Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bahnverband stellt sich auf den nächsten Ansturm ein
Das erste Wochenende mit dem Neun-Euro-Ticket lässt die Verbände zwiegespalten zurück
FREIBURG/MÜNCHEN (dpa) - Es wurde gedrängelt, geschoben, gestanden und lange, teils auch sehr lange ausgeharrt: Nach dem Andrang auf den Bahnhöfen am Pfingstwochenende mit Reisewelle und Neun-Euro-Ticket fordern der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und Verbände kurzfristige Nachbesserungen. Sie dämpfen aber auch die Hoffnungen genervter Urlauber. „Auf die kommenden Wochenenden und Feiertage müssen sich alle gründlich vorbereiten und falls nötig das Angebot nachjustieren“, sagte der Minister am Dienstag. Es sei aber auch klar, dass die Schieneninfrastruktur begrenzt sei. Es gebe kaum ungenutzte Züge. „Fahrpersonal, Trassen und Züge sind kurzfristig nicht wesentlich steigerbar.“
Das Neun-Euro-Ticket habe gezeigt, dass die Infrastruktur ausgebaut und weitere Fahrzeuge gekauft werden müssten, damit mehr Menschen den Nahverkehr nutzen könnten. „Beides setzt den politischen Willen und mehr Geld voraus“, sagte Hermann. „Deshalb war und ist es ein großer Fehler, dass die Bundesregierung und allen voran der Bundesverkehrsminister sich gegen eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel entschieden haben“, kritisierte er den Ressortchef im Bund, Volker Wissing.
Auch der Fahrgastverband Pro Bahn rechnet damit, dass die Bahn nach den jüngsten Erfahrungen an der einen oder anderen Stellschraube drehen wird. „Aber viel wird sie nicht machen können. So eine Aktion braucht einfach mehr Vorlauf, und die Bahn hat keine Reserven“, sagte der Landesvorsitzende des Verbands, Joachim Barth.
Viele Hauptstrecken in Baden-Württemberg seien bereits jetzt so überlastet, dass zusätzliche Züge auf den vollen Strecken nicht eingesetzt werden könnten. „Außerdem kostet das alles Geld, und es ist kein zusätzliches Personal da“, sagte Barth. „Da kann man nicht mal eben doppelt so viele Züge einsetzen, weil man es drei Monate lang braucht.“Es wäre sinnvoller gewesen, erst in die Infrastruktur zu investieren und dafür zu sorgen, dass eine Aktion wie das Neun-Euro-Ticket reibungsloser abgewickelt werden könne.
Ähnlich sieht das die Tourismusbranche. „Dass die Nachfrage nach Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket gleich am ersten Wochenende so stark war, ist grundsätzlich positiv“, sagte Jutta Ulrich von der Schwarzwald Tourismus GmbH. Es zeige aber auch, dass das Interesse an Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln hoch sei. „Es wäre wünschenswert, dass gerade an den touristisch beliebten Strecken an Feiertagwochen vermehrt Sonderzüge eingesetzt werden könnten.“
In Bayern blieb das große Chaos aus: „Es hat besser funktioniert als gedacht“, sagte Arnulf Schuchmann, Geschäftsführer bei der Bayerischen Regiobahn. Eine Sprecherin seines Unternehmens berichtete von hohem Fahrgastaufkommen, das allerdings auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit gelegen habe. Gerade Richtung Salzburg und Füssen sei die Nachfrage hoch. Man vergrößere dort die Kapazitäten soweit möglich.
Die laufende Rabattaktion im deutschen Nahverkehr setzt nach Gewerkschaftsangaben die Beschäftigten unter Druck. „Das 9-Euro-Ticket über Pfingsten hat die Mitarbeiter:innen an die Belastungsgrenze gebracht“, teilte Martin Burkert, der Vize-Vorsitzende der Eisenbahnund Verkehrsgewerkschaft am Dienstag mit. „Größte Probleme am Wochenende waren wie erwartet überfüllte Züge, die Fahrradmitnahme und die Durchsetzung der Maskenpflicht.“Viele Reisende hätten sich jedoch solidarisch mit Beschäftigten verhalten.