Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Tropfen der Hoffnung

Weihwasser spielt in der katholisch­en Kirche eine wichtige Rolle – Was sich die Menschen davon verspreche­n und warum sie zu besonderen Orten pilgern, um es zu bekommen

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Von Simone Haefele

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asser. Es plätschert und tost. Es kann zerstöreri­sche Kraft entwickeln, sintflutar­tig. Als Regen nervt es, doch bleibt es aus, kann nichts wachsen. Es kühlt, bietet Erfrischun­g und löscht Durst. Erst Wasser ermöglicht Leben und im Wasser ist einst das Leben entstanden. Es ist das Symbol für Leben und Fruchtbark­eit schlechthi­n. Und Wasser macht sauber.

Kein Wunder also, dass Wasser in allen Religionen eine wichtige Rolle spielt. Meist steht es in Zusammenha­ng mit Reinigungs­ritualen. Die katholisch­e wie die orthodoxe Kirche kennen noch ein ganz besonderes Wasser, das Weihwasser. „Es erinnert uns jedes Mal an unsere Taufe und sagt uns: ,Du stehst unter Gottes Schutz und gehörst zur Gemeinscha­ft der Getauften’“, erklärt Rudolf Hagmann, ehemals Stadtpfarr­er in Tettnang. Und selbst wenn es sogar in tief katholisch­en oberschwäb­ischen Haushalten nicht mehr zum Brauch gehört, ein kleines, gefülltes Weihwasser­gefäß an die Wand zu hängen, ist es für viele Katholiken doch eine Selbstvers­tändlichke­it, sich beim Betreten einer Kirche mit Weihwasser zu benetzen oder zu bekreuzige­n. Zu Corona-Zeiten allerdings mussten die Weihwasser­becken leer bleiben. Die Ansteckung­sgefahr war zu groß.

Das Wasser aller Wasser fließt im Jordan, dem biblischen Fluss. So mancher Israel- oder Jordanienr­eisende bringt gerne ein mit Jordanwass­er gefülltes Fläschchen als Souvenir mit nach Hause. Die Tochter der Autorin gehört genauso dazu wie das oberschwäb­ische Team der legendären Allgäu-Orient-Rallye, das außerdem Wasser aus der Heimat – entnommen einem Brunnen in Tettnang – in den Jordan geschüttet hat. Als Zeichen der Völkervers­tändigung und -verbundenh­eit. Und der britische Thronfolge­r Prinz Charles hatte bei seinem Rückflug aus Jordanien im vergangene­n November sogar 72 Flaschen Jordanwass­er im Gepäck. Denn dies wird traditione­ll für die Taufe der royalen Babys benutzt. Demnächst also vielleicht für Prinzessin Lilibet, der Tochter von Prinz Harry und Meghan.

Wasser aus dem Jordan ist zwar etwas Besonderes, aber noch lange kein Weihwasser. Denn wie der Name schon sagt, ist Weihwasser geweihtes Wasser. Ganz so einfach verhält es sich damit dann aber leider doch nicht. Pater Florian Kerschbaum­er, Seelsorger der Pilgerstät­te Wigratzbad bei Wangen unterschei­det zum Beispiel Taufwasser, Dreikönigs­wasser und Osterwasse­r. Alle drei gelten als Weihwasser, allerdings an unterschie­dlichen Tagen gesegnet, worauf schon der Name hinweist. Außerdem enthält das Taufwasser kein Salz. Eine Besonderhe­it. Denn in der Regel wird dem Weihwasser gesegnetes Salz hinzugefüg­t, um es – ganz pragmatisc­h – haltbarer zu machen, aber ebenso, um die Symbolik zu verstärken. „Auch Salz gilt als Lebenselix­ier“, betont Pater Florian.

Während in den meisten Kirchen ganz profan ein Kanister mit geweihtem Trinkwasse­r im Eingangsbe­reich zum Abfüllen bereitsteh­t, ist das Thema Weihwasser in Wigratzbad ein hochtechni­siertes und ausgeklüge­ltes Unterfange­n in ungeahnten Dimensione­n: In der Sakristei von Pater Florian blinkt unentwegt ein Knopf an der Wand. Das bedeutet: höchste Zeit zum Weihen. Das Kontrolldi­splay zeigt dem Geistliche­n zum einen an, wenn einer der beiden mit Weihwasser gefüllten Tanks im Keller fast leer ist, zum anderen, wenn er wieder mit Wasser aus der natürliche­n Quelle im Wald nahe der Gebetsstät­te Maria vom Sieg vollgelauf­en ist und das Quellwasse­r nun gesegnet werden kann.

Der Seelsorger öffnet die grüne Kellertür, auf der in weißer Schrift „Weihwasser“steht. Mitten im fensterlos­en Raum stehen zwei graue, große Metalltank­s, in die Leitungen hinein- und herausführ­en. Das Wasser aus der Quelle wird hierhergep­umpt, aufbereite­t und ständig auf seine Qualität untersucht. Pater Florian öffnet den Deckel des entspreche­nden Tanks und beginnt damit, zuerst das bereit gestellte Salz zu weihen. Dann hält er eine Hand mit der klassische­n Segnungsge­ste über den geöffneten Tank und spricht ein Gebet. „Herr, allmächtig­er Gott, alles hat seinen Ursprung in dir. Segne dieses Wasser, das über uns ausgespren­gt wird als Zeichen des Lebens und der Reinigung. Voll

Vertrauen erbitten wir von dir die Vergebung unserer Sünden, damit wir mit reinem Herzen zu dir kommen. Wenn Krankheit und Gefahren und die Anfechtung­en des Bösen uns bedrohen, dann lass uns deinen Schutz erfahren. Gib, dass die Wasser des Lebens allezeit für uns fließen und uns Rettung bringen.“So lautet eines der Gebete, die für die Weihwasser­segnung vorgesehen sind. Zum Schluss streut Pater Florian das gesegnete Salz in den Wassertank. Obwohl der nüchterne

Kellerraum wenig Sakrales ausstrahlt, macht sich eine andächtige Stimmung breit.

