Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Experten für Einheitlichkeit
Koalitionsstreit über Vorschläge des Corona-Expertenrats
BERLIN (dpa) - Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung empfiehlt eine Rechtsbasis für schnelle Reaktionen auf mögliche steigende Infektionszahlen in Herbst und Winter. Die Experten erwarten eine erneut erhebliche Belastung des Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur. Unter anderem fordert das Gremium ein Ende des Flickenteppichs: Gefordert wird Einheitlichkeit – nämlich eine zentrale Koordination der Pandemiemaßnahmen zwischen Bund und Ländern und eine bundesweit möglichst einheitliche und schnelle Kommunikation aller bestehenden Regelungen und Empfehlungen.
In der Ampel-Koalition zeichnen sich derweil bereits jetzt erneut deutliche Differenzen über den künftigen Corona-Kurs ab.
BERLIN - Kommt Corona zurück? Der Expertenrat der Bundesregierung sieht für den Herbst drei Szenarien. Und er gibt auch Antworten darauf, wie das Leben in diesen Fällen weitergehen soll.
Welche Szenarien sind im Herbst und Winter zu erwarten? „Niemand weiß, was im Herbst/ Winter passieren wird“, sagte der Ratsvorsitzende Heyo Kroemer am Mittwoch in Berlin. Es gehe jetzt nicht darum, Panik zu schüren, sondern vorbereitet zu sein. „Die zu erwartende Krankheitslast wird zentral davon abhängen, welche SarsCov-2-Virusvarianten im Winterhalbjahr dominieren werden“, heißt es in der Stellungnahme des Expertenrates zur Corona-Vorbereitung auf die kalte Jahreszeit.
Szenario 1: Eine neue, noch mildere Virusvariante breitet sich aus. Sie ist allerdings noch ansteckender als die derzeit vorherrschende Omikron-Mutation, sonst könnte sie diese nicht verdrängen. Allerdings stellt sie für Immunisierte kaum noch eine Gefahr dar. In diesem Fall wären härtere Infektionsschutzmaßnahmen maximal noch für Risikopersonen notwendig. Jedoch nimmt die Zahl der Infizierten zu. Vor allem Kinder sowie Eltern von Kita- und Grundschulkindern würden häufiger krank werden. Darauf müsste sich das Gesundheitssystem einstellen.
Szenario 2: Die Schwere und die Verbreitung der Virusvarianten bleiben ähnlich wie bei Omikron. Infektionen und Arbeitsausfälle in der berufstätigen Bevölkerung treten gehäuft auf. „Im Gegensatz zur normalen saisonalen Influenza beträgt die Dauer der Winterwelle nicht zwei bis drei Monate, sondern erstreckt sich in Wellen über einen längeren Zeitraum“, beschreiben die Experten in der Stellungnahme diese Variante. Dann könnten „erneut flächendeckende Maßnahmen des Übertragungsschutzes“notwendig werden, etwa Masken und Abstand in Innenräumen sowie Obergrenzen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen.
Szenario 3: Eine leichter übertragbare und gefährlichere Virusvariante setzt sich gegen Omikron durch. Auch vollständig Geimpfte ohne Zusatzschutz wären dann gefährdet, vor allem Ältere, Schwangere, Menschen mit Vorerkrankungen oder Patienten, die immununterdrückende Medikamente einnehmen. Die Intensivstationen würden wieder stark belastet. Die Forscher warnen vor einer „langsamen Reaktionszeit bei der Nachimpfung“. Diese würde erneute Kontaktbeschränkungen notwendig machen. Regionale Überlastungen des Gesundheitssystems seien nicht ausgeschlossen. Dann müsste das sogenannte Kleeblatt-Konzept wieder aktiviert werden, nach dem Patienten in früheren Pandemie-Phasen in weniger frequentierte Krankenhäuser verlegt wurden. Auch die Impfgen, zentren müssten wieder öffnen und könnten bis Anfang 2023 einen Großteil der Bevölkerung nachimpfen. Erst im kommenden Frühjahr könnten dann allerdings Maskenpflicht und Abstandsgebot wieder zurückgefahren werden.
Was tun, wenn Corona für die Bevölkerung kein Thema mehr ist? Die Omikron-Variante werde als weniger gefährlich wahrgenommen, schreiben die Experten. Daher nehme momentan die Bereitschaft für das freiwillige Tragen von Masken ab. Falls im Herbst und Winter wieder Einschränkungen anstünden, komme es daher darauf an, der Bevölkerung die Planungen offenzulefrühzeitig zu handeln – nach den Erfahrungen der vergangenen Wellen „insbesondere im Bildungssektor sowie im sozialen und kulturellen Bereich und in der Wirtschaft“. Zudem müsse jederzeit die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gewährleistet werden, vor allem im Gesundheitswesen und der sogenannten kritischen Infrastruktur, also die Versorgung mit Energie, Wasser, Nahrung oder auch Telekommunikation.
Wird es wieder harte Maßnahmen geben?
Da werden die Experten deutlich. Die Grundlage dafür wollen sie nämlich erhalten. Es sei zunächst wichtig, „auslaufende spezifische Verordnungen, die im Rahmen der Pandemie entstanden sind“, systematisch zu prüfen und zugunsten einer schnellen Reaktionsfähigkeit auf eine „solide rechtliche Grundlage“zu stellen. Mit anderen Worten: Die im September auslaufenden speziellen Regelungen im Infektionsschutzgesetz müssten nach ihrer Meinung verlängert werden. Sie bilden die Grundlage für die Verhängung von Maßnahmen. Falls es neue Regeln gäbe, sollten diese „möglichst einfach, aber verbindlich“gestaltet werden. Zudem sei eine bessere zentrale Koordination zwischen Bund und Ländern notwendig als in den vorherigen Wellen, unterstrich Heyo Kroemer.
Gleichzeitig müsse die Datenanalyse verbessert werden. Zahlen und Fakten müssten als digitales Echtzeit-Lagebild verfügbar sein. In der Vergangenheit hatte das Chaos der Zahlen und gemeldeten Fälle immer wieder für Verstimmung gesorgt.
Was bedeutet das für die Schulen?
Hier fordern die Experten, künftig „Sekundärfolgen zu verhindern“. Eine Schließung von Schulen wird nicht erwähnt. Es sei notwendig, eine grundsätzliche Strategie für Unterricht, Organisation und Betreuung in Schulen und Kitas unter Pandemiebedingungen vorzulegen. Auch die Digitalisierung sowie innovative Unterrichtsformen müssten vorangetrieben werden. Tests sollten zunächst auf Kinder mit Symptomen beschränkt sein. Das Tragen medizinischer Masken müsse bei gehäuften Krankheitsfällen oder einer schneller übertragbaren Variante erwogen werden.
Dazu empfiehlt der Rat eine verpflichtende Kohlendioxid-Messung in Klassenräumen, um den optimalen Zeitpunkt für das Lüften zu ermitteln.