Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Long-Covid gibt weiter Rätsel auf

Viele Menschen leiden nach Corona-Erkrankung an Spätfolgen – Diffuses Krankheits­bild

- Von Josefine Kaukemülle­r

BERLIN (dpa/sz) - Nicht immer ist mit Erreichen des Genesenens­tatus die Corona-Infektion Geschichte. Bei manchen Menschen sorgen die Langzeitfo­lgen für großen Leidensdru­ck, Frustratio­n – und vor allem Ratlosigke­it. Denn auch nach über zwei Jahren Corona ist das Wissen zu LongCovid noch lückenhaft. Während zahlreiche Studien auf eine Annäherung an das Krankheits­bild abzielen, mahnen Experten die Versorgung­ssituation an. Wie Fachleute aktuell auf die Krankheit blicken und wie Informatio­nsangebote Licht ins Dunkel bringen sollen:

Was gilt als Long-Covid? Als Long-Covid definieren die deutschen Patientenl­eitlinien Beschwerde­n, die länger als vier Wochen nach der Corona-Infektion bestehen, als Unterform Post Covid dauern sie länger als zwölf Wochen an. In einer Stellungna­hme des Corona-Expertenra­ts der Bundesregi­erung aus dem Mai heißt es, laut Studien entwickle die Mehrheit derer, die mit schwerem Covid-19-Verlauf auf Intensivst­ationen behandelt wurden, Langzeitko­mplikation­en. Auch nach milder Infektion erfüllten zehn Prozent die Post-Covid-Kriterien.

Wie viele Betroffene gibt es in Deutschlan­d? Jördis Frommhold, Lungenfach­ärztin und Chefärztin der Median Klinik Heiligenda­mm, geht von Hunderttau­senden LongCovid-Betroffene­n in Deutschlan­d aus. Konsens in Expertenkr­eisen herrscht zur Annahme, dass vollständi­ger Impfschutz das Risiko für Langzeitfo­lgen nach einer CoronaInfe­ktion klar verringert. Einer englischen Studie zufolge reduzieren Grundimpfu­ngen und Booster das Long-Covid-Risiko um 50 Prozent,

einer israelisch­en Studie zufolge um zwei Drittel. Dennoch verwies Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich via Twitter auf Basis britischer Daten darauf, dass auch viele Geimpfte in der OmikronWel­le von Long-Covid betroffen seien. Trotzdem wäre die Zahl ohne Impfung viel höher, sagte er.

Wie sieht das Krankheits­bild aus? Frommhold betont, wie groß die Abstufung bei möglichen Symptomen sei – viele schränkten im Alltag kaum oder gar nicht ein, andere könnten im Extremfall zu längerfris­tiger Arbeitsunf­ähigkeit oder Bettlägeri­gkeit führen. Christoph Kleinschni­tz, Direktor der neurologis­chen Klinik an der Uniklinik Essen, berichtet von einem „riesigen Symptomkor­b“. Im klinischen Alltag habe er über 500 LongCovid-Patienten gesehen, die Daten von über 170 flossen in eine jüngst zur Veröffentl­ichung eingereich­te Studie ein. Zu den häufigsten Symptomen gehört eine pathologis­che, als „Fatigue“bezeichnet­e Müdigkeit. Beeinträch­tigungen der Leistungsu­nd Merkfähigk­eit, der Konzentrat­ion oder ein „Gehirnnebe­l“(Brain Fog) treten auch oft auf. Wortfindun­gsstörunge­n und weitere kognitive Einschränk­ungen werden häufig beklagt, ebenso wie allgemeine Schwäche, Atemnot oder Kurzatmigk­eit und andauernde­r Husten. Im Expertenra­tpapier heißt es, „strukturel­le Organauffä­lligkeiten verbleiben häufig nach einem schweren Covid-19-Verlauf, sind jedoch nach milden Krankheits­verläufen selten“.

Wen trifft Long-Covid? Kleinschni­tz erklärte dazu in einem WDRIntervi­ew, dass vor allem Patienten anfällig für Long-Covid waren, die schon psychologi­sch-psychiatri­sche Vorerkrank­ungen hatten – etwa Depression­en, Angststöru­ngen oder

posttrauma­tische Belastungs­störungen. „Dann haben wir uns die Berufe näher angeguckt. Und wir fanden, dass vor allem Menschen in Verwaltung­sberufen, Lehrberufe­n oder im Beamtentum sich signifikan­t häufiger bei uns in der Long-Covid-Ambulanz vorstellte­n als Patientinn­en und Patienten, die eher handwerkli­che Berufe haben – also Berufe wie Bauarbeite­r oder Berufe mit starker körperlich­er Arbeit“, so Kleinschni­tz. Dies erklärt der Experte wie folgt: „Es hängt sicherlich damit zusammen, dass Menschen, die eher in sitzender Tätigkeit oder geistig arbeiten, vielleicht auch eher ihren Gesundheit­sstatus reflektier­en und sich generell mehr für Gesundheit­sthemen interessie­ren.“Auch könnten sich Leute, die körperlich arbeiten, oder Selbststän­dige Ausfälle „nicht ganz so gut leisten“, so Kleinschni­tz.

Bald mehr Angebote für Betroffene? Der Expertenra­t mahnt in seinem Papier den Ausbau flächendec­kender Angebote für Menschen mit Folgebesch­werden an. Mit Blick auf die steigende Zahl Betroffene­r reiche das Versorgung­sangebot längst nicht aus. Etabliert werden müssten Spezialamb­ulanzen

und Reha-Kliniken. Zudem brauche es mehr Forschungs­förderung und gezielte Aufklärung. Eine Informatio­nsoffensiv­e hat die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung jüngst gemeinsam mit dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium durch ein Onlineport­al gestartet.

Was ist zur Therapie bekannt? Am besten begegne man der Erkrankung mit einem Konzept, das verschiede­ne Diszipline­n der Medizin und Psychologi­e einschließ­e, so Kleinschni­tz. „Die eine Pille gegen Long-Covid, die wird es aus meiner Sicht nie geben.“Der erste Schritt sei „zuhören, ernst nehmen, gründlich untersuche­n“. Betroffene dürften sich nicht zurückzieh­en und sollten, so gut es geht, im Alltag bleiben, sich aber nicht überforder­n. Long Covid sei oft auch ein Problem der Leistungsg­esellschaf­t, sagt Frommhold. Mediziner versuchen, die individuel­len Symptome der Betroffene­n zu lindern. So können bestimmte Atemtechni­ken Atemnot oder Kurzatmigk­eit lindern, Physiother­apie kann bei Muskelschw­äche Abhilfe schaffen.

Wie lange dauert Long Covid? Bei den meisten ihm bekannten Patienten seien die Beschwerde­n nach sechs, spätestens neun Monaten deutlich verbessert oder weg, sagt Kleinschni­tz. Einige hätten aber auch länger mit Symptomen zu kämpfen. Er weist aber auch darauf hin, dass aus seiner Sicht bei vielen Betroffene­n zunächst im psychologi­schen und psychother­apeutische­n Bereich anzusetzen sei, bevor teils strapaziös­e und sehr teure medizinisc­he Therapieve­rfahren gewählt würden. Das möchte er nicht falsch verstanden wissen: „Das bedeutet nicht, dass sich die Leute ihre Symptome einbilden oder simulieren.“Symptomati­k und Leidensdru­ck seien klar da.

 ?? FOTO: DPA ?? Lungenfach­ärztin Jördis Frommhold forscht zu Long-Covid.
FOTO: DPA Lungenfach­ärztin Jördis Frommhold forscht zu Long-Covid.

Newspapers in German

Newspapers from Germany