Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Der Hass nimmt insgesamt zu“

Religionsw­issenschaf­tler Michael Blume macht sich große Sorgen um Christen vor allem in Afrika und Asien

- Von Katja Korf

RAVENSBURG - Ob Pakistan, China oder Nigeria: in vielen Ländern der Welt werden Christen wegen ihres Glaubens verfolgt. Michael Blume, Religionsw­issenschaf­tler und Antisemiti­smus-Beauftragt­er des Landes Baden-Württember­g, über neue Freund-Feind-Schemata, weltweiten Hass und Grenzen der Religionsf­reiheit.

Herr Blume, in Nigeria haben am Wochenende offenbar Islamisten bis zu 100 Christen umgebracht. Nimmt der Hass auf Christen weltweit zu?

Der Hass insgesamt nimmt zu, das Einteilen von Menschen in Feind und Freund. Dieser Dualismus breitet sich aus in der Welt. Als größte Religionsg­emeinschaf­t sind davon Christinne­n und Christen auch betroffen. Ich mache mir um die Christenhe­it in Afrika und dem eurasische­n Gürtel bis China große Sorgen. In viele Ländern dort führen die Auswirkung­en des Klimawande­ls zu Konflikten, in denen nun mit Freund-Feind-Bildern argumentie­rt wird. Die Digitalisi­erung tut ihr übriges, weil im Netz Debatten oft auf dualistisc­he Schemata verkürzt werden.

Auch in Ulm kam es zu einem versuchten Messerangr­iff auf eine christlich­e Pfarrerin. Hängen solch Attacken bei uns auch mit diesen globalen Phänomenen zusammen?

Die meisten Verschwöru­ngsgläubig­en fantasiere­n, das Judentum sei Schuld an allem Übel und kontrollie­re unsere Gesellscha­ften. Aber es gibt durchaus auch Verschwöru­ngsmythen, in denen die Christen in den reichen Ländern der Nordhalbku­gel für Probleme anderswo verantwort­lich gemacht werden. Leider nimmt dieses Freund-Feind-Denken zu, und je nach Ideologie sind Juden, Muslime,Christen oder zum Beispiel Sinti und Roma angeblich die Bösen. Das war ja im Übrigen leider auch bei dem Anschlag auf die Ulmer Synagoge vor einem Jahr der Fall, den mutmaßlich ein türkischer Muslim begangen hat.

Organisati­onen wie etwa der Verein Open Doors bemängeln, Christenve­rfolgung bekomme öffentlich zu wenig Aufmerksam­keit. Stimmt das?

Ich denke generell, dass wir Religionsf­reiheit zu gering achten. Die Verfolgung religiöser Minderheit­en wird weltweit oft unterschät­zt – etwa, wenn wir schauen, was mit den Uiguren in China passiert.

Wie sieht denn für Sie ein angemessen­er Umgang mit Religionsf­reiheit aus? Heißt das, wir müssen alles tolerieren?

Mitnichten. Religionsf­reiheit muss auch eingeschrä­nkt werden, und zwar in gleicher Weise für alle Religionen. Wir können zum Beispiel nicht die Gotteshäus­er der einen Religion staatlich fördern und anderen Gläubigen den Bau ganz verbieten. Am Status der Religionsf­reiheit in einem Land sehen wir, wie es um die Demokratie bestellt ist.

Wie sehen Sie Deutschlan­d da – müssen wir jetzt den Bau von Moscheen gleich behandeln wie den christlich­er Kirchen?

Wir sind hier in Deutschlan­d schon auf einem sehr guten Weg. Mittlerwei­le bekommen zum Beispiel auch Alewiten Religionsu­nterricht bei uns. Wir müssen aber hier die Chancen des Dialogs zwischen den Religionen noch besser nutzen. Wenn das bei uns nicht funktionie­rt, in einer stabilen Demokratie, können wie es von Gesellscha­ften wie etwa der nigerianis­chen nicht erwarten.

Aber gibt es nicht schon sehr viel Dialog?

Es gibt einen Dialog von Expertinne­n und Experten. Und vieles hat sich auch schon verändert: Ich bin mit meiner Frau, einer Muslimin, seit 25 Jahren verheirate­t. Damals war das eine Sensation, heute gilt es fast schon als normal. Aber ich würde mir auch von den Medien wünschen, dass sie religiöse Minderheit­en nicht nur in den Extremen darstellen. Die allermeist­en Musliminne­n und Muslime in Deutschlan­d sind keine Islamisten.

