.

„Nach der Premiere von „Nosferatu“meldete sich die Witwe des Autors der Vorlage und verklagte die Produktion­sfirma Prana Film auf Schadeners­atz“, schildert Filmhistor­iker Beyer. „Prana Film hatte die Rechte an Bram Stokers Roman nicht erworben. Es gab einen gerichtlic­hen

Beschluss, dass der Film und alle Kopien dieses Films vernichtet werden sollten. Insofern ist dieser Film quasi ein Untoter, der heute immer noch sein Unwesen treibt.“

Schon zuvor hatten große Kinoketten den Film gemieden, nun noch die Klage. „Nosferatu“überlebte nur dank zahlreiche­r Raubkopien im Inund Ausland. Heute gilt er als expression­istisches Meisterwer­k und wichtiges deutsches Kulturerbe. Eine Kopie in der Cinémathèq­ue française war 2005 Basis einer Restaurier­ung und Digitalisi­erung.

Während es mit dem Film also ein gutes Ende nahm, kann man das von Murnau nicht sagen. Er verunglück­te 1931 auf einer der schönsten Straßen Kalifornie­ns, der Strecke von Hollywood nach Monterey. Am Steuer soll sein 14-jähriger Diener gesessen haben, bis dieser die Kontrolle verlor. Berichten zufolge erschienen nur elf Gäste zu seiner Beerdigung, darunter Diva Greta Garbo und Regiekolle­ge Fritz Lang. Und Murnau fand nicht einmal im Tod Ruhe. 2015 wurde sein Grab geschändet und sein Kopf gestohlen. Er ist bis heute verschwund­en.

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FOTO: UNITED ARCHIVES/KPA/IMAGO IMAGES Der Film „Nosferatu“überlebte nur dank zahlreiche­r Raubkopien im Inund Ausland.

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