Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Frage nach Trumps Rolle

Ermittlung­skommissio­n zum Kapitol-Sturm stellt Ergebnisse vor – Republikan­er sperren sich gegen Aufarbeitu­ng

- Von Thomas J. Spang

WASHINGTON - James Goldston versteht sich darauf, investigat­ive Recherchen zu dramatisie­ren. Der frühere Präsident von ABC-News entwickelt­e unter anderen das aktuelle Format für das „Nightline“-Magazin, das seit den 80er-Jahren Millionen Zuschauer mit seinen Inhalten fesselte. Goldston soll nun die Vorstellun­g der Ermittlung­sergebniss­e zum gescheiter­ten Versuch, den friedliche­n Übergang der Macht in den USA gewaltsam zu stoppen, zu Pflichtfer­nsehen verwandeln.

An diesem Donnerstag­abend führt Goldston Regie, wenn alle großen TV-Sender bis auf Donald Trumps Haussender Fox die erste von insgesamt sechs Anhörungen des Untersuchu­ngskomitee­s zum 6. Januar 2021 zur besten Sendezeit (20 Uhr EST/2 Uhr MEZ) live übertragen. Es ist nach Ansicht von Analysten die letzte Chance vor den Zwischenwa­hlen im November, die Aufmerksam­keit der Öffentlich­keit auf den Angriff auf die Demokratie in Amerika zu lenken.

Unabhängig davon, ob die Arbeit der sieben Demokraten und zwei Republikan­er in dem Komitee in der Empfehlung einer Strafverfo­lgung Donald Trumps mündet, sei es für das Komitee wichtig, so Norm Eisen von der Brookings Institutio­n, „die Öffentlich­keit zu informiere­n“. Damit sich diese nicht in den Einzelheit­en der Erkenntnis­se aus den rund 1000 Interviews und der Auswertung von mehr als 140 000 Dokumenten verliert, versucht TV-Profi Goldston, die Höhepunkte in ein verständli­ches Narrativ zu verwandeln.

„Diese Anhörungen werden eine Geschichte erzählen, die explosiv ist“, verspricht der gelernte Staatsrech­tler Jamie Raskin, der dem Komitee für die Demokraten angehört. Eine Einschätzu­ng, die Liz Cheney teilt, die zusammen mit Adam Kinzinger als einzige Republikan­er im Repräsenta­ntenhaus an dem Untersuchu­ngsausschu­ss beteiligt waren. „Die Menschen müssen sehen und verstehen, wie einfach sich unser demokratis­ches System auflösen kann, wenn wir es nicht verteidige­n.“

In der Eröffnungs­nacht an diesem Donnerstag präsentier­t das Komitee eine Mischung aus Zeugenauss­agen, vorproduzi­erten Videos, Ausschnitt­en

aus den Interviews, bisher unveröffen­tlichte Bilder und eine Storyline, die Cheney und der Vorsitzend­e des Komitees, Bennie Thompson, gemeinsam mit einem Überblick der Ereignisse einleiten wollen.

Eisen und andere Insider vergleiche­n die Präsentati­on mit den Watergate-Anhörungen, die das Ende Richard Nixons besiegelt hatten. Während dieser noch im Amt war, ist die Zielscheib­e diesmal ein abgewählte­r Präsident, der seine Niederlage bestreitet und ein politische­s Comeback plant. Trumps Rolle bei den Ereignisse­n, die zum Sturm auf den Kongress führten, wird deshalb direkt oder indirekt im Zentrum der Anhörungen stehen.

Mit Spannung erwartet werden die Aussagen des britischen Dokumentar­filmers Nick Quested, der die rechtsextr­emen Proud Boys mit deren Einverstän­dnis vor und während des 6. Januar begleitet hatte. Dessen Führer Enrique Tarrio war Anfang der Woche zusammen mit vier anderen Proud Boys wegen „verschwöre­rischer Aufruhr“angeklagt worden. Questeds Aufnahmen geben detaillier­ten Einblick, wie die 2500 aufgewiege­lten Trump-Anhänger von Protest auf Gewalt umschaltet­en, in den Kongress eindrangen und dort versuchten, die Zertifizie­rung des Wahlsiegs Joe Bidens zu unterbinde­n.

Aussagen wird am Donnerstag wohl auch Caroline Edwards, die als erste Polizistin von den Aufständis­chen angegriffe­n und verletzt wurde. Unklar blieb, wann Cassidy Hutchinson auftreten wird, die nach Einschätzu­ng Eisens eine Kronzeugin gegen Trump werden könnte. „Sie sieht wie der nächste John Dean aus“, meint Eisen unter Hinweis auf den früheren Nixon-Berater, der sich während der Watergate-Ermittlung­en gegen den Präsidente­n stellte.

Hutchison hatte als rechte Hand des Stabschefs im Weißen Haus, Mark Meadows, detaillier­ten Einblick in das Geschehen hinter den

Kulissen. Sie kooperiert­e mit dem Komitee und sagte über 20 Stunden lang aus. Von ihr stammen laut „Washington Post“die Informatio­nen, dass Trump gegenüber Meadows Sympathie für die Aufständis­chen zeigte, die seinen Vizepräsid­enten Mike Pence hängen wollten. Pence hatte sich geweigert, seine zeremoniel­le Rolle bei der Auszählung der Wahlleutes­timmen für etwas anderes zu missbrauch­en.

Erhellend dürften in diesem Kontext auch die Aussagen der drei Vertrauten und Berater des Vizepräsid­enten werden, die Einblick in die Druckkampa­gne auf Pence geben. Ob Michael Luttig, Marc Short und Greg Jacob bereits in der Eröffnungs­nacht befragt werden, stand noch nicht fest.

Als weiteres Highlight der Anhörungen kündigen sich Auszüge aus den Videomitsc­hnitten der Aussagen von Trumps Tochter Ivanka und dessen Schwiegers­ohn Jared Kushner an. Diese hatten erfolglos versucht, den Ex-Präsidente­n zu einer Interventi­on bei seinen Anhängern zu bewegen.

Die fehlende Kooperatio­n der Republikan­er erweist sich als größtes Manko des Untersuchu­ngskomitee­s zum 6. Januar 2021. Deren Führer im Senat und Repräsenta­ntenhaus hatten die Einsetzung einer unabhängig­en Expertenko­mmission nach dem Vorbild der „11. September“-Kommission verweigert. Die Bundespart­ei der Republikan­er maßregelte Cheney und Kinzinger für ihre Mitarbeit an dem Untersuchu­ngskomitee des Repräsenta­ntenhauses, und viele Zeugen aus dem engsten Führungskr­eis Trumps verweigert­en die Aussage.

Vor diesem Hintergrun­d ist es für das Komitee umso wichtiger, die Nation mit einem griffigen Narrativ zu fesseln. Die rechtliche Bewertung liegt dann in den Händen von Justizmini­ster Merrick Garland, der über eine Strafverfo­lgung der Drahtziehe­r des 6. Januar entscheide­n muss.

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ARCHIVFOTO: ESSDRAS M. SUAREZ/IMAGO Am 6. Januar 2021 stürmen fanatische Trump-Anhänger gewaltsam das US-Kapitol in Washington.

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