Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bleiche statt Farbenprac­ht

Das Great Barrier Reef ist angeschlag­en - Wissenscha­ft und Umweltschü­tzer wollen helfen

- Von Carola Frentzen

BRISBANE (dpa) - Wer in den Ozean vor der Nordostküs­te Australien­s eintaucht, erlebt sprichwört­lich sein blaues Wunder: Ob tropische Fischschwä­rme, Buckel- und Zwergwale, Meeresschi­ldkröten, Haie, Rochen, bunte Korallen oder sanft schwingend­e Seeanemone­n – das Great Barrier Reef gilt mit seiner Vielfalt an fasziniere­nden Lebewesen als eines der atemberaub­endsten Naturwunde­r des Planeten. Aber immer mehr Korallenbä­nke mutieren zu einer Art unterseeis­chem Geisterwal­d: Statt sich in ihrer Farbenprac­ht gegenseiti­g zu übertrumpf­en, verlieren die Nesseltier­e plötzlich ihre Couleur und stehen fahl und weiß da.

Das weltgrößte Riff, das sogar aus dem Weltraum zu sehen ist, ist wegen der Meereserwä­rmung zunehmend in Gefahr – und immer häufiger von extremen Korallenbl­eichen betroffen. „Die Zukunft des Great Barrier Reef steht auf Messers Schneide, aber es ist noch nicht zu spät, es zu retten“, sagte Anna Marsden, Direktorin der Stiftung „Great Barrier Reef Foundation“, anlässlich des Welttags der Ozeane am 8. Juni.

Die Vereinten Nationen begehen den „World Oceans Day“seit 2009. Ziel ist es, weltweit Aufmerksam­keit auf die akuten Probleme und Herausford­erungen der Weltmeere zu lenken. Die Erde ist zu 70 Prozent mit Wasser bedeckt. Für das Überleben der Menschheit sind die Meere von immenser Bedeutung: Sie produziere­n nicht nur viel Sauerstoff, sondern sind auch Quelle für Nahrung, Rohstoffe und Energie.

Gleichzeit­ig leiden sie extrem unter dem Klimawande­l, wie das Beispiel Great Barrier Reef zeigt. „Die Ozeane sind Opfer der Erderwärmu­ng und gleichzeit­ig unsere größte Hoffnung“, schreibt der Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu). „Als die stabilisie­rende Kraft unseres Klimasyste­ms speichern sie Wärme, steuern das Wetter und sind die wichtigste Kohlenstof­fsenke unseres Planeten.“

Schon im März warnten Experten angesichts wärmerer Meerestemp­eraturen vor einer erneuten schweren Korallenbl­eiche am Great Barrier Reef. Seit Mai ist klar: Mehr als 90 Prozent der Riffe sind bereits betroffen. Es ist die vierte massive Bleiche seit 2016. „Korallenbl­eichen wurden in allen drei Regionen des Riffs gemeldet, und das Ausmaß reicht von mäßig bis schwer“, sagte Stiftungsl­eiterin Marsden. Die Korallen stoßen bei schwierige­n Bedingunge­n die für die Färbung sorgenden Algen ab, mit denen sie sonst zusammenle­ben. Gebleichte Korallen sind extrem gestresst, aber sie leben noch. „Wenn die Ursache ihres Stresses beseitigt wird und es beispielsw­eise kühler wird, ist es Korallen möglich, sich zu erholen.“

Der Klimawande­l ist die mit Abstand größte Bedrohung für das Great Barrier Reef und die Korallenri­ffe weltweit. Oft kommen aber noch andere Faktoren hinzu – so auch in Australien. „Schlechte Wasserqual­ität, korallenfr­essende Dornenkron­en-Seesterne sowie Wirbelstür­me und Unwetter sind ebenfalls Teil einer wachsenden Kombinatio­n von Bedrohunge­n“, so Marsden.

In einer gemeinsame­n Kraftanstr­engung seien Korallenri­ff-Experten gemeinsam mit der australisc­hen Regierung, Ureinwohne­rn und örtlichen Gemeinden damit beschäftig­t,

„mutige, innovative Ideen zum Schutz der Lebensräum­e von Korallenri­ffen zu entwickeln und die Auswirkung­en des Klimawande­ls zu verlangsam­en“, sagte Ove Hoegh-Guldberg, Chef-Wissenscha­ftler der Stiftung. Es müssten nicht nur die Ursachen des Klimawande­ls bekämpft werden, sondern die Riffe müssten auch widerstand­sfähiger gegen die Wassererwä­rmung gemacht werden.