Gleichzeit­ig hat Dialog gerade mit muslimisch­en Glaubensge­meinschaft­en auch Grenzen, in BadenWürtt­emberg zum Beispiel sieht man das bei der Frage des islamische­n Religionsu­nterrichts. Der große Verband Ditib verweigert sich einer Kooperatio­n mit dem Land.

Der Islam hat da ein großes Problem, die muslimisch­en Gemeinscha­ften sind sehr schwach organisier­t. Nur ein kleiner Teil der Gläubigen ist in Moscheegem­einden organisier­t, durch diese Schwäche entstehen Abhängigke­iten

etwa vom türkischen Staat wie im Fall von Ditib. Dadurch hat die Mitte der islamische­n Glaubensge­meinschaft in Deutschlan­d keine starke Stimme.

Wie müssen Kirche und Gesellscha­ft mit christlich motivierte­m Fundamenta­lismus umgehen – etwa mit Gläubigen, die die Evolutions­theorie bestreiten?

Ich warne davor, dass wir uns an dem so genannten „Hufeisen“orientiere­n. Diese Theorie besagt, Dualismus gebe es nur an den äußerten Rändern von Religionen oder Weltanscha­uungen. Mit Dualismus meine ich ein Denken, dass nur noch in Freunde und Feinde einteilt. Wir sehen doch in den USA, dass dieser Riss durch die Mitte der Kirchen geht, wenn es etwa um Abtreibung­en oder Waffenbesi­tz geht. Der russische Patriarch Kyrill feindet sogar eigene Glaubensbr­üder an.

Man hat aktuell den Eindruck, dass gesellscha­ftliche Debatten insgesamt anhand solcher FreundFein­d-Linien geführt werden, und dann auch noch mit einer moralische­n Überlegenh­eit versehen sind. Nach dem Motto „Wer Fleisch isst, ist kein guter Mensch“. Das kann ich voll bestätigen. Ich bin Vegetarier. Manche veganen Menschen halten mir vor, das sei nicht gut genug. Dieses Gut-Böse-Denken verbreitet sich in der digitalen Welt besonders schnell, die Menschen beziehen ihre Informatio­nen nur noch aus ihren Blasen.

Und sie erleben keine persönlich­en Begegnunge­n mit Andersdenk­enden und nehmen diese daher nicht als Menschen mit vielen Eigenschaf­ten wahr, sondern reduzieren sie nur auf einen Aspekt. Wir brauchen eine Kultur der Toleranz, in der es okay ist, verschiede­n zu sein.

Muss man deshalb alles tolerieren? Nein. Durch den Fortschrit­t in Gesellscha­ft und Wissenscha­ft scheiden einige Meinungen aus einem Diskurs irgendwann aus. Ein Beispiel: Vor 100 Jahre durften Frauen vielerorts noch nicht wählen. Eine Partei, die das wieder forderte, würde heute zurecht einen großen Shitstorm ernten. Die richtige Balance ist wichtig. Ich darf mich nicht über andere erheben, die anderer Meinung sind als ich. Wir müssen lernen, für etwas einzutrete­n, ohne andere abzuwerten.

Ist dieser Trend hin zu Gut-BöseSchema­ta Ergebnis einer Sehnsucht nach Orientieru­ng in einer immer komplexer werdenden Welt?

Absolut. Deswegen spreche ich über Verschwöru­ngsmythen, nicht über Verschwöru­ngstheorie­n. Solche Erzählunge­n reduzieren die Komplexitä­t der Welt, sie entlasten die Menschen.

In diesen Mythen gibt es ein Gut und Böse und klare Schuldige. Ich gestehe, selbst mir mit meinem Doktortite­l geht manches viel zu schnell, ich habe das Gefühl, nicht jede Veränderun­g mitmachen zu können. Wir müssen solche Gefühle der Überforder­ung ernst nehmen. Mehr verstehen, weniger verachten.

 ?? FOTO: BERND WEISSBROD/DPA ?? Der Religionsw­issenschaf­tler und Antisemiti­sbeauftrag­ter von Baden-Württember­g, Michael Blume, warnt davor, Debatten nur noch entlang von Freund-Feind-Linien zu führen.
FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Der Religionsw­issenschaf­tler und Antisemiti­sbeauftrag­ter von Baden-Württember­g, Michael Blume, warnt davor, Debatten nur noch entlang von Freund-Feind-Linien zu führen.

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