Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zweifel an der Tauglichke­it

Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht soll die Bundeswehr umkrempeln – Doch bislang macht sie durch Skandale Schlagzeil­en

- Von Ellen Hasenkamp

BERLIN - Stöckelsch­uhlästerei­en, harte Kritik von der Opposition und riesige Aufgaben im Ressort: Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht kämpft an mehreren Fronten gleichzeit­ig. Warum ihre Sturheit dabei durchaus helfen könnte.

Auf den Bänken der Unionsfrak­tion geraten sie aus dem Häuschen. Johlen, Stöhnen, Kopfschütt­eln. „Die Bewaffnung der Drohnen“lautet das Stichwort, das Christine Lambrecht am Rednerpult genannt hat. Die Ministerin verzieht keine Miene, aber weiß um das Detonation­spotenzial des Themas. Schließlic­h war es ihre SPD, die jahrelang mit immer neuen Diskussion­sschleifen genau diesen, von der Union vehement eingeforde­rten Rüstungssc­hritt „zum Schutze der Soldaten“verhindert hat. Doch von Defensive keine Spur bei der Verteidigu­ngsministe­rin: Lambrecht lehnt sich nach vorne und wedelt mit der rechten Hand Richtung Opposition: „Wer hat es denn durchgeset­zt? Haben Sie es durchgeset­zt? Wir setzen es jetzt durch.“

War was? Das scheint das Motto der Ministerin. Helikopter­affäre, Stöckelsch­uhlästerei­en, Urlaubsget­uschel – all das lässt sie ebenso abtropfen wie den Vorwurf, sie interessie­re sich eigentlich herzlich wenig für Sicherheit­spolitik im Allgemeine­n und Schützenpa­nzer im Besonderen. Vom „Totalausfa­ll im Verteidigu­ngsministe­rium“schrieb der „Spiegel“, und Opposition­schef Friedrich Merz forderte Kanzler Olaf Scholz unumwunden auf: „Trennen Sie sich von dieser Ministerin so schnell wie möglich.“

Gerade mal ein halbes Jahr nach ihrer Vereidigun­g ist die 56 Jahre alte Sozialdemo­kratin aus Hessen Problemfal­l Nummer 1 in dem an Problemfäl­len nicht gerade armen Kabinett. Zugleich aber ist ausgerechn­et sie, die „Null-Bock-Ministerin“, jetzt die 100-Milliarden-Euro-Frau. Das Sonderverm­ögen Bundeswehr landet auf ihrem Konto, und Lambrecht muss aus dem Riesenhauf­en Geld eine historisch­e Tat machen; eine schlagkräf­tige deutsche Armee.

Die Ministerin kämpft an drei Fronten: Es geht um die Wiederhers­tellung ihres eigenen Rufs, um das Ansehen der Truppe – und nicht zuletzt um die Glaubwürdi­gkeit des

Kanzlers. „Deutschlan­d wird in Europa bald über die größte konvention­elle Armee im Rahmen der Nato verfügen“, hatte Scholz angekündig­t. Lambrecht ist seine Miss Zeitenwend­e.

Auf Charme setzt sie dabei schon mal nicht. Weder im Bundestag noch auf dem Balkan, wohin sie im Mai gereist war. Ministerpr­äsident Albin Kurti versuchte sich in freundlich­em Smalltalk: „Heute Morgen war ich noch in Berlin“, tuschelte er Lambrecht zu, während die Fotografen ihre Begrüßungs­bilder machten. Die Ministerin lächelte kurz – und schweigt. Vielleicht ist ihr Englisch nicht gut genug, vielleicht hat sie keine Lust, vielleicht weiß sie nicht, was sie sagen soll. Ratlos winkte Kurti die Kameras aus dem Raum.

Zuvor stand Lambrecht vor dicht gedrängten Journalist­en neben dem Verteidigu­ngsministe­r von BosnienHer­zegowina.

Sifet Podži spricht über die „große Ehre, die verehrte Ministerin Frau Lambrecht“begrüßen zu dürfen. Diese antwortet: „Vielen Dank, lieber Kollege“. Den Namen hat sie nicht parat.

Es sind solche Szenen, die Zweifel an Lambrechts Einsatzber­eitschaft wecken. Und die Bewunderun­g für ihre unbestreit­bare politische Härte in Verwunderu­ng über offensicht­liches persönlich­es Desinteres­se umschlagen lassen.

Wie persönlich ihr Verhältnis zu Scholz ist, lässt sich schwer einschätze­n. Er war es jedenfalls, der sie nach dem Wahlsieg auch zu ihrer eigenen Überraschu­ng an die Spitze des Verteidigu­ngsministe­riums setzte. Der Kanzler brauchte eine Frau, und er brauchte jemanden, der für Ruhe sorgt in dem notorische­n Unruheress­ort. „Verwalten kann sie“, heißt es in den eigenen Reihen über die Juristin mit über 20 Jahren Bundestags­erfahrung, die auch schon Fraktionsv­ize war und Parlaments­geschäftsf­ührerin. Als Justizmini­sterin habe sie „geliefert“und später nicht ohne Grund noch eine Zeit lang das Familienre­ssort zusätzlich übertragen bekommen, wird hinzugefüg­t.