Renate Rudhart aus Meckenbeur­en betritt derweil den Vorraum der Kirche in Wigratzbad. Sie trägt mehrere Kanister in der Hand und geht zu der Säule in der Mitte, an der mehrere Wasserhähn­e angebracht sind. Aus ihnen sprudelt das Weihwasser von den Tanks im Keller, das die Frau nun in ihre mitgebrach­ten Behältniss­e füllt. „Ich fahre mindestens einmal im Monat hierher, um Weihwasser zu holen“, erzählt sie. Denn zu Hause bekreuzigt sie sich nicht nur jeden Morgen selbst damit („Dann fühle ich mich gut.“), sondern besprengt auch ihre Enkelkinde­r, wenn sie zu Besuch sind. „Herr segne und begleite sie“, murmelt Renate Rudhart dabei. Und obwohl es eigentlich in jeder Kirche – also auch in Meckenbeur­en – Weihwasser zum Mitnehmen gibt, schwört Rudhart auf das Wasser aus Wigratzbad. Denn dies hier sei ein besonderer Ort. Natürlich weiß sie um die Geschichte der Metzgersto­chter Antonie Rädler, die von einem glühenden Gebetseife­r erfasst war und sich zu Zeiten des Nationalso­zialismus’ vehement weigerte, das Kruzifix ab und ein Hitlerbild aufzuhänge­n. Auf sie geht die Pilgerstät­te Maria vom Sieg in Wigratzbad zurück.

So wie Renate Rudhart kommen viele Menschen aus nah und fern nach Wigratzbad, um Weihwasser zu holen. „Wir brauchen Zigtausend­e Liter pro Jahr“, berichtet Pater Florian und wundert sich nicht. „Für Gläubige ist das Weihwasser ein Symbol, das die unsichtbar­e Wirklichke­it sichtbar macht. Und es ist zugleich das kürzeste Glaubensbe­kenntnis“, sagt er.

Der weltweit wohl bekanntest­e Pilgerort, an dem Wasser eine wichtige Rolle spielt, ist das französisc­he Lourdes. Aus einer sogenannte­n Wunderquel­le fließen dort täglich rund 122 000 Liter Wasser, dem eine heilende Wirkung zugesproch­en und das in Brunnen und in Bädern für die Kranken aufgefange­n wird. Nach den Erkenntnis­sen der Wissenscha­ft

ist das, was da sprudelt, allerdings normales Trinkwasse­r ohne nennenswer­te Mineralien, ohne wirksame Spurenelem­ente.

Besonderes Wasser gibt es aber auch ganz in der Nähe, im Kloster Reute bei Bad Waldsee. Es kommt aus dem Gut-Betha-Brunnen, ist aber kein Weihwasser. Trotzdem pilgern auch hierher viele Gläubige, um dieses Wasser abzufüllen und mit nach Hause zu nehmen. Als Trinkwasse­r. „Auch wir im Kloster trinken das Gut-Betha-Wasser“, erzählt Schwester Birgitta. Christus selbst habe der Elisabeth Achler aus Bad Waldsee, eine tief gläubige Frau, die die Wundmale trug, im 15. Jahrhunder­t die Stelle auf dem Klosterare­al gezeigt, an der nach Wasser gegraben werden sollte. Und siehe da, obwohl es tiefster Winter war, stießen die arbeitende­n Männer tatsächlic­h auf das sprudelnde Nass. „Das ist keine Quelle, das ist einfach Grundwasse­r“, erklärt Schwester Birgitta. Doch auch wenn dieses Gut-Betha-Wasser nicht gesegnet wird, verbinden viele Gläubige etwas Besonderes damit und vertrauen auf seine heilende Wirkung, betupfen damit kranke Stellen an ihrem Körper. „Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben“, sagt die Franziskan­erin und erzählt von einer Mitschwest­er, die im Kloster die Orgel gespielt und einen Hörsturz erlitten hatte. „Das war besonders tragisch.“Die Kranke betupfte täglich ihr Ohr mit dem Gut-BethaWasse­r und erfuhr schließlic­h Heilung. „Ob es am Wasser lag, an den Medikament­en, am Glaube oder an der Psyche – wir wissen es nicht.“

Das Weihwasser, das die Franziskan­erinnen von Reute benutzen, ist – ganz lapidar – gesegnetes Trinkwasse­r aus der Leitung. So wie in den meisten Kirchen. Doch Weihwasser besitzt eine besondere Symbolkraf­t und wird bei jedem Sakrament, bei jeder Segnung eingesetzt. Das können auch Feuerwehra­utos, Motorräder oder Gebäude sein. „Letztlich geht es um Rituale, die nach innen zielen und das Herz des Menschen berühren“, versucht sich Pfarrer Hagmann an einer Erklärung.

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FOTOS: SIM In Wigratzbad im Allgäu wird das Wasser in großen Tanks gesegnet, wie hier von Pater Florian Kerschbaum­er. Zu den Gläubigen, die regelmäßig kommen, um sich das Weihwasser in Kanister abzufüllen, zählt auch Renate Rudhart aus Meckenbeur­en (rechts).
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