Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Materialmangel am Bau auf Rekordniveau
Preise gehen durch die Decke – In der Folge vermehrt Auftragsstornierungen
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FRANKFURT - Für Häuslebauer und Immobilienkäufer sind die Jahre niedriger Baufinanzierungen Vergangenheit. Denn seit Jahresbeginn sind die Zinsen beispielsweise für eine zehn Jahre laufende Bau- oder Immobilienfinanzierung von einem auf rund drei Prozent geklettert. „Für Menschen, die sich ein Eigenheim finanzieren wollen, ist die Situation im Moment besonders angespannt“, bringt das Ralph Wefer vom Vergleichsportal Verivox auf den Punkt.
Dass sich diese Lage in naher Zukunft auch nicht ändern wird, dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat die Europäische Zentralbank an diesem Donnerstag einen groben Fahrplan für ihre Zinswende vorgelegt. Nach Ende des Anleihekaufprogramms in diesem Monat ist eine erste Zinserhöhung um 0,25 Prozent im Juli quasi gesetzt, eine weitere dürfte im September folgen – möglicherweise dann noch einmal um 0,5 Prozent.
In Erwartung solcher Schritte waren die Renditen auf den Anleihemärkten bereits seit Längerem gestiegen – und das hat auch Bauzinsen in die Höhe getrieben. Mit weiteren Zinsschritten könnte diese Tendenz also anhalten und damit die Finanzierung von Krediten entsprechend verteuern. „Die Hauptgründe für die stark gestiegenen Bauzinsen sind die infolge von Corona-Pandemie
und Ukraine-Krieg deutlich gestiegene Inflation und die Erwartungen an eine straffere Geldpolitik der Notenbanken“, sagt die Vorständin für das Privatkundengeschäft der Interhyp, Mirjam Mohr. Interhyp ist ein Vermittler von Immobilienfinanzierungen. „Im Jahresverlauf erwarten wir einen weiteren Anstieg der Zinsen, aber langsamer als im ersten Halbjahr.“
Neben der generellen Finanzierung kommt für Häuslebauer aktuell aber noch ein mindestens ebenso großes Problem hinzu. Denn zuerst infolge der globalen Pandemie, dann aber noch einmal verstärkt durch Russlands Krieg in der Ukraine, sind Lieferketten gestört.
Es fehlt an Baumaterialien, was die Preise seit Monaten entsprechend in die Höhe treibt. Nach jüngsten Daten des ifo-Institutes in München von Freitag ist die Materialknappheit auf deutschen Baustellen so hoch wie seit über 30 Jahren nicht mehr. „Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Lieferprobleme bei Baustoffen drastisch verschärft“, resümiert ifoForscher Felix Leis. In der Folge hätten auch die Materialpreise auf Grund von Knappheit und höheren Energiekosten weiter zugelegt. „Besonders knapp ist derzeit Baustahl, der oft aus Russland oder der Ukraine importiert wurde. Auch beim Bitumen kommt es zu Problemen.
Mancherorts klagten die Betriebe auch über einen Mangel an Ziegelsteinen. Dämmstoffe waren bereits vor Kriegsbeginn vielerorts knapp, aber auch hier hat sich die Situation weiter verschlechtert.“
Diese Entwicklungen bleiben nicht ohne Folgen. So melden mehr und mehr Unternehmen aus dem Hoch- und Tiefbau, dass aufgrund steigender Kosten und höherer Bauzinsen Projekte zunehmend unrentabel werden: Auftragsstornierungen nehmen also zu. Berichteten im April noch 7,5 Prozent der Firmen von Stornierungen, waren es im Mai bereits 13,4 Prozent. Auch im Tiefbau bewegen sich die angegebenen Stornierungen mit fast neun Prozent auf hohem Niveau. Dennoch sind die Auftragsbücher der Unternehmen laut Auskunft des ifo-Institutes nach wie vor prall gefüllt.
Einer Prognose der Strategieberatung EY-Parthenon nach wird es in den kommenden Jahren ein moderates Wachstum im Hochbau geben – trotz knapper und teurer Baumaterialien, Fachkräftemangel und Konjunkturrisiken. Maßgeblicher Treiber seien neben dem Wohnraummangel vor allem energetische Sanierungen für den Klimaschutz, so die Berater. Der enorme Bedarf nach Sanierungen mit Dämmungen, Solardächern und Wärmepumpen treibe die Branche langfristig an, sagte Björn Reineke, Partner bei EY-Parthenon. „Das Handwerk ist damit auf Jahre ausgelastet.“
Laut Prognose dürfte das Volumen der erbrachten Bauleistungen bis 2024 preisbereinigt im Schnitt um rund 1,8 Prozent pro Jahr wachsen. Voraussetzung sei, dass der UkraineKrieg nicht unerwartet drastisch durchschlage. Eine Rezession in Deutschland könne das Bild ändern. Aktuell stießen Baufirmen an ihre Grenzen, berichtete Reineke. Die Reichweite abzuarbeitender Aufträge liege bei bis zu fünf Monaten.
2021 wuchs der Hochbau in Deutschland EY zufolge preisbereinigt um 1,1 Prozent gemessen am Vorjahr. Eine Stütze blieb demnach der private Wohnungsbau, der stärker als der Wirtschaftsbau und der öffentliche Bau zulegte. Auch Nachholeffekte wegen der Corona-Pandemie halfen maßgeblich.