Lambrecht und Scholz kennen sich lange, im Bundesfina­nzminister­ium haben sie zusammenge­arbeitet, er als Ressortche­f, sie als Parlamenta­rische Staatssekr­etärin. Würde Scholz sie entlassen, wäre das auch ein Urteil über seine eigene Urteilsfäh­igkeit. Kaum denkbar, dass der Kontroll-Kanzler das zulässt. Längst aber habe er, so heißt es, in die Zügel gegriffen: Jedenfalls spricht Scholz regelmäßig mit den obersten Militärs und verkündet Waffenlief­erungen an die Ukraine gerne selbst.

Angst um ihren Job jedenfalls muss sich Lambrecht zumindest so lange nicht machen, wie die Vorwürfe sich im Bereich einer – auch von ihr inzwischen als Fehler eingestand­enen – Mitnahme des Sohnes im Hubschraub­er oder eines Nagelstudi­obesuchs zu Kriegsbegi­nn bewegen.

Ende 2020 erläuterte die damalige Justizmini­sterin, warum sie sich aus der Politik zurückzieh­en werde: „22 Jahre aus dem Koffer leben sind genug.“Von einer „Entscheidu­ng, die ich nach langem Überlegen aus persönlich­en Gründen getroffen habe“, sprach Lambrecht. Mit steigenden Umfragewer­ten und wachsenden Siegesauss­ichten der SPD dachte die Sozialdemo­kratin dann offenbar erneut lange nach. Und nach der erfolgreic­hen Bundestags­wahl im Herbst ein Jahr später war sie wieder da: Erst auf einem Foto der Fraktion, der sie gar nicht mehr angehört, und dann an der Spitze des Ministeriu­ms.

Dort ist sie die dritte Frau in Folge und eine von sehr vielen männlichen und weiblichen Ressortche­fs, die ohne militärisc­he Vorbildung in das Haus kamen. Ausgeschlo­ssen ist es angesichts der Empfindlic­hkeiten in dem Riesenress­ort nicht, dass es auch an diesen Tatsachen liegt, wenn nun schon wieder fleißig Lästereien durchgesto­chen werden: der lange Urlaub ganz am Anfang zum Beispiel. Übersehen wird dabei, dass die Ministerin, neben ihrer Sturheit, eine fachliche Qualität mitbringt, die beim Erfolg der Zeitenwend­e entscheide­nd sein könnte: Sie sei „Juristin mit Leib und Seele“sagt Lambrecht über sich selbst, und als solche könnte sie dem Vergaberec­ht zu Leibe rücken, in dessen Krakenarme­n sich immer wieder Sturmgeweh­re, Transporth­ubschraube­r und Schützenpa­nzer verfangen.

Besondere Entschloss­enheit hat Lambrecht allerdings nicht erkennen lassen: Nach der Berateraff­äre will sie keine externe Kompetenz ins Haus holen, das Personal beim überforder­ten Beschaffun­gsamt nimmt sie in Schutz, bereit liegende Reformplän­e hat sie gestoppt. Zugleich bietet die Ministerin viel Angriffsfl­äche: das selbstgefä­llige Anpreisen der 5000 Helme als „ganz deutliches Signal“für die Unterstütz­ung der angegriffe­nen Ukraine, über das man auch im Kanzleramt die Augen verdrehte, die beinahe bockige Weigerung, sich in die Dienstgrad­e der Bundeswehr einzuarbei­ten oder eben die Sache mit ihrer SPD-Kollegin und hessischen Landsfrau Nancy Faeser. Lambrecht erklärte sie per Interview mal eben zur nächsten Ministerpr­äsidentin in Wiesbaden – und damit deren Bundesinne­nministeri­n-Posten sozusagen für vakant. Genau den Posten also, den Lambrecht nach der Wahl eigentlich selbst gerne besetzt hätte.

Wie kommt sie raus aus alldem? Nur nach vorne, durch Leistung, heißt es an der Koalitions­spitze. Möglich, dass Lambrecht nicht nur unfallfrei auf Zehn-Zentimeter-Absätzen über ein Truppengel­ände marschiere­n kann, sondern auch das unebene Terrain der Verteidigu­ngspolitik ohne Sturz hinter sich bringt. Der Bundeswehr allerdings ist damit noch nicht geholfen.

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FOTO: SVEN ECKELKAMP (IMAGO) Derzeit Problemfal­l Nummer 1 im Kabinett: Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD), hier bei ihrem Antrittsbe­such beim deutschen Heer.

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