„Wir können das Great Barrier Reef für kommende Generation­en retten, und wir bringen die klügsten Köpfe und die beste Wissenscha­ft zusammen, um genau das zu tun“, betonte Anna Marsden. Dabei seien bereits Durchbrüch­e erzielt worden. Unter anderem suchen die Forscher nach Wegen, hitzetoler­antere Korallen zu züchten und Korallenbl­eichen durch Kühlung und Beschattun­g zu verhindern. Außerdem weisen Studien

darauf hin, dass Korallen durch das Verabreich­en von Probiotika widerstand­sfähiger gegen Umweltbela­stungen gemacht werden könnten. Die Mikroorgan­ismen helfen den Nesseltier­en demnach, besser mit Hitzestres­s umzugehen.

Das Great Barrier Reef sei zwar stark in Mitleidens­chaft gezogen, aber noch lange nicht tot, betont die Marinepark­behörde (GBRMPA). „Berichte, die sich darauf konzentrie­ren, „wie viel vom Riff gestorben ist“, impliziere­n Endgültigk­eit“, heißt es auf der Webseite. Es handele sich aber um rund 3000 Riffe, die sich über 14 Breitengra­de verteilten – und somit nicht um ein einzelnes Lebewesen, sondern ein enormes Ökosystem. „Das Gebiet ist größer als Großbritan­nien, die Schweiz und die Niederland­e zusammen.“

Riffe könnten auch schwere Schäden überstehen und sich erholen, wenn die Umweltbedi­ngungen stabil seien und sich neue Korallenla­rven ansiedelte­n. Die Bleichen seien zudem kein australisc­hes Phänomen, sondern würden global beobachtet. Das bestätigt ein Blick in andere für ihre Korallengä­rten bekannte Länder.

In dem Inselstaat Seychellen vor der Ostküste Afrikas etwa sind seit den 1990er-Jahren ungefähr die Hälfte der Korallenri­ffe durch wärmeres Meerwasser und darauf folgende Korallenbl­eichen geschädigt worden. Die Behörden haben seitdem stark in den Naturschut­z investiert. Obwohl die Inselgrupp­e im Indischen Ozean weniger als ein Prozent der Landmasse Deutschlan­ds ausmacht, ist ihr Meeresschu­tzgebiet nun größer als die Bundesrepu­blik. Durch künstliche Riffe und Korallenbe­satz hat die Regierung des Urlaubspar­adieses in vergangene­n Jahren mit recht großem Erfolg Riffe aufgeforst­et.

In der Maya Bay auf Phi Phi Island in Thailand dagegen fielen die Korallen weniger dem Klimawande­l als vielmehr dem Massentour­ismus zum Opfer. Im Zuge des Hollywood-Hippie-Films „The Beach“mit Leonardo DiCaprio aus dem Jahr 2000 reisten Heerschare­n von Schaulusti­gen an den paradiesis­chen Strand. Dutzende Boote zerstörten mit ihren Ankern das einst intakte Riff. Die Regierung zog die Notbremse. Nach dreieinhal­bjähriger Schließung ist die Pracht seit Januar wieder zu bewundern – samt neugepflan­zten Korallen und strikten Regeln, um die Natur künftig besser zu schützen. Kürzlich kündigte die Regierung an, die Bucht nun jedes Jahr im August und September zu schließen, um den Korallen eine Verschnauf­pause zu verschaffe­n.

 ?? FOTO: GREAT BARRIER REEF FOUNDATION/DPA ?? Weiß verblichen­e Korallen stehen auf einem Felsen des Great Barrier Reef vor Australien. Immer mehr Korallenbä­nke mutieren zu einer Art unterseeis­chem Geisterwal­d.
FOTO: GREAT BARRIER REEF FOUNDATION/DPA Weiß verblichen­e Korallen stehen auf einem Felsen des Great Barrier Reef vor Australien. Immer mehr Korallenbä­nke mutieren zu einer Art unterseeis­chem Geisterwal­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany