Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Geist lässt uns leben
Z u Pfingsten schreibt Schwester Maria Karin Weber aus Untermarchtal: „Der Geist ist es, der uns leben lässt, uns lebendig macht.“Die Ordensfrau ist in der Leitung der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul in Untermarchtal als Generalvikarin tätig.
„Wenn wir in unsere Zeit und Welt hineinschauen, ist es kaum auszuhalten, was um uns herum, in der Nähe und in der Ferne geschieht. Noch ist die Corona-Pandemie nicht besiegt, tauchen immer wieder neue bedrohliche Krankheitserreger auf, die Angst machen. Diese Ängste und Unsicherheiten belasten viele Menschen in unserer Gesellschaft psychisch, physisch und immer mehr auch existenziell. Verschwörungstheorien, Corona-Leugner und radikale Strömungen tragen zu Spaltungen in der Gesellschaft bei. Dies allein sind schon große Herausforderungen, die wir wahrnehmen, beachten und denen wir uns alle stellen müssen. Es wäre genug, was zu leisten wäre für eine Gesellschaft, abgesehen von den globalen Herausforderungen durch den Klimawandel und durch all die vielen Krisen- und Kriegsgebiete auf der ganzen Welt. Dazuhin sehen wir uns plötzlich konfrontiert mit einem Krieg mitten in Europa, wo wir doch seit 77 Jahren in Frieden, Wohlstand und Freiheit leben – und uns vielleicht darin eingerichtet haben, als könnte uns nichts anderes passieren!
In dieser krisengeschüttelten Zeit tauchen vielleicht mehr als sonst existenzielle Fragen auf: Wo kann ich mich orientieren? Welcher Nachricht kann ich vertrauen? Wer ist verlässlich? Wo finde ich Halt? Wohin kann ich mich wenden, wenn selbst in den Kirchen so vieles brüchig und unglaubwürdig scheint? Was lässt mich leben? Was macht mein Leben lebenswert, wenn ich mir so vieles nicht mehr leisten kann? Sicher werden den Lesern noch mehr Fragen dazu einfallen, je nach der persönlichen Situation.
Wir feiern das Pfingstfest, die Herabkunft des Heiligen Geistes – damals auf die Jünger in Jerusalem, wo er mit Sturmesbrausen über sie hereingebrochen ist – und heute, wo wir flehentlich darum bitten, dass der Heilige Geist das Angesicht der Erde erneuern möge. Die vielen Namen, die dem Heiligen Geist gegeben werden, zeigen uns, was er für uns sein will und wie er für uns da sein kann.
Schöpfer Geist, Lebens Geist: Der
Mensch ist ein Geistwesen. Der Geist ist es, der uns leben lässt, uns lebendig macht; er ist die Lebenskraft, die der Atem Gottes uns schenkt und die kraftvoll ringt und kämpft, wo unser Leben bedroht wird. Dieser Geist ist schöpferisch, kreativ, erfinderisch.
Dies zeigt sich nicht nur in den Forschungen der Naturwissenschaften, der Technik und Medizin, sondern ist schon bei Kindern zu entdecken, die scheinbar aus nichts etwas machen können, das sie begeistert und fasziniert. Das Sprichwort „Not macht erfinderisch“bewahrheitet dies in vielen Notsituationen; ich denke da immer wieder an meine Eltern, die nach dem 2. Weltkrieg flüchten mussten und bei denen ich dies als Kind erlebt und von ihnen gelernt habe.
In unserer gegenwärtigen Zeit brauchen wir alle auch den Tröster Geist, der unsere Not kennt, unsere Ängste, unsere Unsicherheiten, unsere Verletzungen, unsere Sehnsucht nach Gehaltensein und Orientierung. Dieser Gottesgeist wohnt in uns und will uns von innen her Kraft, Mut, Halt, Heilung und Zuversicht geben. Rufen wir zu ihm: Komm, du Tröster Geist! Komm, du Friedensstifter Heiliger Geist! Um diesen Geist des Friedens können wir nicht genug bitten und flehen – um den Frieden in allen Kriegs- und Krisengebieten, vor allem in der Ukraine, aber auch überall auf der Welt und in unseren eigenen Herzen und Häusern.
Von Hrabanus Maurus (+ 856) stammt ein Heilig Geist Hymnus, den ich in der Übersetzung von Georg Thurmayer hier wiedergeben will, weil darin die Wirkkraft und Wirkmöglichkeiten des Heiligen Geistes wunderbar beschrieben werden:
„Komm, Schöpfer Geist, komm, brich herein,/dring tief in unser Wesen ein. Erfüll mit Gnaden, was du schufst, brich auf die Herzen, die du rufst.
Du siebenfacher Gnadenbrand – dem Finger gleich an Gottes Hand – Verheißner Gast in unsrer Nacht, der stumme Zungen reden macht.
Glüh auf, der Sinne Licht zu sein, gieß Liebe in die Herzen ein, bring unsern Leib in Dienstbarkeit, dass deine Kraft uns Sieg verleiht.
Treib den Versucher von uns weit, schenk Frieden uns und aller Zeit; Geh du voran, sei Weg und Stern; halt Unheil und Gefahren fern!
Mach uns den Vater offenbar, lass uns den Sohn erkennen wahr; Schließ auf, was wir in dir erkannt, den beider Liebe uns gesandt!
Lob sei dem Vater auf dem Thron, Lob seinem auferstandnen Sohn, Lob dir, dem Geist, der Trost verleiht, jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.
Foto: Das Pfingstwunder ist das zentrale Deckengemälde im Kirchenschiff der Kath. Pfarrkirche St. Gallus in Zell im Landkreis Biberach. Das Fresko, entstanden um 1780, stammt vom Maler und Architekten Januarius Zick aus München.