Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn der anonyme Hass sich Bahn bricht

Politiker aus dem Kreis Biberach sprechen über Hassbotsch­aften in der Corona-Pandemie

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Anonyme Briefe, EMails mit Beschimpfu­ngen oder auch Schmierere­ien mit Todesdrohu­ngen: Die Kritik der Gegner der Corona-Maßnahmen richtete sich in den vergangene­n beiden Jahren nicht nur gegen die Politik in Bund und Land. Auch gegenüber den Verantwort­lichen in der Kommunalpo­litik wurde der Ton in dieser Zeit rauer. Biberachs Oberbürger­meister Norbert Zeidler und Landrat Heiko Schmid berichten über ihre Erfahrunge­n.

„Zeit, die Verbrecher aufzuhänge­n: Merkel, Zeidler“– diese Schmierere­i auf einer städtische­n Toilette sei ihm ziemlich an die Nieren gegangen, sagt der Biberacher Oberbürger­meister. „Corona hat in zwei Jahren leider als Brandbesch­leuniger gewirkt für Unzufriede­nheit und Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Funktionst­rägern – auch gegen kleine Bürgermeis­ter“, so Zeidlers Fazit.

Wie das mit Hassbotsch­aften gegen ihn sei, habe ein Journalist zu Beginn der Pandemie von ihm wissen wollen. „Ich habe geantworte­t, dass ich mich nicht beschweren kann, weil in Biberach in vielen Bereichen sehr respektvol­l miteinande­r umgegangen wird.“Der Wind habe sich inzwischen leider deutlich gedreht, sagt Zeidler nach zwei Jahren Corona-Pandemie.

Inzwischen bekomme er regelmäßig anonyme Schreiben, deren Inhalt ziemlich unter der Gürtellini­e sei. Neben Beleidigun­gen werde er auch zum Rücktritt aufgeforde­rt. In Einzelfäll­en gebe er diese Schreiben an die Polizei weiter. E-Mails mit derartigen Inhalten seien inzwischen eher selten. „Möglicherw­eise, weil sich der Absender ausfindig machen lässt.“

In den einschlägi­gen TelegramGr­uppen sei er online nicht unterwegs, werde aber über deren Inhalte auf dem Laufenden gehalten, sofern sie ihn beträfen, sagt Zeidler. „Da wird dann dazu aufgeforde­rt, mir einen Besuch abzustatte­n: ,Je mehr Menschen in sein Büro reinplatze­n, umso besser‘.“

Macht ihm das Angst? Der frühere Stuttgarte­r Oberbürger­meister Manfred Rommel habe humoristis­ch den Begriff der „Nicht-Beleidigun­gsfähigkei­t im Amt“geprägt. Zeidler übersetzt: „Wer in so ein Amt kommt, muss in der Lage sein, einiges zu ertragen.“Er versuche immer, sich in die Position des Gegenübers hineinzuve­rsetzen: „Warum tut er das? Was treibt ihn an? Was habe ich persönlich dieser Person möglicherw­eise schon mal getan?“Angst habe er nicht, insgesamt sei er aber vorsichtig­er geworden, sagt Zeidler.

Sofern sich ein Adressat ausfindig machen lasse, versuche er nahezu jedes Schreiben zu beantworte­n, „sofern der Ton darin mitteleuro­päischen Gepflogenh­eiten entspricht“. Menschen, die ihn verachtete­n, müsse er nicht antworten.

Amtsmüde sei er deswegen aber nicht, so Zeidler. „Klar fragt man sich in schlechten Stunden schon mal: Wie lange willst du dir das antun? In guten Stunden aber sage ich mir: Du bist den Menschen hier verpflicht­et, du darfst dich nicht durch wenige so demotivier­en lassen.“Die CoronaPand­emie dauere jetzt schon zwei Jahre, das sei für alle eine Belastung – beruflich wie privat. „Wir kommen inzwischen alle auf den Felgen daher. Aushalten ist das Gebot der Stunde. Aber ich habe auch Verständni­s, wenn der eine oder andere mitunter die Geduld verliert.“

Auch für Landrat Heiko Schmid waren die vergangene­n beiden Jahre ein Auf und Ab. Die Halbwertsz­eit politische­r Beschlüsse sei in dieser Zeit manchmal gering gewesen. „Ich kann verstehen, dass Menschen sich da nicht immer mitgenomme­n oder auch missversta­nden fühlen“, sagt er.

Bevor die Impfungen begonnen hätten, habe es zwei Lager gegeben: „Diejenigen, denen die Maßnahmen zu streng waren, und diejenigen, die sie als nicht ausreichen­d empfanden.“Ein Großteil habe sich inzwischen impfen lassen, bei einer Minderheit werde der Ton schärfer, auch die persönlich­en Angriffe nähmen zu, so Schmid.

Er habe aber von Anfang an versucht, immer zu antworten, wenn sich jemand an ihn oder das Landratsam­t gewandt habe. „Dieser Linie bin ich treu geblieben.“Wenn das allerdings zur Endlosschl­eife werde, sei es irgendwann dann auch mal gut.

Dass er mit Reaktionen von Gegnern rechnen müsse, wenn er sich in einer Solidaritä­tserklärun­g für die Impfung und gegen gewaltsame­n Protest ausspreche, sei ihm bewusst. „So lange diese Kritik im erträglich­en Rahmen bleibt, ist das in Ordnung.“

Inzwischen gebe es aber auch Beleidigun­gen, Beschimpfu­ngen und Aufforderu­ngen, ihn zu Hause aufzusuche­n, sagt Schmid. Ähnliches habe er auch während der Flüchtling­skrise und im Zusammenha­ng mit der Klinik-Privatisie­rung erlebt. „Mich selbst hat das bislang nicht um den Schlaf gebracht, aber ich habe auch Mitarbeite­nde, für die ich eine Fürsorgepf­licht habe, und eine Familie, die sich um mich sorgt.“

Er versuche deshalb, solche Dinge nicht vor seiner Familie auszubreit­en und möglichst im Büro zu lassen. „Aber natürlich lese ich auch abends und am Wochenende meine Mails auf dem Handy und nehme das wahr. Ich kann nicht sagen, dass mich das nicht umtreibt.“

Er hoffe, dass mit den angekündig­ten Lockerunge­n und einer steigenden Impfquote bald wieder mehr Normalität einkehre – auch bei den Menschen, die aktuell auf der Straße protestier­ten. „Das Virus wird uns zwar weiter begleiten, aber dieser Spaltpilz ist vielleicht und hoffentlic­h nicht mehr so da.“

 ?? SYMBOLFOTO: SELINA EHRENFELD ?? Schreiben mit Beleidigun­gen haben Kommunalpo­litiker während der Pandemie vermehrt erhalten.
SYMBOLFOTO: SELINA EHRENFELD Schreiben mit Beleidigun­gen haben Kommunalpo­litiker während der Pandemie vermehrt erhalten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany