Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ehemaliges Waschhaus wird ein Geburtshaus
„Hebammerei“-Verein will denkmalgeschütztes Gebäude für eine Million Euro sanieren
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RAVENSBURG - „Wir haben das Haus gesehen und gewusst, das ist es“: Annika Schubert strahlt. Monatelang hat sie mit ihren Mitstreiterinnen von der „Hebammerei“die passende Immobilie für das geplante Ravensburger Geburtshaus gesucht. Im Sommer vergangenen Jahres sind sie dann auf das alte Waschhaus in Weißenau gestoßen. Es dauerte zwar noch eine Weile, ehe mit der Stadt Ravensburg, der das historische Gebäude gehört, alles festgezurrt war. Doch nun hat der Verein den auf 80 Jahre ausgelegten Erbpachtvertrag so gut wie in der Tasche. Allerdings fehlt noch einiges, bis die erste Frau am Torplatz 7 ihr Baby zur Welt bringen kann.
Zum einen hat sich zwar der Eschacher Ortschaftsrat bereits für das Vorhaben ausgesprochen – die Zustimmung des Ravensburger Gemeinderats steht aber noch aus. Außerdem kosten Umbau und Sanierung des insgesamt 600 Quadratmeter großen Hauses mehr als eine Million Euro. Die Hälfte davon will der Verein als Kredit aufnehmen. Der Rest soll über Spenden reinkommen. Dafür hat die „Hebammerei“, die das Haus als gemeinnützige GmbH betreiben wird, nicht nur eine Crowdfunding-Kampagne auf die Beine gestellt, sie will in nächster Zeit auch bei Unternehmen und anderen Sponsoren anklopfen. Immerhin muss in dem 1745 erbauten Gebäude einiges gemacht werden – und zwar so, wie das Denkmalamt es vorgibt. Grundsätzlich eignet sich das ehemalige Waschhaus des Klosters, in dem jahrzehntelang die Weißenauer Grundschule und später das vom Kulturkreis Eschach betriebene Heimatmuseum untergebracht war, freilich bestens als Geburtshaus: Im Erdgeschoss ist Platz für zwei Geburtsräume und ein Wehenzimmer. Im ersten Stock muss Birgit Schwartz-Glonnegger ihr Mal-Atelier räumen: Dort werden ein Veranstaltungsraum, ein Büro und ein Vorsorgezimmer entstehen.
Was ins Dachgeschoss kommt, ist noch nicht ganz heraus. Auf lange Sicht träumt der Verein von einer Wochenbett-Pension: Dort können Frauen nach der Geburt länger als die üblichen vier Stunden bleiben – „bis sie sich gut und stark genug fühlen, um nach Hause zu gehen“, wie Antonia Göggerle-Locher von der „Hebammerei“erläutert. Außerdem ideal: Das künftige Geburtshaus ist mit Bus und Bahn gut erreichbar.
Als eine von zwei Projektleiterinnen hat Göggerle-Locher das Geburtshaus mit konzipiert. Dafür gab’s eine Anschubfinanzierung vom baden-württembergischen Sozialministerium in Höhe von 72 000 Euro. Hintergrund: Der Bedarf an Geburtshäusern wächst. Und vor Ort gibt es keines – die nächsten Geburtshäuser liegen in Villingen-Schwenningen, Tübingen, Stuttgart, Kempten oder St. Gallen. Das Einzugsgebiet für das Ravensburger Geburtshaus reicht laut Göggerle-Locher daher von Überlingen bis Biberach.Schubert und Göggerle-Locher wollen, dass eine Frau sich aussuchen kann, wo und wie sie entbinden möchte – zuhause, in der Klinik oder eben in einem Geburtshaus.
Mit Letzterem wollen die Ravensburger Hebammen eine neue Geburtskultur etablieren: Werdende Mütter sollen ein möglichst gesundes und natürliches Verhältnis zu ihrem Körper entwickeln, „ermächtigt werden, ihm zu vertrauen“und ein Bewusstsein dafür entwickeln, „dass sie aus eigener Kraft gebären können“. Voraussetzung dafür sei ein bekannter, geborgener Rahmen, betont Göggerle-Locher. Schubert ergänzt: „Es geht darum, Teil der Geburtserfahrung zu sein und sie nicht abzugeben.“Was nicht bedeute, dass man sich im Notfall nicht sofort auf den Weg ins Elisabethenkrankenhaus mache.
Doch die Arbeit im Geburtshaus setzt schon früher an: In Kursen, offenen Sprechstunden oder Beratungen möchte man schwangeren Frauen Unsicherheiten nehmen, Anlaufstelle und Begegnungsort sein. Immer wieder, so Göggerle-Lochers langjährige Erfahrung, haben Frauen nämlich beispielsweise Mühe mit der hormonellen Berg- und Talfahrt, der fehlenden Lust auf Sex oder die Angst, keine gute Mutter zu sein, treibt sie um. Da reiche es oft schon, ihnen zu vermitteln: „Es ist total okay, wie Du Dich grade fühlst.“Mit Angeboten wie einem Still-Café will man die Mütter über die Geburt hinaus begleiten.
„Es geht darum, Teil der Geburtserfahrung zu sein und sie nicht abzugeben.“Annika Schubert