Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Frage nach Trumps Rolle
Ermittlungskommission zum Kapitol-Sturm stellt Ergebnisse vor – Republikaner sperren sich gegen Aufarbeitung
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WASHINGTON - James Goldston versteht sich darauf, investigative Recherchen zu dramatisieren. Der frühere Präsident von ABC-News entwickelte unter anderen das aktuelle Format für das „Nightline“-Magazin, das seit den 80er-Jahren Millionen Zuschauer mit seinen Inhalten fesselte. Goldston soll nun die Vorstellung der Ermittlungsergebnisse zum gescheiterten Versuch, den friedlichen Übergang der Macht in den USA gewaltsam zu stoppen, zu Pflichtfernsehen verwandeln.
An diesem Donnerstagabend führt Goldston Regie, wenn alle großen TV-Sender bis auf Donald Trumps Haussender Fox die erste von insgesamt sechs Anhörungen des Untersuchungskomitees zum 6. Januar 2021 zur besten Sendezeit (20 Uhr EST/2 Uhr MEZ) live übertragen. Es ist nach Ansicht von Analysten die letzte Chance vor den Zwischenwahlen im November, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Angriff auf die Demokratie in Amerika zu lenken.
Unabhängig davon, ob die Arbeit der sieben Demokraten und zwei Republikaner in dem Komitee in der Empfehlung einer Strafverfolgung Donald Trumps mündet, sei es für das Komitee wichtig, so Norm Eisen von der Brookings Institution, „die Öffentlichkeit zu informieren“. Damit sich diese nicht in den Einzelheiten der Erkenntnisse aus den rund 1000 Interviews und der Auswertung von mehr als 140 000 Dokumenten verliert, versucht TV-Profi Goldston, die Höhepunkte in ein verständliches Narrativ zu verwandeln.
„Diese Anhörungen werden eine Geschichte erzählen, die explosiv ist“, verspricht der gelernte Staatsrechtler Jamie Raskin, der dem Komitee für die Demokraten angehört. Eine Einschätzung, die Liz Cheney teilt, die zusammen mit Adam Kinzinger als einzige Republikaner im Repräsentantenhaus an dem Untersuchungsausschuss beteiligt waren. „Die Menschen müssen sehen und verstehen, wie einfach sich unser demokratisches System auflösen kann, wenn wir es nicht verteidigen.“
In der Eröffnungsnacht an diesem Donnerstag präsentiert das Komitee eine Mischung aus Zeugenaussagen, vorproduzierten Videos, Ausschnitten
aus den Interviews, bisher unveröffentlichte Bilder und eine Storyline, die Cheney und der Vorsitzende des Komitees, Bennie Thompson, gemeinsam mit einem Überblick der Ereignisse einleiten wollen.
Eisen und andere Insider vergleichen die Präsentation mit den Watergate-Anhörungen, die das Ende Richard Nixons besiegelt hatten. Während dieser noch im Amt war, ist die Zielscheibe diesmal ein abgewählter Präsident, der seine Niederlage bestreitet und ein politisches Comeback plant. Trumps Rolle bei den Ereignissen, die zum Sturm auf den Kongress führten, wird deshalb direkt oder indirekt im Zentrum der Anhörungen stehen.
Mit Spannung erwartet werden die Aussagen des britischen Dokumentarfilmers Nick Quested, der die rechtsextremen Proud Boys mit deren Einverständnis vor und während des 6. Januar begleitet hatte. Dessen Führer Enrique Tarrio war Anfang der Woche zusammen mit vier anderen Proud Boys wegen „verschwörerischer Aufruhr“angeklagt worden. Questeds Aufnahmen geben detaillierten Einblick, wie die 2500 aufgewiegelten Trump-Anhänger von Protest auf Gewalt umschalteten, in den Kongress eindrangen und dort versuchten, die Zertifizierung des Wahlsiegs Joe Bidens zu unterbinden.
Aussagen wird am Donnerstag wohl auch Caroline Edwards, die als erste Polizistin von den Aufständischen angegriffen und verletzt wurde. Unklar blieb, wann Cassidy Hutchinson auftreten wird, die nach Einschätzung Eisens eine Kronzeugin gegen Trump werden könnte. „Sie sieht wie der nächste John Dean aus“, meint Eisen unter Hinweis auf den früheren Nixon-Berater, der sich während der Watergate-Ermittlungen gegen den Präsidenten stellte.
Hutchison hatte als rechte Hand des Stabschefs im Weißen Haus, Mark Meadows, detaillierten Einblick in das Geschehen hinter den
Kulissen. Sie kooperierte mit dem Komitee und sagte über 20 Stunden lang aus. Von ihr stammen laut „Washington Post“die Informationen, dass Trump gegenüber Meadows Sympathie für die Aufständischen zeigte, die seinen Vizepräsidenten Mike Pence hängen wollten. Pence hatte sich geweigert, seine zeremonielle Rolle bei der Auszählung der Wahlleutestimmen für etwas anderes zu missbrauchen.
Erhellend dürften in diesem Kontext auch die Aussagen der drei Vertrauten und Berater des Vizepräsidenten werden, die Einblick in die Druckkampagne auf Pence geben. Ob Michael Luttig, Marc Short und Greg Jacob bereits in der Eröffnungsnacht befragt werden, stand noch nicht fest.
Als weiteres Highlight der Anhörungen kündigen sich Auszüge aus den Videomitschnitten der Aussagen von Trumps Tochter Ivanka und dessen Schwiegersohn Jared Kushner an. Diese hatten erfolglos versucht, den Ex-Präsidenten zu einer Intervention bei seinen Anhängern zu bewegen.
Die fehlende Kooperation der Republikaner erweist sich als größtes Manko des Untersuchungskomitees zum 6. Januar 2021. Deren Führer im Senat und Repräsentantenhaus hatten die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission nach dem Vorbild der „11. September“-Kommission verweigert. Die Bundespartei der Republikaner maßregelte Cheney und Kinzinger für ihre Mitarbeit an dem Untersuchungskomitee des Repräsentantenhauses, und viele Zeugen aus dem engsten Führungskreis Trumps verweigerten die Aussage.
Vor diesem Hintergrund ist es für das Komitee umso wichtiger, die Nation mit einem griffigen Narrativ zu fesseln. Die rechtliche Bewertung liegt dann in den Händen von Justizminister Merrick Garland, der über eine Strafverfolgung der Drahtzieher des 6. Januar entscheiden muss.